Liebe sun6shine
ja, ich hab Erfahrung!
Es gibt den paradoxen Spruch: "Wer zum Arzt geht, sollte ziemlich gesund sein" und das gilt meines Erachtens auch bei Psychologen und Psychologinnen und sonstwo. Psychologen sind keine unvoreingenommenen Roboter, sondern menschlichen Irrtümern unterworfene Leute. Sie mögen aus innerer Berufung Psychologen geworden sein - wenn du dir aber einen Überweisungsschein holst, um zu einem zu kommen, dann deshalb, weil es AUCH sein JOB ist. Und wenn es 10 mal die Kasse ist, die das zahlt: Durch dich kommt Geld rein. Deshalb gilt unbedingt, wie Maximilian schon sagte: Du wählst. Es wird ihn nicht besonders kratzen, wenn du dich in der ersten Stunde gegen ihn entscheidest, denn es ist für ihn klar, dass du erst mal gekommen bist, um ihn zu beurteilen - ausser du bietest eine besondere Einlage bevor du gehst, so dass er entweder eine verwüstete Praxis hat oder sich schwere Sorgen um dich machen muss.
Vielleicht ist es dir nützlich, nicht zu fragen, ob er dir helfen kann, sondern, ob er für dich hilfreich ist. Ob der Psychologe dir passt, merkst du nach der ERSTEN Stunde (oder den ersten zwei, maximal drei Stunden) grob gesagt an zwei Dingen: GUT: Du fühlst dich sicher bei ihm während der Stunde und gegenüber deinem Freund fühlst du eine gewisse Hoffnung oder es geht zumindest nicht schlechter als vorher. ZWEIFELHAFT: du verspürst ein wachsendes Unwohlsein während der Stunde und fühlst dich draussen erstmal deshalb besser, WEIL du draussen bist, und dafür rabaukst du bei deinem Freund deutlich stärker als sonst. Ich war mal in einer Paartherapie bei einem Pfarrer (gratis) und wir hatten danach Streit wie noch nie, wollten es aber noch mal wissen und nach drei Tagen Streit nach der zweiten Stunde fanden wir erstmal darin zusammen, dass wir uns jemand anderen suchen.
Adler, deine Beschreibung des sich behutsam an den heissen Brei heransuchenden Psychologen finde ich wunderschön und so soll es einfach sein! Hinzufügen möchte ich trotzdem, dass ich mir in (wiedermal einer) ersten Stunde die Seele buchstäblich aus dem Leib geredet habe mit rotzen und heulen und die so verständnisvolle Person hörte einwandfrei und teilnahmsvoll zu, um mir am Ende zu erklären, dass sie keine Erfahrung in der Behandlung dieses Problems habe, es aber gern mal probieren würde, sie biete einfach eine klassische Therapie an, und denke, ich solle mich mal für die nächsten fünf bis sechs Jahre "gemeinsamen Wegs" einstellen. Das hat mich schlagartig ernüchtert, was für mich damals allerdings auch schon eine hilfreiche Erfahrung war, denn damals ging es mir so besch... dass ich überrascht war, wie spontan und ernüchtert ich reagieren konnte und ihr sagen, dass sie für mich in dem Fall nicht die Richtige sei (kann man auch netter sagen). Sie akzeptierte sofort und rief ein paar Stunden später an um mir die Adresse einer Frau zu geben, die genau auf mein Problem spezialisiert war, weil sie sich nach meiner Verabschiedung doch erinnerte, dass sie jemanden kennt, der jemanden kennt...DIESE vermittelte Psychologin war dann aber dermassen versiert in ihrem Gebiet, dass ich das spezielle Problem damals kurz aber dauerhaft (das ist jetzt sechs Jahre her) losgeworden bin.
Du schreibst, dass deine Angst ist, dass der dich gleich ins kalte Wasser wirft - jetzt mal vorausgesetzt, dass eine erste Stunde wirklich so wie von Adler beschrieben laufen sollte - stellen wir uns mal vor, das passiert. Der trifft dich gleich am wunden Punkt, aber nicht so, dass du dich verstanden fühlst, sondern er macht auf Konfrontation und Unverständnis. Das kann ebenfalls eine funktionierende Technik sein, das ist deswegen noch kein Ar... oder es ist deswegen einer, es funktioniert aber trotzdem. Nehmen wir an, du machst sofort dicht. Nehmen wir weiter an, er mache ebenfalls weiter und EXPLODIER: du kriegst einen aggressiven Anfall und schimpfst den armen unschuldigen Psychologen klein wie Frühstücksmüsli. Solltest du dann die Trägheit besitzen, die Praxis nicht auf der Stelle zu verlassen sondern gleich in deinem Sessel zusammenbrechen, tritt sozusagen beim Therapeuten Plan B in Kraft: Er fängt dich auf. Das heisst, er wird sofort aufhören, dich zu konfrontieren, aber er wird auch nicht schweigend abwarten wie vielleicht dein Freund das tut sondern er wird sogenannt "intervenieren", was heisst, er nimmt sich ganz zurück und wird auf eine Weise nett und verständnisvoll reagieren, die dich von ausser dir zu zu dir bringt, mit anderen worten, er "fängt dich auf".
Das Problem ist ein bisschen mit den Psychologen, dass der Sprung ins kalte Wasser meistens sehr lehrreich ist, je nach Heftigkeit zumindest einige Jahre später
und in deinem Fall wäre es auch nicht ganz schlecht, wenn du genau vor ihm ausflippen würdest, denn dann wüsste er natürlich haarscharf, was du meinst und zudem noch in der richtigen Geschmacksrichtung. Allerdings ist es mir noch nicht gelungen, beispielsweise einen offenen oder verdeckten Streit mit dem Psychologen durchzustehen, ich hab dann jeweils wen anderen gesucht oder eine mehrjährige Pause eingelegt, bevor ich jemand anderen gesucht habe. Und siehe da: Spielt überhaupt keine Rolle. Ob du nun bei demselben bleibst oder ob du wechselst oder, wie ich, immer wieder mal wechselst oder ob du dann nie mehr gehst- du wirst dich auf alle Fälle besser kennengelernt haben, sei es dadurch, wie du reagierst oder wie er auf dich reagiert oder durch Erkennen oder wie auch immer.
Und darum geht es ja meiner Meinung nach bei den Psychologen, du kannst dich besser verstehen lernen. Du willst vom Psychologen lernen, wie du dich angemessen auseinandersetzen kannst, das ist dein Ziel. Aber sein Ziel wird wahrscheinlich sein, vor allem wenn er ein Tiefenpsychologe ist, dass du verstehst, warum ausflippst, anstatt dich angemessen auseinander zu setzen, und noch einen Schritt weiter, warum du Angst hast, dein Freund könnte dir weh tun, nach dem Motto: Wenn du das verstehst, gibt sich das Ausflippen von allein. Und ja, die Vorstellung, das könnte einen berechtigten Sinn haben, vor dem du aber lieber dicht machst, das kann durchaus beängstigen, da gebe ich dir sehr recht. Möglicherweise ist deine Angst vor der ersten Stunde im Grunde die Angst, dieser Sinn würde plötzlich enthüllt und du könntest nicht rechtzeitig genug dicht machen. Zu einem Psychologen zu gehen, erhöht das Risiko dazu ausserordentlich, das musst du auch sehen. Einerseits willst du nicht wissen, andererseits willst du nicht, dass es so weiter geht. Davor hätte ich auch Angst, kann ich dir sagen. Kommt eben ein bisschen darauf an, wie bereit du dafür bist. Wenn du nicht so ganz bereit dafür bist, wirst du höchst wahrscheinlich auch beim Psychologen immer dicht machen, wenn es an den heissen Brei geht, du leistest dann eben Widerstand. Deshalb stellt sich durchaus die Frage nach einem verhaltenstherapeutischen Ansatz, wo du das angemessene Verhalten üben kannst. So was kenn ich jetzt betreffend angemessen streiten lernen allerdings eher von Kursen aus der Arbeitswelt, Stichwort Selbstmanagement.
Liebe Grüsse von Susan