Angst nicht perfekt zu sein

Hey,
ich eiß grade einfach nicht mehr weiter. Eigentlich mach ich sowas nicht, also in Foren schreiben, aber tja. Ich versuch' es mal.
Ich fürchte ich habe ein Problem mit Menschen. Ich kann nicht einfach mit jemandem sprechen. Klar Smalltalk sowas schon, aber das erledigt sich dann auch schnell. Ich hab' ständig Angst, das der andere das Interesse verliert und möchte irgendwie gut rüberkommen. Naja und genau dieses Interesse verlieren passiert dann ganz schnell. Generell kann ich oft an nichts anderes denken, immer nur daran, was andere über mich denken. Wenn ich shoppen gehe kaufe ich das, was anderen gefallen könnte und blablabla.
Es ist nicht so, dass ich keine Freunde habe. Es gibt schon ein paar Leute, denen es auch wirklich egal ist, wie ich aussehe, oder ob ich grade etwas Schlaues von mir gebe, aber selbst denen kann ich nicht vertrauen. Selbst mit denen kann ich nicht über meine Gefühle sprechen. Ich glaube langsam ich habe überhaupt keine Gefühle und oft rede ich mir ein alles was ich zu sagen hätte wäre ohnehin unwichtig und uninteressant und sage dann etwas, das wirklich niemanden interessiert. Nichmal mich selbst.
Ich weiß, dass jetzt viele kommen werden und sagen werden scheiß auf die anderen und sei du selbst. Geh' raus und mach was aus dir. Man als wenn ich das nicht wüsste. Als wenn ich das nicht auf jeder Party neu probieren würde. Aber da ist diese verfluchte Angst und gleichzeitig der Anspruch an mich selbst perfekt zu sein. Versteht ihr? Wie kann mich jemand mögen, wenn ich nicht perfekt bin? Das ist es, was ich mir immer denke.
Ich hab' vor einem Jahr die Schule gewechselt und dachte mir: Jetzt wird alles anders und was war? Im Endeffekt bin ich immer noch genauso ersetzbar wie vorher und hab' noch immer die gleichen oberflächlichen "Beziehungen"... Es ist wirklich zum wahnsinnig werden. Ich bin da mit Leuten zusammen, die ich garnicht mag, die im Prinzip egoistisch pur sind, nur weil die keine Fragen stellen. Und die Leute die ich wirklich mag, zu denen traue ich mich nicht, weil ich nicht gut genug bin. Klar schonmal in der Pause quatschen, aber ich würde mich zum Beispiel niee im Leben trauen auf einer Party zu ihnen zu gehen, oder einen Drink mit denen zu nehmen... Ihr müsst mir echt sagen wie ich diese verdammte Angst loswerde, kennt das nicht jemand?
Ich war nicht immer so, aber ich hatte dann diese beste Freundin und ich glaube die hat mich zu dem gemacht. Ich bin Musikerin und möchte nach dem Abi Musik studieren und sie ist Pianistin. Ich glaube sie war irgendwann mehr idol als Freundin. Kurz ich hätte alles für sie gemacht und sie wusste das. Irgendwann hat sie mich einfach hängen lassen, weil ich wohl anscheinend nicht mehr gut genug war, sie ist dann mit älteren Musikerfreunden weggegangen. Das hat soo weh getan und das möchte ich nie wieder erleben. Deswegen muss ich so krankhaft perfekt sein... Krank eben. Sagt mir wie ich da raus kommen kann. Bitte!
Grüße Kritzi

Meine Liebe,
niemand ist perfekt.
Du kannst sonst wie viele Sprachen sprechen,
noch so viel Kampfsport können,
noch so viel Geld verdienen
und
in noch so viele Länder gereist sein.
Trotzdem ist man nicht perfekt, wenn man alles kann. Der Charakter macht einen zu einem gutem Menschen. Um so mehr man kann, läuft man gefahr, ein überheblicher und arroganter A**** zu sein. Und das ist nicht perfekt.
Perfektion liegt immer im Auge des Betrachters.
Manche halten schon eine Person für perfekt, weil sie/er kochen kann.
Manche müssen aber Statussimbole haben um perfekt zu sein, für andere.
Und man kann wirklich sagen:
Lieber ein kleines und einfaches Leben und ein guter Charakter,
also viel zu können und ein arroganter A**** zu sein!

Diese fast schon miefig-arrogante Religion des Unperfekten ist etwas, das in mir nur noch einen Brechreiz hervorruft - sorry, IchAntworteaufJeden, man kann sich auch auf seine eigene Unvollkommenheit anders einen 'runterholen, als auf diese Von-oben-herab-Tour; alle anderen die mehr im Leben erreicht haben sind ja sowieso nur arrogante Spinner. Yeah!

Liebe Kritzi,

ich fange einfach mal mit dem Begriff an, den Du vorgegeben hast, auch wenn ich mir nicht ganz sicher bin, inwiefern dieser überhaupt zu Deinem Problem paßt. Perfektion ist etwas, das Du bzgl. eines Zieles erreichen kannst - mit jahrelanger, ambitionierter Übung und guten Lehrmeistern kannst Du bsplw. eine sehr gute Pianistin werden. Eine "perfekte" Pianistin bist Du evtl. an einem gewissen Punkte, aber Du darfst nie aufhören zu trainieren - das bedeutet, dass der Zustand der Perfektion im Bezug auf ein bestimmtes Ziel immer nur ein klimaktischer Moment ist, der ganz schnell abfallen kann. Wird ein Sportler nachlässig und hört auf zu trainieren, kann er seinen Status Quo nicht lange aufrecht erhalten.

Jeder, der in einer Disziplin aufgeht, strebt nach Perfektion innerhalb derselben; diesem Zustande, an dem Du alles richtig machst. Weshalb? Weil Perfektionismus ein Motivationsfaktor ist. Aber so ziemlich auf jedem Gebiet werden Fehler gemacht, aus verschiedenen Gründen.

Bezeichnest Du einen Menschen als "perfekt", dann sprichst Du de facto von einer Leiche. Ein "perfekter" Mensch braucht keine Weiterentwicklung, muss keinen Status Quo halten, sondern ist "statisch" - auf allen Gebieten statisch, denn Du grenzt es ja nicht ein, sondern beziehst es auf die Person in der Gesamtheit. Wracks wie Elvis Presley oder Michael Jackson können posthum als "perfekt" bezeichnet werden, weil das was von ihnen in Erinnerung bleibt keine Drogenexzesse, Vergewaltigungsanschuldigungen oder mißlungene Schönheits-OPs sind, sondern Werke, die für einige Hörer/Zuseher "perfekt" waren - trotzdem werden besagte Künstler von sich selbst niemals geglaubt haben, generell perfekt zu sein, da sie an diesem Punkte aufgehört hätten, sich zu verbessern und "statisch" geworden wären; was dann passiert, hat man an Elvis Presley in späteren Jahren sehr deutlich gesehen. Er konnte nicht mehr so gut singen, hat Drogenexzesse gefeiert und konnte seine Außenwahrnehmung als "perfekt" nicht ausreichend von sich trennen, um stetig auf dem Level seiner Performance zu bleiben.

Perfektionismus bzgl. einer konkreten Disziplin ist ein Motivationsfaktor; im Bezug auf eine gesamte menschliche Existenz hat es für mich etwas nahezu suizidiales.

Das was Du allerdings beschreibst, hat für mich mit "Perfektion" in diesem Sinne nicht sehr viel zu tun. Du versuchst, so wie Du das beschreibst, eine nahezu exakte Kopie bestimmter Leute zu werden, weil Du das Gefühl hast, nicht zu ihnen zu passen, ihnen nicht gut genug zu sein. Du scheinst eine bewußte Angst davor zu haben, abgelehnt zu werden - was (sehr vereinfacht gesagt) sicherlich auch zum Teil damit zusammenhängt, dass Du Dich selbst ablehnst. Wenn Du Deine Zeit mit Leuten verbringst, die Du im Grunde nicht leiden kannst und als "unter Deinem Niveau" betrachtest (auch wenn Du es so deutlich nicht gesagt hast - ich nehme Dir diese Einschätzung keinesfalls übel *gg*), dann in der (evtl. unbewußten) Hoffnung, dass Du Dich selbst mit ihren Augen wahrnehmen kannst - in einer Gruppe aus Dämmerlichtern ist es einfach zu strahlen. Und das stärkt die Selbstwahrnehmung ungemein, und gibt Dir, auch wieder evtl. unbewußt, das Gefühl, etwas Besonderes zu sein - was letztlich allerdings damit zusammenhängt, dass Du dieses Gefühl bzw. diese Denkart von Dir selbst nicht hast.

Wenn Du allerdings auf Leute triffst, die ungefähr auf gleichem Level sind und mit denen Du Dich "gleichberechtigt" fühlst, hast Du Angst, dass Du nicht mehr in der Lage bist, diese Sichtweise "gespiegelt" zu bekommen. Ganz lapidar formuliert (ich mag das eigentlich überhaupt nicht, aber jetzt tue ich es der Einfachheit halber) liegt es an Deinem Selbstbewußtsein. In Ermangelung eines Bewußtseins Deiner Existenz, die normalerweise per se für Dich etwas "Besonderes" sein sollte, brauchst Du eine Außenwirkung, die Dir dieses Bewußtsein über Dich selbst und über Deine Besonderheit und Größe nahebringen soll. Bist Du in Gesellschaft von Leuten, die Du nicht als unter Deinem Niveau betrachtest, hast Du diese Wirkung nicht mehr, folglich fühlst Du Dich verunsichert, ängstlich, ja vielleicht auch wertlos, weil Dir ja kein Wert mehr suggeriert wird.

Die einzige mir bekannte "Lösung" dieses Problems ist es, Dich selbst zu definieren. Eigentlich ist dieses oben genannte Verhalten ein typisch-pubertäres; man legt gesteigerten Wert auf das, was andere von einem halten, weil man kaum Selbstwahrnehmung- und -reflektion besitzt. Vielleicht hat es auch Dein Umfeld nicht verstanden, Dir deutlich zu machen, dass Du etwas Besonderes bist -- allein schon deswegen, weil die Welt ohne Dich zu Ende wäre, nicht? Also musst Du Dir die Frage stellen, wer oder was Du bist, wie Du Dich selbst, fern von allen Außeneinflüssen wahrnimmst, was Du magst und was Du nicht magst, und in Dich gehen. Vielleicht sogar Dich für eine Zeit lang komplett von Außeneinflüssen abschotten; diesen Abschottungsprozess, den man normalerweise ab einem gewissen Alter hinter sich gebracht hat (Rebellion, etc.) den musst Du durchmachen, um dieses konkrete Problem zu lösen. Eine andere Möglichkeit sehe ich selbst da nicht.
Natürlich kann ab einem gewissen Ausmaß des Problems auch eine psychotherapeutische Intervention helfen; aber ich bin kein großer Fan davon, gleich damit anzukommen. Solltest Du wirklich nicht mehr weiterwissen, und nicht in der Lage sein, diesen Prozess bewußt aus Dir selbst heraus vorzunehmen, dann wäre vielleicht ein Therapeut, der Dir hilft diesen Prozess zu lenken und zu moderieren anzuraten.

Liebe Grüße,
Kendall