Du hast nichts falsch gemacht. Im Gegenteil: Du bist ein(e) wunderbare(r) Freund(in). Aber deine Freundin ist psychisch so schwer krank, dass du jetzt die Reißleine ziehen musst, wenn du nicht selber ernsthaft geschädigt werden willst. Wenn du auch noch krank wirst, ist übrigens auch deiner Freundin damit nicht geholfen. Dass sie missbraucht wurde, hat ganz gewiss dazu beigetragen, dass sie so ist, wie sie ist. Das ist tragisch, sehr traurig und tut mir auch Leid für sie. Aber es ist nicht deine Schuld. Du bist nicht der- oder diejenige, der/die sie sexuell oder sonstwie missbraucht hat. Du bist auch für die Folgen dieses Missbrauchs nicht verantwortlich.
Auch reagiert nicht jeder Mensch, der sexuell, körperlich oder emotional missbraucht wurde, so wie deine Freundin. Es gibt auch Menschen, die einsehen, dass sie eine Therapie benötigen, um das Trauma zu überwinden, und die dann trotz allem ein glückliches Leben führen, zumindest aber eine bedeutend höhere Lebensqualität haben als vorher.
Du hast bis zur Selbstaufopferung alles Menschenmögliche für deine Freundin getan. Dafür, dass sie es nicht annimmt, kannst du nichts, das ist Ausdruck ihrer Krankheit. Das darfst du gar nicht persönlich nehmen. Du hast nicht den geringsten Grund, dir Vorwürfe zu machen oder ein schlechtes Gewissen zu haben. Ganz im Gegenteil. Wer hat heute noch eine
solche
Freund(in) wie dich?!
Löse dich von ihr, geh' auf Abstand, sonst zerbrichst du über kurz oder lang selbst an der Situation.
Ich weiß, wovon ich rede. Ich habe eine psychisch kranke Schwester, die auch krankheitsuneinsichtig ist, sich bis heute nicht psychiatrisch hat behandeln lassen und über viele Jahre lang Psychoterror mit unserer inzwischen verstorbenen Mutter und mir gemacht hat. Nach 12 Jahren vergeblicher Versuche, ihr zu helfen, habe auch ich vor sechs Jahren den Kontakt zu ihr abgebrochen; denn ich war so zermürbt, dass ich mir sonst selbst die Kugel hätte geben können und über kurz oder lang selbst so erschöpft gewesen wäre, dass ich dann irgendwann vielleicht noch vorzeitig dienstunfähig geworden wäre. Das kann's nicht sein und meiner Schwester hätte ich damit auch nicht geholfen. Und ich will auch keinen Kontakt mehr zu meiner Schwester haben, es sei denn, es geschieht ein Wunder, sie begibt sich in Behandlung und diese ist so erfolgreich, dass ihre Wahnvorstellungen etc. verschwinden. Ich fürchte allerdings, ich werde diesen Tag nie erleben.
Ich habe lernen und einsehen müssen, dass es Menschen gibt, denen man mit noch so vielen Anstrengungen und noch so viel gutem Willen nicht helfen kann, wenn sie selbst es nicht zulassen.
Allerdings bin ich mittlerweile auch 56 und somit wesentlich älter als du. Mit Ende 20 hätte ich es auch noch nicht für möglich gehalten, dass es so etwas gibt. Die Krankheit meiner Schwester trat auch erst deutlich zutage, als ich Ende 30 war. Danach folgten viele Jahre, die für mich psychisch und nervlich höchst belastend waren, bis ich mich zu meinem Selbstschutz vor sechs Jahren aus der Situation befreit habe.
Du kannst dich übrigens auch an eine Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstelle wenden und dir bei Fachleuten Rat für dich selbst suchen. Ich würde mich nicht von einer Freundin therapieren lassen, sondern bei einem Außenstehenden Rat suchen, der mehr Distanz zu mir und zu meiner Situation hat. Offenbar neigst du - ebenso wie ich - dazu, dich sehr schnell in die Verantwortung für andere Menschen ziehen zu lassen, die das gar nicht wertschätzen (es krankheitsbedingt vielleicht auch gar nicht wertschätzen
können), und dann obendrein ein schlechtes Gewissen zu haben, wenn deine Hilfsversuche nicht "funktionieren".
Versuche, mit Unterstützung einer Beratungsstelle aus diesem Gefühl der Überverantwortlichkeit herauszukommen. Vielleicht reichen dir schon wenige Termine. Die Beratung dort ist übrigens kostenlos.
Ich wünsche dir alles, alles Gute! :blume: