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Brief an meine ehem. Mitschüler

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lost90

Gast
Hallo liebe ehem. Mitschüler und Mitschülerinnen,

es tut mir Leid, dass ich damals nicht gut mit euch ausgekommen bin. Dieses Jahr ist es 10 Jahre her, dass wir alle unseren Abschluss gemacht haben bzw. sind einige danach noch in die Oberstufe gegangen.

Ich konnte nicht die modischen Klamotten wie ihr tragen oder mal eben den neuesten Film schauen,
weil meine Eltern in der Insolvenz waren und wir zu wenig Geld hatten.
Auch konnte ich mit keinem von euch in Kontakt treten, weil die Internetsucht meines Vaters meinen Alltag
bestimmt hatte.
Leider hat sich auch keiner darum gekümmert, wie ich in der Schule abschneide und daher galt ich als doof.

Meinen Abschluss habe ich damals mit dem Durchschnitt 3,6 gemacht.
Das war nicht gut und es kümmerte mich auch nicht, weil ich wusste, das ich so oder so keine Chance auf ein normales Leben hätte.
Ich wusste auch nichts von Ausbildungen, weil mir kein Mensch etwas davon erzählt hatte und aufpassen im Unterricht war noch nie meine Stärke gewesen.
Stattdessen schaute ich häufig zum Fenster und träumte. Den träumen konnte ich Zuhause nicht.
Zuhause schrien sich meine Eltern gegenseitig an, ich wurde immer für alles verantwortlich gemacht
und ich war immer der Depp.
Heute habe ich die Fachhochschulreife nachgeholt, zugegeben mit 3,0, da ich immernoch die Aufgaben meiner Eltern übernehmen musste, die ich hier aber nicht alle aufzählen will.
Ich sage nur, dass ich viele Polizeibesuche hatte, meinen Eltern viel Geld leihen musste und meine Mutter mit Geld nicht umgehen kann, sowie sie sich auch nicht mit Problemen auseinadersetzen will.

Auch konnte ich leider nicht weite Strecken laufen, weil ich Fußprobleme hatte, die keiner ernst nahm, da sowas erst im Alter käme. Heute habe ich Einlagen, aber ich kann nicht mehr geheilt werden, da ich aus dem Wachstum raus bin.
Hinzu kam, dass ich öfters Migräne hatte, die aber ebenfalls bagatellisiert wurde.

Eigentlich bin ich damals nur wegen meinem Schulschwarm noch zur Schule gegangen.
Mein Vater war später arbeitslos und hing nur noch Zuhause am PC.
In den Pausen war ich zwar alleine, konnte ihn aber zumindestens beobachten.
Manchmal auch, wenn wir in benachbarten Räumen Unterricht hatten, bevor wir reingelassen wurden.
Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist, und ich will es auch nicht wissen.
Ich will ihn so in Erinnerung behalten, wie ich ihn kennengelernt habe bzw. ich will die zeitliche Erinnerung behalten, wo wir alle noch frei waren, also ohne Kinder, ohne Ehepartner, ohne beeinflussende Ereignisse.
Er wollte sowieso nichts von mir.

2007 habe ich versucht mich umzubringen. Zum einen wegen der Situation bei mir Zuhause, zum einen wegen euren Sprüchen.

Wegen meiner Schwerbehinderung, die 2013 diagnostiziert wurde, kann ich leider keine Arbeit finden und mache daher erstmal noch das Abitur nach.
Zusätzlich habe ich vorsorglich einen Vertrag zur aktiven Sterbehilfe besorgt und eine Bestattungsvorsorge getroffen.
Die aktive Sterbehilfe würde natürlich wegen des deutschen Gesetzes im Ausland stattfinden.

Ich werde wahrscheinlich die Erste sein, die von unserer alten Klasse verstirbt, was aber nicht schlimm für mich wäre und für euch auch nicht, weil ihr mich sowieso nie leiden konntet bzw. mittlerweile wohl vergessen habt.

Es hätte alles viel schöner sein können,
hätte nur nicht das Geld an allen Enden gefehlt,
wäre mein Vater nicht süchtig und stets gereizt gewesen,
hätte man mir Beachtung geschenkt und mich nicht ignoriert,
hätte man mich nicht aufgegeben und für zu dumm erklärt.

Nun ist es zu spät und ich warte auf den Tag, an dem ich nicht mehr in diesem Leben verweile.

Ob es einer von euch liest, ist mir gleich.
Ihr würdet genauso auf mir herumtrampeln wie damals.
Aber ich will nicht ins Grab steigen ohne euch einmal meine Gefühle ins Gesicht gesagt zu haben.

Meine Feier für 10 Jahre Schulabschluss werde ich gewissenhaft alleine feiern.
Ich muss mich dazu weder so betrinken, dass der Krankenwagen kommen muss,
noch muss ich mich dazu bekiffen oder mir sonstiges Giftzeug reinpfeiffen.
Mir reicht dazu ein selbstgemachtes gutes Essen, etwas Kerzenschein, etwas Musik und
die Erinnerungen, die ich ganz mit mir selber ausmachen werde.

Wisst ihr noch unser Lied für die Abschlussfeier damals:
"Ja, ich weiß.
Es war'ne geile Zeit.
Ey, es tut mir Leid.
Es ist vorbei."
von Juli
 
Hallo Lost90

Harte aber zugleich auch sehr starke Worte. Hoffe sehr für dich das irgendjemand von damals diese Zeilen zu lesen bekommt. Wenn ich die Chance hätte ein paar Leuten von damals nochmal über den Weg zu laufen würde ich ihnen wohl auch einige Sätze an den Kopf werfen. 🙄
Kopf hoch diese Zeit ist zum Glück vorbei , und du solltest versuchen mit deinem Text auch gleichzeitig die Vergangenheit abzuhaken.
Was war ist Geschichte und lässt sich nicht mehr ändern , es zählt das was ist und noch kommt. 🙂

MfG Andossus
 
Ja, da hast du Recht.

Ich denke nur dieses Jahr besonders darüber nach, was man alles hätte verhindern können, da ich ja mittlerweile
selber kleine Kinder in der Familie habe und da sieht man eben dann, was nicht richtig gemacht wurde.

Genauso wie damals standich nicht mal ansatzweise in Beachtung, sondern es war immer jemand anderes,
der richtig Mist baute oder der einfach nur richtig rumjaulte.
Mein Cousin nahm Drogen und wurde umsorgt, meine Tante jammerte und wurde umsorgt und ich hielt die Klappe,
weil ich dachte, ich sei schuld an meiner Lage (Was soll man auch als Kind anderes denken?).

Ich habe nur teilweise Wut auf meine Mitschüler. Sie waren damals selber noch Kinder, aber sie waren teilweise auch richtig arschig und sind es auch heute noch.
Daher will ich auch keinen Kontakt zu ihnen.
Ich würde sie als verwöhnte Goldlöffelkinder beschreiben.
Keiner aus meiner Klasse hatte Eltern, die Hartz IV bezogen oder anderweitig arm waren.
Viele hatten Häuser, eine Firma oder waren zumindest normale Bürgerliche ohne große Geldsorgen.
Das hatte sich zufällig so ergeben.
Wenn du aber vom Elternhaus her mit wenig Startkapital anfängst und auch noch keine Unterstützung hast, dann hat man es nachweislich einfach schwerer, da helfen auch keine Sprüche wie sich mehr anstrengen.
Alles hat seine Grenzen.

Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich nur 2 Dinge tun:
1. Ich würde mich nicht wie damals von meiner Mutter beeinflussen lassen und dadurch meine Gesundheit schädigen (also Leiden bagatellisieren lassen, unnötige Behandlungen und Schuldzuweisungen).
2. Ich würde mehr auf meinen Körper achten (Ernährung umstellen, Zähne besser putzen usw.)

An den Noten würde ich nichts ändern können. Zumindest nicht an allen. Manche Lehrkräfte hatten etwas gegen mich. Keine Ahnung wieso, aber das führte auch zu schlechten Noten.


Aber leider funktioniert das Leben so nicht.
Ich habe nur die Hoffnung auf eine Wiedergeburt nach dem Tod und einem besseren Leben.
 

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