[QUOTE="Splitterbunt, post: 4036937, member: 123384"]
Ich glaube, dass vor allem unreflektierte Idioten das tun. Also, so ne gesamtgesellschaftliche und absolutkategorische Denke an den Tag zu legen.
Natürlich prägt Herkunft, Umfeld, Kultur, Religion, Familienbiographie, etc.pp. jeden einzelnen Menschen sehr dolle, natürlich gibt es tendenzielle Gemeinsamkeiten zwischen Leuten mit gleicher Herkunft und Nationalität, natürlich kommen Klischees nicht von ungefähr, aber trotzdem: Menschen sind Individuen. "Die Libanesen" gibt es nicht, weil nicht alle Libanesen haargenau gleich sind. Sie sind weder gut, noch schlecht, sie sind halt Menschen. Genau das gleiche kann man über alle anderen Landsmänner und -frauen sagen.
Einer der ältesten Freunde meines Mannes ist Libanese und ein herzensguter, liebenswerter Mensch. Eine Freundin von mir war mal mit einem Libanesen zusammen und ich fand, dass er ein unsymopathischer Kotzbrocken war, der viel Müll gelabert und sich schrecklich verhalten hat. Tja, und nun? Sind Libanesen nun herzensgut und liebenswert oder unsympathische Kotzbrocken? Nichts von beiden und alles zusammen, weil jeder Mensch erstmal nur für sich steht und nicht für eine Ethnie oder Nationalität oder Religion. Und auch der herzensgute, liebenswerte Mensch darf sich auch mal wie ein Kotzbrocken aufführen ohne gleich verteufelt zu werden. Bestimmt hat auch der unsympathische Kotzbrocken viele liebenswerte Seiten an sich. Menschen sind komplex und vielschichtig und dürfen das auch sein.
Aber ich glaube, dass es ein Lebensthema von Menschen ist, die ihr Herkunftsland verlassen haben und nun in einem anderen Land als Ausländer*innen, Migrant*innen, Geflüchtete, Fremde leben, sich mit ihrer chaotischen Identität auseinanderzusetzen und dabei immer wieder in Erklärungs- und Rechtfertigungshaltung rutscht. "Wir sind nicht so.", "Nicht alle sind so.", "Es gibt auch nette von uns.", usw. usf.
Zumindest habe ich es v. a. in meiner Kindheit und Jugend so erlebt und es fiel mir in deinen Beiträgen stark auf.
Wenn ich Scheiße gebaut habe, war es nicht ich, Splitterbunt, die Scheiße gebaut hat, sondern es war, klar, die Ausländerin, kennt man ja, ist ja typisch für all die Kanacken, Jugos, Balkanbitches, etc. pp. Wenn ein Klassenkamerad (eine Klassenkameradin) Mist gemacht hat, hat er (sie) Mist gemacht, fertig. Ich hingegen hatte immer das Gefühl, meine Familie und "mein Land" mitreinzureiten, weil ich nun alle Vorurteile und schlechten Assoziationen bestätige und die Leute nicht denken, oh Mann, typisch, Splitterbunt, diese blöde Kuh, sondern oh Mann, typisch Jugo, diese blöden Kühe.
Hast du mal von dem Buch "Sprache und Sein" von Kübra Gümüsay gehört? Meiner Meinung nach ist es eines der klügsten, wichtigsten Bücher unserer Zeit, denn sie schreibt u. a. davon, dass viele Menschen nicht als Individuen existieren dürfen, sondern immer als Teil einer Gruppe gesehen, gelesen und bewertet werden und ihnen das Freiheit und Autonomie nimmt und das Leben in vielerlei Hinsicht erschwert.
Mit vielem, was sie erklärt und beschreibt, konnte ich mich identifizieren, wenn auch nicht mit allem, weil ich sicher auf Grund meiner Biographie und bestimmter Merkmale zu den "privilegierteren" Minderheiten gehöre. Aber es hat WAHNSINNIG gut getan, dieses Buch zu lesen, denn ich habe mich selten so gesehen und verstanden gefühlt. Vielleicht tut es dir auch gut.
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