Hallo Mitforisten,
ich möchte mich erstmal vorstellen, bevor ich mit der Tür ins Haus falle..
Ich bin 27 Jahre alt, lebe und arbeite in Tirol.
Schleichend, aber doch allmählich stark bemerkbar, schafft mich meine Familienlosigkeit und Heimatlosigkeit (Spanischer Migrationshintergrund bei mir).
Eigentlich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.
Spoiler: Achtung, langer Text!
Vielleicht sollte ich etwas ausholen, es ist etwas umständlicher..
Ich bin 1986 als dreijähriges Kind mit meiner Mutter von Spanien nach Deutschland zu meinem Stiefvater gezogen, der mich bis zur mittleren Pubertät mitgroßgezogen hat. Meinen leiblichen Vater habe ich erst wirklich mit 20 Jahren kennengelernt (Meine Mutter und mein leiblicher Vater trennten sich 1985).
Meine Mutter litt schon damals vermutlich an einer bipolaren Störung, die sie aber nie behandeln ließ. Dadurch, dass meine Mutter zeitweise komplett ausser Gefecht war, zog mich zum größten Teil mein Stiefvater groß. Leider gab es da von Anfang an ein großes Missverständnis, was keiner sah oder ansprach: Er sah mich nur als Kumpel an und ich ihn aber als Vater.
Bis zur mittleren Pubertät ging den Verhältnissen entsprechend ganz gut, ich hatte ein gutes Verhältnis zu ihm.
Mit meiner Mutter ging es ebenfalls den Verhältnissen entsprechend, je nach dem welche Phase gerade am Start war. Ich habe mich den Verhältnissen daheim angepasst und wußte, wo meine Rolle war.
Dadurch, dass ich in Deutschland war, war der Bund zur Familie in Spanien sehr dünn, zumindenst meiner. Spanien war für mich ein weites und fernes Land, was ich nur vom Sommerurlaub kannte.
Die Jahre verstrichen, ich war als Kind von Anfang an ein Außenseiter mit wenig Freunden. Erst als wir in eine Großstadt zogen, fand ich auch andere Außenseiter und war unter Freunden, mit manchen ich heute noch befreundet bin.
Der große Crash war dann mit 17, wo meine Mutter sich nach dem Tod meines Großvaters in Spanien entschied, in Spanien zu bleiben und mich dazu (War während der Osterferien) - was Trennung von meiner Mutter und meinem Stiefvater hieß.
Es zerreißte mir das Herz, denn er war für mich wie ein Anker. Er war zwar nicht immer da, wenn ich ihn brauchte, aber immerhin.
Ich hielt es keine 3 Tage bei meiner Mutter und Großmutter in Spanien aus, denn das war wie ein goldener Käfig und mein Stiefvater holte mich ab (Er war noch in der Nähe bei einem Freund von ihm) und nahm mich wieder mit nach Deutschland.
Leider folgte jetzt der große Cut und das erste Mal, wo das Missverständnis aufflog. Für ihn war die Wohnung ohne meine Mutter aber mit mir wie eine Wohngemeinschaft, für mich war das Daheim, wie es schon immer war.
Ohne meiner Mutter lebten wir uns sehr schnell auseinander, da er als ein Alt-68er ganz andere Vorstellungen hatte als ich. Er selber hatte nie Kinder und verlor seinen Vater im Krieg und hat ihn folglich nie gesehen.
Ich war damals noch auf dem Gymnasium und es stand sehr schlecht um meine schulischen Leistungen. Er meinte, wenn ich nicht weiterhin zur Schule gehe oder keine Lehrstelle bekäme, müsste ich wieder zurück nach Spanien.
Von da ab fing es allmählich an mit der "Heimatlosigkeit" im Sinne von Daheim (Zur anderen Heimatlosigkeite komme ich noch). Ich verstand die Welt nicht mehr, wieso musste ich aus meinem Zimmer dann raus? Raus von Daheim?
Das Gymnasium packte ich nicht mehr und bekam von einem Arbeitskollegen von meinem Stiefvater eine Lehrstelle unter der Hand angeboten (Mein Stiefvater konnte mir bei den Bewerbungen nicht helfen und da musste ich selber ran... Großen Erfolg hatte ich nicht gerade.).
Ich machte die Lehre mehr schlecht als recht und der immer größer werdende Drift machte es Daheim immer schwerer. Die Diskussionen mit ihm wurden immer heftiger. Auch meine noch ausklingende Pubertät (ich war 18-20) dürfte es nicht einfach gemacht haben.
Irgendwann, ich hatte meine erste große Beziehung hinter mir (und kam mal wieder öfters Heim wie zur Beziehungszeit), fand mein Vater wieder eine Partnerin, was ich ihm damals wie auch heute gönne.
Es war seine Freundin vor meiner Mutter, die er damals für meine Mutter sitzen ließ.
Dann begann der zweite große Akt. Schleichend, aber doch allmählich begann sie, wie es so üblich ist, bei uns daheim zum einziehen. Ich war gerade 20 geworden, hatte meine schriftliche Lehrabschlussprüfung frisch versemmelt und bekam daraufhin wieder die Pistole auf die Brust gesetzt: Wenn ich es nicht schaffe, die Prüfung mit Erfolg zu bestehen, muss ich raus - am besten nach Spanien, aber im Prinzip ist es ihm egal. Raus aus der Wohnung.
Allmählich begann bei uns daheim eine große Umbauaktion, mit der Zeit erkannte ich die Wohnung nicht mehr, es war nicht mehr die Wohnung, wo ich aufgewachsen bin.
Es zerreißte mich innerlich, wo ich den Schrank meiner Mutter ausräumen musste, es war wie selber eine Stadt zu zerstören, die man so gerne hatte und sie auf keinen Fall zerstören wollte.
Mein Zimmer war das letzte und ich weigerte mich, das Zimmer renovieren zu wollen. Es war mein Zimmer, mein Reich, meine Möbel, meine Dinge -dachte ich bis dahin.
Irgendwann wars Herbst, ich hatte dann meine Prüfung schon längst geschafft und war von meinem Ausbildungsbetrieb mit einem 6-Monatsvertrag bis Jahresende angestellt - der natürlich nicht verlängert wurde.
Die Arbeit machte überhaupt keinen Spaß, ich hatte keinen großen Spaß mehr am Leben, verjubelte Frauen wie andere Unterhosen wechselten... Für mich war Endzeitstimmung.
Mein Stiefvater brachte mich unter Druck, ein Ticket nach Spanien zu buchen, was ich auch tat.
Ich wollte nicht von Daheim weg, denn es war mein Zuhause.
Weihnachten verbrachten wir nie klassisch, als tradioneller Alt-68iger hasste er X-Mas, Ostern, Muttertag und was nicht sonst so alles.
Aber dieses Weihnachten wurde anders.
Mein Stiefvater bat mich, doch bitte Weihnachten woanders zu verbringen, vielleicht bei meiner damaligen Freundin oder so - es kämen wichtige Leute zu besuch. Seine Freundin ist Vorsitzende oder Beiratsitzende in einem Verein für verarmte und vernachlässigte Immigranten-Ghettokinder aus einer deutschen Großstadt. Ich dachte, es würden eventuell Sponsoren oder ähnliches kommmen.
Ich ging dann am Mittag von Heiligabend zu meiner Freundin, denn ich wollte ja eventuelle Sponsorengelder nicht im Wege stehen.
Am Abend um 16h00 oder so, da musste ich nochmal Heim und was ich da sah, raubte mir den Atem.
Der Sohn und seine Freundin von der Freundin meines Stiefvaters in einem weihnachtlich eingerichteten Wohnzimmer.
Dafür wurde ich ausgeladen, an Heiligabend. Heute noch habe ich große Schwierigkeiten, an Weihnachten nicht daran zu denken ohne innerlich in Trauer und Wut zu verfallen.
Jahrelang wurde Weihnachten als das größte Übel der kommerzialisierten, globalisierten Kapitalistenwelt zerredet und dann das.
An dem Tag war Weihnachten gelaufen.
Am nächsten Tag versuchte ich meinen Flieger nach Spanien zu erwischen, aber dank einem Stellwerksschaden von der S-Bahn konnte ich meinen Flieger nicht erwischen. Ich bekam ein Ticket für den nächsten Tag.
Als ich wieder daheim war, sah ich, wie mein Stiefvater seinen VW-Bus für einen Urlaub packte und ich fragte ihn, wo es hinginge - Genau in die selbe Pension, wo ich auch hinfuhr. Ich bat ihm, ob er nicht eine Tasche für mich mitnehmen konnte (ich hatte insgesamt 45kg Gepäck dabei), da wir uns eh wieder sehen würden.
Er verneinte es und wurde dabei derart aggressiv und ausfallend, wie ich ihn noch nie erlebt hatte - dabei ging es nur um eine kleine Reisetasche mit 15 kg, er hätte locker im VW-Bus platz gehabt!
Wir waren in Spanien fast Zimmernachbarn, da wir zeitgleich unten waren. Silvester wollte ich nicht alleine verbringen und ging Nachmittags rüber zu ihm, da er eine Süddeutsche hatte und las die dort.
Ohne dass ich ein Wort darüber verlor, sagte er mir, dass er Silvester alleine mit seiner Freundin verbringen möchte und mich nicht dabei haben möchte.
Nächster Akt:
Es war der einsamste Jahreswechsel und einer meiner dunkelsten Tage meines Lebens, dieser Silvester.
Stell dir vor, du bekommst von jemanden, mit dem du über 17 Jahre verbracht hast und als deinen Vater angesehen hast so eine Message (Das Weihnachtsfest eingerechnet).
Stell dir weiterhin vor, du hast kein eigentliches Dach mehr über den Kopf, keine feste Arbeit und bist auch noch tausende von Kilometer von deiner eigentlichen Heimat weg.
Dann bist du ganz alleine am Strand, alle anderen feiern mit Familie und Freunden und du hockst da mit einer Flasche Rotwein am Strand...
Ich fand in Spanien keinen Job obwohl ich Vorstellungsgespräche hatte, aber ich wollte auch keinen Job da unten haben. Ich mochte und mag die Mentalität der Leute nicht, das ganze Gehabe.
Froh war ich, als ich wieder im Flieger saß, da machten wir auch die 9h Wartezeit am Flughafen nichts aus - hauptsache Heim!
Daheim wars nicht besser. In meinem dann schon alten Zimmer waren überall Kartons, meine Poster eingerollt, mein Zimmer dreiviertelt ausgeräumt.
Ich wurde ausgebürgert, meine Schlüssel durfte ich abgeben und das wars.
Vorgekommen bin ich mir die wie die Osteuropa-Deutschen, die ihre Heimat verlassen mussten.
Ich hatte Glück, dass meine damalige Freundin eine Zweizimmerwohnung hatte und ich bei ihr einziehen konnte.
Von da ab redete ich so gut wie nie mehr ein Wort mit ihm, es tat mir einfach nur noch in der Seele weh.
Mit meiner Mutter hatte ich mich im Herbst zuvor zerstritten. Sie wollte, dass ich Dokumente fälsche, wonach meine Ausbildung weitergehen würde, etc - damit sie noch an Geld von meinem Leiblichen Vater kommen würde. Gearbeitet hatte sie nämlich so gut wie nie.
Im folgenden Herbst auf den phantastischen Silvester kam der nächste Knick.
Nächster Akt:
Ich bekam einen Anruf aus Spanien, nachdem ich fast ein Jahr keinen Kontakt zu meiner Mutter hatte. Ihre Mobilnummer zeigte mein Handy an und ich dachte, sie wäre es.
Es war nur eine Bekannte meiner Mutter, die mir mitteilte, dass meine Mutter letzte Nacht verstorben ist.
Augenblicklich brach der Boden unter mir weg. Sie verstarb sehr plötzlich, keiner bekam etwas mit. Die Notfallärztin, die sie Auffand in ihrem Zimmer sagte mir, dass sie entschlafen sei, also sehr friedlich.
Von da ab hatte ich keine Mutter mehr, denn den gedachten Vater hatte ich ja Monate vorher schon verloren.
Abschließend:
Meine Familie in Spanien betrachten mich eher als einen Sonderling, da ich kein Abitur habe und einen anderen Werdegang als sie. Auch dass ich im Ausland aufgewachsen bin und zu vielen Themen anderen Meinungen habe, wird nicht unbedingt honoriert.
Auch dass ich eine deutsche Verlobte habe, wird nicht von vielen gern gesehen, meine Großmutter mütterlicherseits hätte lieber eine Partnerin aus einer anderen angesehenen Großfamilie - Man bleibt ja gerne unter sich.
Meinen leiblichen Vater habe ich getroffen und auch meine Halb- und Stiefgeschwister. An ihnen ist überhaupt nichts auszusetzen, aber es ist halt nicht meine Familie sondern die ihrige.
Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass mein leiblicher Vater mich auch als einen Sonderling ansieht, da ich kein Abitur habe und keinen für spanischen Verhältnissen nachvollziehbaren Hobbys.
Daher würde ich eher das Verhältnis zu meinem leiblichen Vater eher als kühl und distanziert ansehen.
Es macht mich einfach nur fertig, hier in Tirol kann jeder in meinem Alter zu seinen Eltern rennen und um Hilfe fragen.
Ich kann das nicht, ich hab nur mich und meine Verlobte, aber keine eigene Familie. Ich fühle mich so ohne Wurzeln, wie so ein Wanderbusch in einer Steppe.
Ich bin zwar sehr froh, seit bald über vier Jahren in einer stabilen und festen Beziehung zu sein, aber was mir fehlt ist einfach eine Familie, eine Heimat und ein richtiges Heim.
Abschließend für alle Mitleser aus Deutschland/Schweiz: Hier in Österreich wird ein Therapeut nicht von der Kasse bezahlt, nur Privat.
Ich kann mir eine Therapie nicht leisten, der Stundensatz variiert zwischen 90,- und 150,- €.
Und akute Hilfe bekommst du nur, wenn du dich selber ums Leben bringen willst, was ich aber auf gar keinen Fall will - dafür bin ich schon zu weit gekommen.
Ich danke euch fürs Lesen, um Antwort wird gebeten.
LG
Salamanca
ich möchte mich erstmal vorstellen, bevor ich mit der Tür ins Haus falle..
Ich bin 27 Jahre alt, lebe und arbeite in Tirol.
Schleichend, aber doch allmählich stark bemerkbar, schafft mich meine Familienlosigkeit und Heimatlosigkeit (Spanischer Migrationshintergrund bei mir).
Eigentlich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.
Spoiler: Achtung, langer Text!
Vielleicht sollte ich etwas ausholen, es ist etwas umständlicher..
Ich bin 1986 als dreijähriges Kind mit meiner Mutter von Spanien nach Deutschland zu meinem Stiefvater gezogen, der mich bis zur mittleren Pubertät mitgroßgezogen hat. Meinen leiblichen Vater habe ich erst wirklich mit 20 Jahren kennengelernt (Meine Mutter und mein leiblicher Vater trennten sich 1985).
Meine Mutter litt schon damals vermutlich an einer bipolaren Störung, die sie aber nie behandeln ließ. Dadurch, dass meine Mutter zeitweise komplett ausser Gefecht war, zog mich zum größten Teil mein Stiefvater groß. Leider gab es da von Anfang an ein großes Missverständnis, was keiner sah oder ansprach: Er sah mich nur als Kumpel an und ich ihn aber als Vater.
Bis zur mittleren Pubertät ging den Verhältnissen entsprechend ganz gut, ich hatte ein gutes Verhältnis zu ihm.
Mit meiner Mutter ging es ebenfalls den Verhältnissen entsprechend, je nach dem welche Phase gerade am Start war. Ich habe mich den Verhältnissen daheim angepasst und wußte, wo meine Rolle war.
Dadurch, dass ich in Deutschland war, war der Bund zur Familie in Spanien sehr dünn, zumindenst meiner. Spanien war für mich ein weites und fernes Land, was ich nur vom Sommerurlaub kannte.
Die Jahre verstrichen, ich war als Kind von Anfang an ein Außenseiter mit wenig Freunden. Erst als wir in eine Großstadt zogen, fand ich auch andere Außenseiter und war unter Freunden, mit manchen ich heute noch befreundet bin.
Der große Crash war dann mit 17, wo meine Mutter sich nach dem Tod meines Großvaters in Spanien entschied, in Spanien zu bleiben und mich dazu (War während der Osterferien) - was Trennung von meiner Mutter und meinem Stiefvater hieß.
Es zerreißte mir das Herz, denn er war für mich wie ein Anker. Er war zwar nicht immer da, wenn ich ihn brauchte, aber immerhin.
Ich hielt es keine 3 Tage bei meiner Mutter und Großmutter in Spanien aus, denn das war wie ein goldener Käfig und mein Stiefvater holte mich ab (Er war noch in der Nähe bei einem Freund von ihm) und nahm mich wieder mit nach Deutschland.
Leider folgte jetzt der große Cut und das erste Mal, wo das Missverständnis aufflog. Für ihn war die Wohnung ohne meine Mutter aber mit mir wie eine Wohngemeinschaft, für mich war das Daheim, wie es schon immer war.
Ohne meiner Mutter lebten wir uns sehr schnell auseinander, da er als ein Alt-68er ganz andere Vorstellungen hatte als ich. Er selber hatte nie Kinder und verlor seinen Vater im Krieg und hat ihn folglich nie gesehen.
Ich war damals noch auf dem Gymnasium und es stand sehr schlecht um meine schulischen Leistungen. Er meinte, wenn ich nicht weiterhin zur Schule gehe oder keine Lehrstelle bekäme, müsste ich wieder zurück nach Spanien.
Von da ab fing es allmählich an mit der "Heimatlosigkeit" im Sinne von Daheim (Zur anderen Heimatlosigkeite komme ich noch). Ich verstand die Welt nicht mehr, wieso musste ich aus meinem Zimmer dann raus? Raus von Daheim?
Das Gymnasium packte ich nicht mehr und bekam von einem Arbeitskollegen von meinem Stiefvater eine Lehrstelle unter der Hand angeboten (Mein Stiefvater konnte mir bei den Bewerbungen nicht helfen und da musste ich selber ran... Großen Erfolg hatte ich nicht gerade.).
Ich machte die Lehre mehr schlecht als recht und der immer größer werdende Drift machte es Daheim immer schwerer. Die Diskussionen mit ihm wurden immer heftiger. Auch meine noch ausklingende Pubertät (ich war 18-20) dürfte es nicht einfach gemacht haben.
Irgendwann, ich hatte meine erste große Beziehung hinter mir (und kam mal wieder öfters Heim wie zur Beziehungszeit), fand mein Vater wieder eine Partnerin, was ich ihm damals wie auch heute gönne.
Es war seine Freundin vor meiner Mutter, die er damals für meine Mutter sitzen ließ.
Dann begann der zweite große Akt. Schleichend, aber doch allmählich begann sie, wie es so üblich ist, bei uns daheim zum einziehen. Ich war gerade 20 geworden, hatte meine schriftliche Lehrabschlussprüfung frisch versemmelt und bekam daraufhin wieder die Pistole auf die Brust gesetzt: Wenn ich es nicht schaffe, die Prüfung mit Erfolg zu bestehen, muss ich raus - am besten nach Spanien, aber im Prinzip ist es ihm egal. Raus aus der Wohnung.
Allmählich begann bei uns daheim eine große Umbauaktion, mit der Zeit erkannte ich die Wohnung nicht mehr, es war nicht mehr die Wohnung, wo ich aufgewachsen bin.
Es zerreißte mich innerlich, wo ich den Schrank meiner Mutter ausräumen musste, es war wie selber eine Stadt zu zerstören, die man so gerne hatte und sie auf keinen Fall zerstören wollte.
Mein Zimmer war das letzte und ich weigerte mich, das Zimmer renovieren zu wollen. Es war mein Zimmer, mein Reich, meine Möbel, meine Dinge -dachte ich bis dahin.
Irgendwann wars Herbst, ich hatte dann meine Prüfung schon längst geschafft und war von meinem Ausbildungsbetrieb mit einem 6-Monatsvertrag bis Jahresende angestellt - der natürlich nicht verlängert wurde.
Die Arbeit machte überhaupt keinen Spaß, ich hatte keinen großen Spaß mehr am Leben, verjubelte Frauen wie andere Unterhosen wechselten... Für mich war Endzeitstimmung.
Mein Stiefvater brachte mich unter Druck, ein Ticket nach Spanien zu buchen, was ich auch tat.
Ich wollte nicht von Daheim weg, denn es war mein Zuhause.
Weihnachten verbrachten wir nie klassisch, als tradioneller Alt-68iger hasste er X-Mas, Ostern, Muttertag und was nicht sonst so alles.
Aber dieses Weihnachten wurde anders.
Mein Stiefvater bat mich, doch bitte Weihnachten woanders zu verbringen, vielleicht bei meiner damaligen Freundin oder so - es kämen wichtige Leute zu besuch. Seine Freundin ist Vorsitzende oder Beiratsitzende in einem Verein für verarmte und vernachlässigte Immigranten-Ghettokinder aus einer deutschen Großstadt. Ich dachte, es würden eventuell Sponsoren oder ähnliches kommmen.
Ich ging dann am Mittag von Heiligabend zu meiner Freundin, denn ich wollte ja eventuelle Sponsorengelder nicht im Wege stehen.
Am Abend um 16h00 oder so, da musste ich nochmal Heim und was ich da sah, raubte mir den Atem.
Der Sohn und seine Freundin von der Freundin meines Stiefvaters in einem weihnachtlich eingerichteten Wohnzimmer.
Dafür wurde ich ausgeladen, an Heiligabend. Heute noch habe ich große Schwierigkeiten, an Weihnachten nicht daran zu denken ohne innerlich in Trauer und Wut zu verfallen.
Jahrelang wurde Weihnachten als das größte Übel der kommerzialisierten, globalisierten Kapitalistenwelt zerredet und dann das.
An dem Tag war Weihnachten gelaufen.
Am nächsten Tag versuchte ich meinen Flieger nach Spanien zu erwischen, aber dank einem Stellwerksschaden von der S-Bahn konnte ich meinen Flieger nicht erwischen. Ich bekam ein Ticket für den nächsten Tag.
Als ich wieder daheim war, sah ich, wie mein Stiefvater seinen VW-Bus für einen Urlaub packte und ich fragte ihn, wo es hinginge - Genau in die selbe Pension, wo ich auch hinfuhr. Ich bat ihm, ob er nicht eine Tasche für mich mitnehmen konnte (ich hatte insgesamt 45kg Gepäck dabei), da wir uns eh wieder sehen würden.
Er verneinte es und wurde dabei derart aggressiv und ausfallend, wie ich ihn noch nie erlebt hatte - dabei ging es nur um eine kleine Reisetasche mit 15 kg, er hätte locker im VW-Bus platz gehabt!
Wir waren in Spanien fast Zimmernachbarn, da wir zeitgleich unten waren. Silvester wollte ich nicht alleine verbringen und ging Nachmittags rüber zu ihm, da er eine Süddeutsche hatte und las die dort.
Ohne dass ich ein Wort darüber verlor, sagte er mir, dass er Silvester alleine mit seiner Freundin verbringen möchte und mich nicht dabei haben möchte.
Nächster Akt:
Es war der einsamste Jahreswechsel und einer meiner dunkelsten Tage meines Lebens, dieser Silvester.
Stell dir vor, du bekommst von jemanden, mit dem du über 17 Jahre verbracht hast und als deinen Vater angesehen hast so eine Message (Das Weihnachtsfest eingerechnet).
Stell dir weiterhin vor, du hast kein eigentliches Dach mehr über den Kopf, keine feste Arbeit und bist auch noch tausende von Kilometer von deiner eigentlichen Heimat weg.
Dann bist du ganz alleine am Strand, alle anderen feiern mit Familie und Freunden und du hockst da mit einer Flasche Rotwein am Strand...
Ich fand in Spanien keinen Job obwohl ich Vorstellungsgespräche hatte, aber ich wollte auch keinen Job da unten haben. Ich mochte und mag die Mentalität der Leute nicht, das ganze Gehabe.
Froh war ich, als ich wieder im Flieger saß, da machten wir auch die 9h Wartezeit am Flughafen nichts aus - hauptsache Heim!
Daheim wars nicht besser. In meinem dann schon alten Zimmer waren überall Kartons, meine Poster eingerollt, mein Zimmer dreiviertelt ausgeräumt.
Ich wurde ausgebürgert, meine Schlüssel durfte ich abgeben und das wars.
Vorgekommen bin ich mir die wie die Osteuropa-Deutschen, die ihre Heimat verlassen mussten.
Ich hatte Glück, dass meine damalige Freundin eine Zweizimmerwohnung hatte und ich bei ihr einziehen konnte.
Von da ab redete ich so gut wie nie mehr ein Wort mit ihm, es tat mir einfach nur noch in der Seele weh.
Mit meiner Mutter hatte ich mich im Herbst zuvor zerstritten. Sie wollte, dass ich Dokumente fälsche, wonach meine Ausbildung weitergehen würde, etc - damit sie noch an Geld von meinem Leiblichen Vater kommen würde. Gearbeitet hatte sie nämlich so gut wie nie.
Im folgenden Herbst auf den phantastischen Silvester kam der nächste Knick.
Nächster Akt:
Ich bekam einen Anruf aus Spanien, nachdem ich fast ein Jahr keinen Kontakt zu meiner Mutter hatte. Ihre Mobilnummer zeigte mein Handy an und ich dachte, sie wäre es.
Es war nur eine Bekannte meiner Mutter, die mir mitteilte, dass meine Mutter letzte Nacht verstorben ist.
Augenblicklich brach der Boden unter mir weg. Sie verstarb sehr plötzlich, keiner bekam etwas mit. Die Notfallärztin, die sie Auffand in ihrem Zimmer sagte mir, dass sie entschlafen sei, also sehr friedlich.
Von da ab hatte ich keine Mutter mehr, denn den gedachten Vater hatte ich ja Monate vorher schon verloren.
Abschließend:
Meine Familie in Spanien betrachten mich eher als einen Sonderling, da ich kein Abitur habe und einen anderen Werdegang als sie. Auch dass ich im Ausland aufgewachsen bin und zu vielen Themen anderen Meinungen habe, wird nicht unbedingt honoriert.
Auch dass ich eine deutsche Verlobte habe, wird nicht von vielen gern gesehen, meine Großmutter mütterlicherseits hätte lieber eine Partnerin aus einer anderen angesehenen Großfamilie - Man bleibt ja gerne unter sich.
Meinen leiblichen Vater habe ich getroffen und auch meine Halb- und Stiefgeschwister. An ihnen ist überhaupt nichts auszusetzen, aber es ist halt nicht meine Familie sondern die ihrige.
Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass mein leiblicher Vater mich auch als einen Sonderling ansieht, da ich kein Abitur habe und keinen für spanischen Verhältnissen nachvollziehbaren Hobbys.
Daher würde ich eher das Verhältnis zu meinem leiblichen Vater eher als kühl und distanziert ansehen.
Es macht mich einfach nur fertig, hier in Tirol kann jeder in meinem Alter zu seinen Eltern rennen und um Hilfe fragen.
Ich kann das nicht, ich hab nur mich und meine Verlobte, aber keine eigene Familie. Ich fühle mich so ohne Wurzeln, wie so ein Wanderbusch in einer Steppe.
Ich bin zwar sehr froh, seit bald über vier Jahren in einer stabilen und festen Beziehung zu sein, aber was mir fehlt ist einfach eine Familie, eine Heimat und ein richtiges Heim.
Abschließend für alle Mitleser aus Deutschland/Schweiz: Hier in Österreich wird ein Therapeut nicht von der Kasse bezahlt, nur Privat.
Ich kann mir eine Therapie nicht leisten, der Stundensatz variiert zwischen 90,- und 150,- €.
Und akute Hilfe bekommst du nur, wenn du dich selber ums Leben bringen willst, was ich aber auf gar keinen Fall will - dafür bin ich schon zu weit gekommen.
Ich danke euch fürs Lesen, um Antwort wird gebeten.
LG
Salamanca
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