Anonymus72
Neues Mitglied
Hey,
ich schreibe das hier weil ich glaube, einfach mal die Meinung von einem Außenstehenden zu brauchen...
Tut mir leid wenn es vielleicht etwas viel zu lesen ist aber ohne den Hintergrund würde meine Frage keinen Sinn machen. Wer das nicht lesen mag, den versteh ich aber auch.
Also ich bin 21 Jahre alt und alles hat so vor 11 Jahren angefangen. Da war ich denk ein "ganz normaler" 10 Jähriger. Mein Vater ist damals mitten in der Nacht als Notfall vom Krankenwagen geholt worden. Wir Kinder (ich und mein 5 Jahre jüngerer Bruder) haben davon erst am nächsten Tag nach der Schule erfahren. Meine Mutter hat mir damals gesagt ich solle mitkommen Papa besuchen, weil der im Krankenhaus sei. Erstmal ein Schock natürlich aber darum geht es hier ja eigentlich nicht. Es war auf jeden Fall so dass mein Vater notoperiert wurde und gerade noch mal mit dem Leben davon kam. Er hatte Darmkrebs. Das war eine verdammt schwere Zeit ich könnte euch tausende Erinnerungen erzählen die so schlimm bzw. intensiv sind, dass ich noch heute jedes einzelne Detail weiß.
Die Krankheitsgeschichte hat sich auf jeden Fall Jahre lang gezogen mit Hoch und Tiefs. Ich weiß noch wie wir alle geweint haben, als mein Vater nach Jahren den Bescheid bekam, er sei 100% Krebsfrei. Und dann wieder wie er durch die unzähligen OPs auch nach Jahren noch immer wieder unglaubliche Schmerzen hatte. Wie ich mit ihm ins Krankenhaus gefahren bin und er vor Schmerz auf dem Beifahrersitz liegend geschrieen hat und dann direkt vor dem Krankenhaus vor Schmerz neben mir ohnmächtig wurde. Die Ärzte wollten ihn dann nicht behandeln, weil er ganz starke Schmerzmittel brauchte und sie diese nicht einfach so verabreichen durften. Ich habe mit denen rumgeschrien und war auf 180. Und dann als mein Dad doch endlich aufgenommen wurde und ich bei ihm am Bett saß und merkte wie die Schmerzmittel endlich wirkten, weil seine Hand entkrampfte, da fiel dann so ein unglaublicher Druck ab. Eine Erleichterung die man so nicht beschreiben kann. Der Mensch den man über alles liebt, leidet so unglaubliche Schmerzen und schreit und man kann nichts tun. Und dann ist das endlich vorbei und du merkst, dass du eigentlich selbst fix und fertig bist. Und die ganze Zeit dein Körper einfach nur funktioniert hat weil er musste. Und plötzlich schlägt die ganze erlebte Situation erst richtig auf dich ein und fegt dich mental aus den Socken.
So Situationen hat es oft gegeben, ich weiß noch jede Einzelne als sei sie gestern gewesen.
So ging das dann knapp 9 Jahre mit Hoch und Tiefs, wie bereits erwähnt. Irgendwann wurde es dann allgemein etwas besser, man machte schon Pläne wie man den Schmerzmittelentzug schaffen könnte und wir wollten unsere Baustelle welche eigentlich unser Zuhause sein sollte endlich in Angriff nehmen. (Ja, Geldprobleme waren sowieso immer allgegenwärtig. Und auch wenn meine Eltern versucht haben uns Kindern nichts zu zeigen, so hab ich das doch mitbekommen.)
Auf jeden Fall sah man eine Zeit positiv in die Zukunft und war der festen Meinung jetzt würde alles besser. Ich habe dann sogar ein Mädchen kennen gelernt, in welches ich mich verliebte. Eigentlich war alles zum ersten Mal auf einem guten Weg. Ich war kurze Zeit wirklich glücklich. Da war ich 18 Jahre alt, stellte mir vor wie die Zukunft endlich mal für uns spielen würde.
Und dann kam wieder der Tritt ins Gesicht. Mein Vater hatte einen seltsamen "Fleck" auf der Leber und es sollten Proben genommen werden. Ich machte noch Scherze mit ihm um ihn zu beruhigen und abzulenken - es sei bestimmt nur ein "Leberfleck".
Die Proben dauerten lange und mein Abitur fing an. Meine "Freundin" stellte sich als unehrlich und untreu heraus doch ich gab ihr eine zweite Chance, später sogar eine Dritte... Ich brauchte sie. Jemanden an dem ich Halt hatte. Auch wenn ich sie niemals mit meinen Problemen belastet hätte, tat es gut jemanden zu haben, der nichts mit den familiären Problemen zu tun hatte, den man einfach nur unglaublich liebte.
Dann ging alles sehr schnell. Mein Vater hatte Leberkrebs und kam in eine Spezialklinik nach Mainz. Meine Mutter war fast jeden Tag bei ihm, ich besuchte ihn auch oft aber es war sehr schwer für mich. Direkt nach meinem Englischabitur fuhr ich zu ihm und sah wie er schon so extrem abgebaut hatte. Ich musste ihn im Rollstuhl schieben. Meinen Dad, der immer ein kraftvoller Riese gewesen war. Kurz bevor ich zurückfuhr versuchte er aufzustehen und stürzt vor meinen Füßen. Ich kann nicht beschreiben was da in mir vorging aber es fühlt sich an als ob du innerlich zerspringst aber äußerlich nichts zeigen darfst. Du musst stark sein für die anderen, für deine Familie, weil sie brauchen dich. Dein Vater muss wissen dass die Familie im Notfall auch ohne ihn einen Mann im Haus hätte. Deine Mutter muss wissen dass du da bist. Du musst ihr Probleme abnehmen, damit sie nicht überlastet ist. Sie muss wissen, dass sie sich immer an dich wenden kann, du sie in den Arm nimmst und tröstet, wenn sie wieder weinend nach Hause kommt, dass du immer irgendwas positives sagst um die Hoffnung aufrecht zu erhalten, die tief im Menschen auch immer da ist. und dein kleiner Bruder braucht dich auch, er hat über die hälfte seines Lebens seinen Vater nicht gesehen, weil dieser im Krankenhaus war. Du hast für ihn Schulzeug gerichtet, ihn abgeholt, ihm gekocht und ihn ins Bett gebracht, früher sogar die Gutenachtgeschichte vorgelesen.
Also hab ich einfach immer alles irgendwie hinbekommen. Nach dem Besuch meines Vaters in Mainz nach dem Englischabitur habe ich am nächsten Tag mein Matheabitur geschrieben. Und hatte ich bereits erwähnt das die "Freundin" mich erneut betrogen und wieder angelogen hatte? Mit ihr war nun also auch endgültig schluss. Auch wenn man denken würde die familiären Probleme seien stark genug gewesen und die Freundin wäre nur eine kleine Belastung, die in den Hintergrund fallen müsste, so hat mich das mit meiner ersten großen Liebe doch schwer getroffen und fertig gemacht. Ich hatte Tage und Wochen da wollte ich nichtmehr aufstehen, am besten einfach nichtmehr aufwachen. Alles in meinem Leben war unglaublich mies, egal wo ich hinsah. Aber immer wenn ich gefallen bin, egal wie tief, bin ich alleine wieder aufgestanden. Immer. Und das wird auch immer so sein. Mein Vater hat immer gesagt "Wir geben nie auf!" Es spielt keine Rolle wie schlecht alles aussieht, oder wie stark der Schmerz ist. Es geht vorbei und du stehst es durch und fertig. Niemals aufgeben. Nie.
Das Abitur war rum und mein Vater durfte heim. Er sah richtig mies aus. Knochig, dünn, extrem schwach, gelbe Haut und gelbe Augen. Der Anblick hat mich wirklich gebrochen. Und dann mussten wir ihn in eine spezial Aufbauklinik bringen.
Zwei Wochen später war er tot.
Was soll ich über die Zeit sagen. Ich weis noch jeden einzelnen Tag. Wie ich jeden Tag hingefahren bin. (Mir wird heut noch schlecht wenn ich die Strecke fahren muss oder nur daran vorbei komme.) Ich hab ihn draußen spazieren geschoben, ihm seine letzte Zigarette gegeben. Ich weiß, was er zuletzt gegessen hat, wie er das letzte Mal mit mir gesprochen hat. Jeden einzelnen Satz. Alles. Ich weiß wirklich alles und so daran zu denken und das hier zu schreiben ist unbeschreiblich. Innerlich denke ich manchmal bin ich tot oder leer oder keine Ahnung. Es war so schlimm, dass ich lieber selbst da gelegen hätte mit den Schmerzen. Anstatt ihm.
Meine Mutter ist heute Depressiv, mein kleiner Bruder ist abhängig. Ich musste aus Studiengründen ausziehen, denn ich hab trotz meiner familiären Situation ganz nebenbei auch noch mein eigenes Leben versucht zu regeln.
Ich hab hier halt Niemanden und wenn ich am Wochenende nach Hause fahre steck ich in einem Ort voll mit Schlechtem, Negativem und Erdrückendem. Selbst das Haus ist immer noch eine Baustelle. Meine Mum ist zwar krank, geht aber nicht zum Psychologen, egal wie sehr ich sie bitte oder ihr anbiete sie zu begleiten. Es ist ihr Leben ich soll nach mir schauen. Mein Bruder macht sowieso gar nichts. Er sitzt 12-15 Stunden am Tag vorm Rechner im Internet. Schule ist im egal, sein Abschluss dieses Jahr auch. Zudem hasst er mich. Ich hab sein Leben versaut.
Manchmal denke ich, ich bin an allem Schuld. Ich hab die Erziehung damals als ich 10 war und auf meinen Bruder aufpassen musste, weil meine Mutter jeden Tag im Krankenhaus war, nicht hinbekommen. Ich hab irgendwie alles falsch gemacht.
Aber mein eigenes Leben ist eigentlich gar nicht so schlecht. Man wird es nicht glauben, denn ich glaub es selbst nicht... Unter all den Umständen habe ich damals mein Abi mit 1,7 abgeschlossen. Ich habe mir die Türen für eine Zukunft geöffnet, aber mein Vater hat mein Abi nicht mal mehr zu Gesicht bekommen, deshalb ist es mir ein Dreck wert...
Ich habe direkt nach dem Abi mein Studium begonnen, verdiene seit dem mein eigenes Geld, koste meine Mutter keinen Cent mehr und gebe ihr jeden Monat mein Kindergeld zur Unterstützung. Ich hab meine eigene Wohnung, mein eigenes tolles Auto, ich hab mein Leben unter Kontrolle. Aber das alles ist nichts Wert, wenn man einfach so viele Probleme hat und sich einsam fühlt. Äußerlich würden sicherlich Einige gerne tauschen. Um so weniger verstehen die, dass ich so unzufrieden bin.
Ich brauch meinen Dad, meine Familie braucht ihn. Die sind alle krank und ich versuch noch immer alles irgendwie zu regeln. Aber ich merke, ich schaff es nicht die ganze Familie zu stützen.
Ich würde mich selbst als mental, physisch und psychisch gesund und stark bezeichnen. Das hilft mir aber nichts wenn ich die Überreste meiner Familie ansehe. Und Familie ist das wichtigste was es gibt in meinem Leben.
Ich selbst fühle mich einfach extrem einsam. Auch wenn ich viel Kontakt zu gleichaltrigen hab. Geistig bin ich einfach 10 Jahre älter as die alle. Deshalb finde ich auch kein Mädchen mehr.
Als Außenstehender würde man mich sicher als seltsamen Typ bezeichnen. Und das ist bestimmt auch wahr... Ich habe nie wieder geweint seit mein Dad jetzt nicht mehr da ist. Ich war immer stark. Ich trinke eigentlich gar kein Alkohol mehr. Ich kann nicht mehr mit auf Partys gehen - ich schaff das nicht. Kann nicht feiern und uneingeschränkt happy sein. Ich bin wahrscheinlich wirklich komisch. Und ich nehme es keinem übel der so über mich denkt. Schließlich würde ich meine Geschichte niemals von Angesicht zu Angesicht jemandem erzählen. Jeder hat sein Päckchen zu tragen und ich will kein Mitleid etc. ich schreibe das hier auch nur weil ich anonym bin. Mitleid hat noch niemandem geholfen.
Das ist jetzt auf jeden Fall ein kleiner Teil meiner Geschichte. Natürlich nicht alles, aber einige wichtige, prägende Momente.
Jetzt möchte ich einfach nur wissen - von einem Außenstehenden, der gefühlstechnisch keine Verbindung hat.
Wie soll ich weitermachen? Was kann ich für meine Familie tun? Wie/Wo soll/kann ich ein Mädchen kennen lernen, was mich wenigstens annähernd versteht? Ich wäre so unglaublich gerne nicht allein, wünschte mir wieder diese positiven guten Gefühle zu haben, einfach Liebe. Man mag es nicht glauben aber ich bin eigentlich ein Romantiker, selbst verletzlich und jemand der fühlt.
Aber nach allem was ich erlebt habe und vor allem auch der Fall mit meiner Ex haben mich nach außen einfach abgestumpft. Ich habe Angst, dass ich am Anfang zu einem Mädchen unfair wäre, aus Angst sie würde mich wieder nur belügen und betrügen. Wieder mein Herz brechen.
Aber wie überhaupt soll ich denn jemanden kennen lernen, wenn ich nach außen hin kalt bin, nicht auf Partys gehe und mental wahrscheinlich gar nicht mehr 21 bin.
Ich hab viele Fragen... Aber die Antwort ist nicht einfach "geh zum Arzt". Es ist nicht so dass ich Depressionen habe. Die hatte ich sicherlich, aber ich bin immer wieder alleine aufgestanden. Mir geht es soweit gut. Ich fühle mich wohl in meinem Körper, habe eine gute Figur, bin sportlich. Ich denke das ist alles wichtig um mit sich selbst im reinen und soweit ausgeglichen zu sein. Ich bin nur einsam und hätte gerne wieder eine Liebe in meinem Leben. Ich will wissen, wie ich mich ändern kann, ob ich es überhaupt muss, um jemanden zu finden. Sicher habe ich nach außen nicht immer eine tolle positive Ausstrahlung, nicht zuletzt weil ich auch etwas schüchtern bin. Und ich will mich nicht verstellen um jemandem zu imponieren. Sonst müsste ich ja immer verstellt leben. Ich bin so wie ich bin und mich mein bisheriges Leben geformt hat.
Bin ich so, wie ich durch all das jetzt bin, nicht mehr gut? Muss ich mich ändern?
Danke an alle die bis hier gelesen haben.... Ich glaube es hat mir jetzt auch einfach mal gut getan das alles niederzuschreiben - raus zu lassen.
ich schreibe das hier weil ich glaube, einfach mal die Meinung von einem Außenstehenden zu brauchen...
Tut mir leid wenn es vielleicht etwas viel zu lesen ist aber ohne den Hintergrund würde meine Frage keinen Sinn machen. Wer das nicht lesen mag, den versteh ich aber auch.
Also ich bin 21 Jahre alt und alles hat so vor 11 Jahren angefangen. Da war ich denk ein "ganz normaler" 10 Jähriger. Mein Vater ist damals mitten in der Nacht als Notfall vom Krankenwagen geholt worden. Wir Kinder (ich und mein 5 Jahre jüngerer Bruder) haben davon erst am nächsten Tag nach der Schule erfahren. Meine Mutter hat mir damals gesagt ich solle mitkommen Papa besuchen, weil der im Krankenhaus sei. Erstmal ein Schock natürlich aber darum geht es hier ja eigentlich nicht. Es war auf jeden Fall so dass mein Vater notoperiert wurde und gerade noch mal mit dem Leben davon kam. Er hatte Darmkrebs. Das war eine verdammt schwere Zeit ich könnte euch tausende Erinnerungen erzählen die so schlimm bzw. intensiv sind, dass ich noch heute jedes einzelne Detail weiß.
Die Krankheitsgeschichte hat sich auf jeden Fall Jahre lang gezogen mit Hoch und Tiefs. Ich weiß noch wie wir alle geweint haben, als mein Vater nach Jahren den Bescheid bekam, er sei 100% Krebsfrei. Und dann wieder wie er durch die unzähligen OPs auch nach Jahren noch immer wieder unglaubliche Schmerzen hatte. Wie ich mit ihm ins Krankenhaus gefahren bin und er vor Schmerz auf dem Beifahrersitz liegend geschrieen hat und dann direkt vor dem Krankenhaus vor Schmerz neben mir ohnmächtig wurde. Die Ärzte wollten ihn dann nicht behandeln, weil er ganz starke Schmerzmittel brauchte und sie diese nicht einfach so verabreichen durften. Ich habe mit denen rumgeschrien und war auf 180. Und dann als mein Dad doch endlich aufgenommen wurde und ich bei ihm am Bett saß und merkte wie die Schmerzmittel endlich wirkten, weil seine Hand entkrampfte, da fiel dann so ein unglaublicher Druck ab. Eine Erleichterung die man so nicht beschreiben kann. Der Mensch den man über alles liebt, leidet so unglaubliche Schmerzen und schreit und man kann nichts tun. Und dann ist das endlich vorbei und du merkst, dass du eigentlich selbst fix und fertig bist. Und die ganze Zeit dein Körper einfach nur funktioniert hat weil er musste. Und plötzlich schlägt die ganze erlebte Situation erst richtig auf dich ein und fegt dich mental aus den Socken.
So Situationen hat es oft gegeben, ich weiß noch jede Einzelne als sei sie gestern gewesen.
So ging das dann knapp 9 Jahre mit Hoch und Tiefs, wie bereits erwähnt. Irgendwann wurde es dann allgemein etwas besser, man machte schon Pläne wie man den Schmerzmittelentzug schaffen könnte und wir wollten unsere Baustelle welche eigentlich unser Zuhause sein sollte endlich in Angriff nehmen. (Ja, Geldprobleme waren sowieso immer allgegenwärtig. Und auch wenn meine Eltern versucht haben uns Kindern nichts zu zeigen, so hab ich das doch mitbekommen.)
Auf jeden Fall sah man eine Zeit positiv in die Zukunft und war der festen Meinung jetzt würde alles besser. Ich habe dann sogar ein Mädchen kennen gelernt, in welches ich mich verliebte. Eigentlich war alles zum ersten Mal auf einem guten Weg. Ich war kurze Zeit wirklich glücklich. Da war ich 18 Jahre alt, stellte mir vor wie die Zukunft endlich mal für uns spielen würde.
Und dann kam wieder der Tritt ins Gesicht. Mein Vater hatte einen seltsamen "Fleck" auf der Leber und es sollten Proben genommen werden. Ich machte noch Scherze mit ihm um ihn zu beruhigen und abzulenken - es sei bestimmt nur ein "Leberfleck".
Die Proben dauerten lange und mein Abitur fing an. Meine "Freundin" stellte sich als unehrlich und untreu heraus doch ich gab ihr eine zweite Chance, später sogar eine Dritte... Ich brauchte sie. Jemanden an dem ich Halt hatte. Auch wenn ich sie niemals mit meinen Problemen belastet hätte, tat es gut jemanden zu haben, der nichts mit den familiären Problemen zu tun hatte, den man einfach nur unglaublich liebte.
Dann ging alles sehr schnell. Mein Vater hatte Leberkrebs und kam in eine Spezialklinik nach Mainz. Meine Mutter war fast jeden Tag bei ihm, ich besuchte ihn auch oft aber es war sehr schwer für mich. Direkt nach meinem Englischabitur fuhr ich zu ihm und sah wie er schon so extrem abgebaut hatte. Ich musste ihn im Rollstuhl schieben. Meinen Dad, der immer ein kraftvoller Riese gewesen war. Kurz bevor ich zurückfuhr versuchte er aufzustehen und stürzt vor meinen Füßen. Ich kann nicht beschreiben was da in mir vorging aber es fühlt sich an als ob du innerlich zerspringst aber äußerlich nichts zeigen darfst. Du musst stark sein für die anderen, für deine Familie, weil sie brauchen dich. Dein Vater muss wissen dass die Familie im Notfall auch ohne ihn einen Mann im Haus hätte. Deine Mutter muss wissen dass du da bist. Du musst ihr Probleme abnehmen, damit sie nicht überlastet ist. Sie muss wissen, dass sie sich immer an dich wenden kann, du sie in den Arm nimmst und tröstet, wenn sie wieder weinend nach Hause kommt, dass du immer irgendwas positives sagst um die Hoffnung aufrecht zu erhalten, die tief im Menschen auch immer da ist. und dein kleiner Bruder braucht dich auch, er hat über die hälfte seines Lebens seinen Vater nicht gesehen, weil dieser im Krankenhaus war. Du hast für ihn Schulzeug gerichtet, ihn abgeholt, ihm gekocht und ihn ins Bett gebracht, früher sogar die Gutenachtgeschichte vorgelesen.
Also hab ich einfach immer alles irgendwie hinbekommen. Nach dem Besuch meines Vaters in Mainz nach dem Englischabitur habe ich am nächsten Tag mein Matheabitur geschrieben. Und hatte ich bereits erwähnt das die "Freundin" mich erneut betrogen und wieder angelogen hatte? Mit ihr war nun also auch endgültig schluss. Auch wenn man denken würde die familiären Probleme seien stark genug gewesen und die Freundin wäre nur eine kleine Belastung, die in den Hintergrund fallen müsste, so hat mich das mit meiner ersten großen Liebe doch schwer getroffen und fertig gemacht. Ich hatte Tage und Wochen da wollte ich nichtmehr aufstehen, am besten einfach nichtmehr aufwachen. Alles in meinem Leben war unglaublich mies, egal wo ich hinsah. Aber immer wenn ich gefallen bin, egal wie tief, bin ich alleine wieder aufgestanden. Immer. Und das wird auch immer so sein. Mein Vater hat immer gesagt "Wir geben nie auf!" Es spielt keine Rolle wie schlecht alles aussieht, oder wie stark der Schmerz ist. Es geht vorbei und du stehst es durch und fertig. Niemals aufgeben. Nie.
Das Abitur war rum und mein Vater durfte heim. Er sah richtig mies aus. Knochig, dünn, extrem schwach, gelbe Haut und gelbe Augen. Der Anblick hat mich wirklich gebrochen. Und dann mussten wir ihn in eine spezial Aufbauklinik bringen.
Zwei Wochen später war er tot.
Was soll ich über die Zeit sagen. Ich weis noch jeden einzelnen Tag. Wie ich jeden Tag hingefahren bin. (Mir wird heut noch schlecht wenn ich die Strecke fahren muss oder nur daran vorbei komme.) Ich hab ihn draußen spazieren geschoben, ihm seine letzte Zigarette gegeben. Ich weiß, was er zuletzt gegessen hat, wie er das letzte Mal mit mir gesprochen hat. Jeden einzelnen Satz. Alles. Ich weiß wirklich alles und so daran zu denken und das hier zu schreiben ist unbeschreiblich. Innerlich denke ich manchmal bin ich tot oder leer oder keine Ahnung. Es war so schlimm, dass ich lieber selbst da gelegen hätte mit den Schmerzen. Anstatt ihm.
Meine Mutter ist heute Depressiv, mein kleiner Bruder ist abhängig. Ich musste aus Studiengründen ausziehen, denn ich hab trotz meiner familiären Situation ganz nebenbei auch noch mein eigenes Leben versucht zu regeln.
Ich hab hier halt Niemanden und wenn ich am Wochenende nach Hause fahre steck ich in einem Ort voll mit Schlechtem, Negativem und Erdrückendem. Selbst das Haus ist immer noch eine Baustelle. Meine Mum ist zwar krank, geht aber nicht zum Psychologen, egal wie sehr ich sie bitte oder ihr anbiete sie zu begleiten. Es ist ihr Leben ich soll nach mir schauen. Mein Bruder macht sowieso gar nichts. Er sitzt 12-15 Stunden am Tag vorm Rechner im Internet. Schule ist im egal, sein Abschluss dieses Jahr auch. Zudem hasst er mich. Ich hab sein Leben versaut.
Manchmal denke ich, ich bin an allem Schuld. Ich hab die Erziehung damals als ich 10 war und auf meinen Bruder aufpassen musste, weil meine Mutter jeden Tag im Krankenhaus war, nicht hinbekommen. Ich hab irgendwie alles falsch gemacht.
Aber mein eigenes Leben ist eigentlich gar nicht so schlecht. Man wird es nicht glauben, denn ich glaub es selbst nicht... Unter all den Umständen habe ich damals mein Abi mit 1,7 abgeschlossen. Ich habe mir die Türen für eine Zukunft geöffnet, aber mein Vater hat mein Abi nicht mal mehr zu Gesicht bekommen, deshalb ist es mir ein Dreck wert...
Ich habe direkt nach dem Abi mein Studium begonnen, verdiene seit dem mein eigenes Geld, koste meine Mutter keinen Cent mehr und gebe ihr jeden Monat mein Kindergeld zur Unterstützung. Ich hab meine eigene Wohnung, mein eigenes tolles Auto, ich hab mein Leben unter Kontrolle. Aber das alles ist nichts Wert, wenn man einfach so viele Probleme hat und sich einsam fühlt. Äußerlich würden sicherlich Einige gerne tauschen. Um so weniger verstehen die, dass ich so unzufrieden bin.
Ich brauch meinen Dad, meine Familie braucht ihn. Die sind alle krank und ich versuch noch immer alles irgendwie zu regeln. Aber ich merke, ich schaff es nicht die ganze Familie zu stützen.
Ich würde mich selbst als mental, physisch und psychisch gesund und stark bezeichnen. Das hilft mir aber nichts wenn ich die Überreste meiner Familie ansehe. Und Familie ist das wichtigste was es gibt in meinem Leben.
Ich selbst fühle mich einfach extrem einsam. Auch wenn ich viel Kontakt zu gleichaltrigen hab. Geistig bin ich einfach 10 Jahre älter as die alle. Deshalb finde ich auch kein Mädchen mehr.
Als Außenstehender würde man mich sicher als seltsamen Typ bezeichnen. Und das ist bestimmt auch wahr... Ich habe nie wieder geweint seit mein Dad jetzt nicht mehr da ist. Ich war immer stark. Ich trinke eigentlich gar kein Alkohol mehr. Ich kann nicht mehr mit auf Partys gehen - ich schaff das nicht. Kann nicht feiern und uneingeschränkt happy sein. Ich bin wahrscheinlich wirklich komisch. Und ich nehme es keinem übel der so über mich denkt. Schließlich würde ich meine Geschichte niemals von Angesicht zu Angesicht jemandem erzählen. Jeder hat sein Päckchen zu tragen und ich will kein Mitleid etc. ich schreibe das hier auch nur weil ich anonym bin. Mitleid hat noch niemandem geholfen.
Das ist jetzt auf jeden Fall ein kleiner Teil meiner Geschichte. Natürlich nicht alles, aber einige wichtige, prägende Momente.
Jetzt möchte ich einfach nur wissen - von einem Außenstehenden, der gefühlstechnisch keine Verbindung hat.
Wie soll ich weitermachen? Was kann ich für meine Familie tun? Wie/Wo soll/kann ich ein Mädchen kennen lernen, was mich wenigstens annähernd versteht? Ich wäre so unglaublich gerne nicht allein, wünschte mir wieder diese positiven guten Gefühle zu haben, einfach Liebe. Man mag es nicht glauben aber ich bin eigentlich ein Romantiker, selbst verletzlich und jemand der fühlt.
Aber nach allem was ich erlebt habe und vor allem auch der Fall mit meiner Ex haben mich nach außen einfach abgestumpft. Ich habe Angst, dass ich am Anfang zu einem Mädchen unfair wäre, aus Angst sie würde mich wieder nur belügen und betrügen. Wieder mein Herz brechen.
Aber wie überhaupt soll ich denn jemanden kennen lernen, wenn ich nach außen hin kalt bin, nicht auf Partys gehe und mental wahrscheinlich gar nicht mehr 21 bin.
Ich hab viele Fragen... Aber die Antwort ist nicht einfach "geh zum Arzt". Es ist nicht so dass ich Depressionen habe. Die hatte ich sicherlich, aber ich bin immer wieder alleine aufgestanden. Mir geht es soweit gut. Ich fühle mich wohl in meinem Körper, habe eine gute Figur, bin sportlich. Ich denke das ist alles wichtig um mit sich selbst im reinen und soweit ausgeglichen zu sein. Ich bin nur einsam und hätte gerne wieder eine Liebe in meinem Leben. Ich will wissen, wie ich mich ändern kann, ob ich es überhaupt muss, um jemanden zu finden. Sicher habe ich nach außen nicht immer eine tolle positive Ausstrahlung, nicht zuletzt weil ich auch etwas schüchtern bin. Und ich will mich nicht verstellen um jemandem zu imponieren. Sonst müsste ich ja immer verstellt leben. Ich bin so wie ich bin und mich mein bisheriges Leben geformt hat.
Bin ich so, wie ich durch all das jetzt bin, nicht mehr gut? Muss ich mich ändern?
Danke an alle die bis hier gelesen haben.... Ich glaube es hat mir jetzt auch einfach mal gut getan das alles niederzuschreiben - raus zu lassen.