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Frage zur Definition persönlicher und Charakterlicher Reife

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Hallo, ich muss mal etwas weiter ausholen. Eine Frage die mich schon ein ganzes Weilchen beschäftigt ist wie andere Menschen der Begriff "Reife" definieren.
Ich bin männlich, 32 Jahre alt, und durfte mir schon des Öfteren von Bekannten und Freunden vorwerfen lassen ich sei "unreif", bzw. habe nichts erreicht im Leben.
Ich habe aus dem Grund neuerdings begonnen, mein Verhalten und meine Lebensumstände genauer zu reflektieren. Nach dem Abitur habe ich studiert, und mich danach recht schnell selbständig gemacht, besitze momentan ein kleines Dienstleistungsunternehmen mit fünf Mitarbeitern, und habe vor zwei Jahren promoviert. Ich lebe in einer zwar sehr kleinen, aber auch sehr sehr schönen 65qm-Wohnung zur Miete. Als kleine Altersvorsorge besitze ich außerdem zwei mittlere Eigentumswohnungen. Hobbymäßig trainiere ich viel, spiele in einer Band, und kümmere mich um meinen kleinen Hund. Außerdem habe ich begonnen, an einer Fernuniversität Psychologie zu studieren. Ich bin ein sehr humorvoller Mensch, mit einer zugegebenermaßen leichten Tendenz zur Kindischkeit.
Zwar habe ich eine (ziemlich junge) Freundin, aber das ist von meiner wie auch ihrer Seite eine eher lockere Liaison. Meine beiden vorherigen, langjährigen Beziehungen sind leider zerbrochen, da beide Frauen mich belogen und betrogen haben.
Viele meiner Freunde und Bekannten sind indessen in festen Händen, bekommen Kinder, und bauen Häuser. Ich habe den Eindruck, dass dieser Fakt bei manchen meiner Bekannten zu wahren Höhenflügen führt, was dann mir gegenüber wiederum Aussagen wie die oben genannten bedingt.
Ich stelle das mal am Beispiel eines langjährigen Freundes dar: Er hat vor vier Jahren bei einer Online-Partnerbörse eine Frau kennengelernt. Sie kamen recht schnell zusammen, und seine Freundin ist jetzt schwanger. Sie haben sich im Zuge dessen dazu entschlossen ein Haus zu bauen, und auch mit der Hilfe ihrer beiden Eltern einen Kredit bekommen. Er verdient allerdings nicht einmal die Hälfte dessen, was ich im Monat zur Verfügung habe, und ich hätte mir einen Kredit in dieser Größenordnung nie im Leben ans Knie genagelt. Seine Frau fällt als Erwerbstätige ja erst einmal absehbar aus, das heißt, er hat das einzige Einkommen. Dazu kommt noch, dass der Kredit so geartet ist, dass er eine sehr niedrige Tilgungsrate hat, was im Endeffekt dazu führt, dass selbst nach der Kreditlaufzeit von 34 Jahren noch ein erkleckliches Sümmchen offen ist; und das trotz der Tatsache, dass sie das eigentliche Haus bis dahin bereits eineinhalbfach bezahlt haben.
Außerdem ist er der Meinung, die Betriebskosten für ein Einfamilienhaus würden bei sparsamer Herangehensweise ähnlich niedrig ausfallen wie die für ihre derzeitige 80qm-Wohnung, was ich allerdings für vollkommen utopisch erachte.
Ich habe ihm das mal vorsichtig durchgerechnet, aber er schlägt konsequent alle Bedenken in den Wind. Dazu kommt auch noch, dass die Beziehung momentan nicht sonderlich gut läuft. Seine Freundin führt sich ihm gegenüber sehr herrisch und übergriffig auf, und er hat auch anklingen lassen, dass sie die treibende Kraft hinter dem Hausbau ist, obwohl sie ihm auf absehbare Zeit weder beim Innenausbau helfen, noch finanziell etwas dazu beisteuern kann.
Trotzdem ist er einer der Leute, die meinen Lebensstil und meinen Habitus, vor allem wegen meiner fehlenden Verpflichtungen als "unreif" bezeichnen.
Ich könnte noch weitere solcher Beispiele anführen, wo Freunde und/ oder Bekannte für meinen Geschmack mit etwas zuviel Herablassung auf meinen Lebensstil reagieren. Oft hat man "nichts erreicht" wenn man keine Frau und keine Kinder hat, keinen dicken, auf Pump gekauften Schlitten fährt, oder gar ein Haus besitzt. Ich habe zwar durchaus ein Auto, und noch nichtmal ein billiges, aber laufe viele Strecken, oder fahre mit dem Fahrrad.
Der Höhepunkt war letztens als mein eigener Cousin, den seine Firma vor Kurzem aufgrund zu vieler Fehltage entlassen hat, und der in einem schmutzigen Scheidungskrieg steckt, bei dem abzusehen ist, dass er den Kürzeren ziehen wird, zu mir gesagt hat, ich hätte doch gar keine Lebenserfahrung und solle doch erstmal da "hin riechen, wo [er] schon überall hingepinkelt" hätte. Dabei war schon als er geheiratet hat, abzusehen, dass die Sache zwischen ihr und ihm nicht gut geht. Sie hatten keinerlei gemeinsame Interessen oder Hobbys, außerdem hat sie ihn schon vor der Ehe oft emotional erpresst. Dass sich das nachher nicht unbedingt bessern würde, war vollkommen klar. Sie lässt sich übrigens unter Anderem von ihm scheiden, weil sie einen fünf Jahre jüngeren Geliebten hat, der zwar nichts allzu Verbindliches will, sie aber an einer ebenso kurzen Leine hält, wie sie meinen Cousin gehalten hat.
Natürlich hängen ihre gemeinsamen Kinder mit im Drama drin.

So ein Verhalten finde ich persönlich viel eher unreif. Sowohl bei der Kurzsichtigkeit meines Bekannten in Bezug auf das Haus, als ebenso das herablassende Verhalten meines Cousins mir gegenüber. Für mich ist "Unreife" kein Habitus, oder Humor, oder eine Lebenseinstellung, oder die Tatsache, dass meine derzeitige Freundin elf Jahre jünger ist. (Was übrigens auch immer wieder mal als Argument ins Feld geführt wird.)
Ich definiere Reife in dem Sinne, dass man die Konsequenzen seines Handelns adäquat abschätzen kann, sich anderen Menschen gegenüber respektvoll und nicht übergriffig benimmt, und unter allen Umständen zumindest versucht einigermaßen vorausschauend zu agieren.
Mich würde interessieren, wer das zumindest ähnlich sieht, oder vielleicht auch eine zwar konträre, aber gute argumentierte Ansicht vertritt.

Mit freundlichen Grüßen 🙂
 
Ich definiere Reife in dem Sinne, dass man die Konsequenzen seines Handelns adäquat abschätzen kann, sich anderen Menschen gegenüber respektvoll und nicht übergriffig benimmt, und unter allen Umständen zumindest versucht einigermaßen vorausschauend zu agieren.


Mit freundlichen Grüßen 🙂

Ich finde, das klingt vernünftig. So ähnlich würde ich "Reife" wohl auch definieren.

Bezüglich deines Freundes und deines Cousins: Versuche, dir das nicht zu nahe gehen zu lassen. Wenn die beiden dich mit ihren Aussagen wirklich verletzen, gehe auf Distanz. Aber zerbricht dir nicht den Kopf. Jeder hat andere Lebensvorstellungen und Ziele und wer das nicht akzeptieren kann, ist meiner Meinung nach viel eher unreif als jemand wie du. Ich kann an deinem Lebensstil jedenfalls nichts "Unreifes" ausmachen.
 
Ein tolles Thema! Lass uns mal sehen was mir dazu einfällt:

Der Begriff der Reife kann an allen möglichen äußeren Symbolen und Dingen festgemacht werden. Jeder definiert ihn in der Regel so, dass er selbst möglichst gut dabei wegkommt. Ich persönlich definiere Reife als etwas, dass einen inneren Zustand im persönlichen Entwicklungsprozess beschreibt. Äußere Begebenheiten ergeben sich natürlich auch aus inneren Zuständen und so können diese Tatsächlich ein symbolischer Audruck für innere Reife sein, sie müssen es aber nicht zwangsläufig sein. Wenn wir uns beispielsweise darauf einigen würden, dass ein Haus und ein Hund klare Zeichen innerer Reife sind, dann reicht es im Umkehrschluss offenbar schon, irgendwie an Haus und Hund gekommen zu sein, um als reife Persönlichkeit zu gelten. Wenn Reife aber das Ergebnis eines inneren Lern- und Entwicklungsprozesses ist, so müssen wir fragen, in welcher Beziehung denn Haus und Hund zu bestimmten Entwicklungsvorgängen gehört. Man kann antworten, dass es für bestimmte äußere Gegebenheiten einer bestimmten inneren Grundlage, sozusagen als Nährboden bedarf. Zweifelhaft bleibt bei einer solchen Beurteilung aber immer, of das äußere Symbol tatsächlich Ausdruck tiefer persönlicher Reife ist oder lediglich zu dem Zwecke angeschafft wurde, im Rahmen der Gesellschaftlichen Konventionen über die Symbolik der Reife als solche zu erscheinen. Was wir an dieser Stelle lernen ist, dass eine nach innerlichen Kriterien definierte Reife offenbar nicht allein an Äußerlichkeiten festgemacht werden darf, wenngleich ein solcher Zusammenhang natürlich nicht generell abgestritten werden darf. Wir können aber davon ausgehen, dass wenn bestimmte Symbole in einem sozialen Wettbewerb als Zeichen der eigenen Reife angeführt werden, die Gefahr wächst, dass derartige Symbole einzig zum Vorteil im sozialen Wettbewerb und eben nicht als Ausdruck einer wirklichen Reife angeschafft sind.

Wir müssen an dieser Stelle also den Blick nach innen wenden und die Frage beantworten, wie denn ein innerer Reifungsprozess aussieht. Erst dann werden wir in der Lage sein zu entscheiden, welche äußeren Symbole und Begebenheiten überhaupt als Ausdruck bestimmter Stadien und Zustände dieses Prozesses gelten können. Eine Möglichkeit, einen solchen Prozess zu definieren zeigt Sokrates: Wir müssen alle unsere Vorstellungen über die Dinge überprüfen und uns der generellen Möglichkeit von unerkannten Fehlurteilen stellen. Je besser ich mich selbst in meinen Ansichten, meinen Zielen und meinen Denkmustern durchschaue, desto mehr wird mir klar, wie alle Wahrnehmung letzlich immer eine Hypothese darstellt und niemals die Wahrheit als solche offenbaren kann. In allem was ich tue muss mir also klar sein, dass ich stets Hypothesen verwende und ich muss die Resultate meines Handelns als Verifikation oder Falsifikation dieser Hypothesen (nach streng wissenschaftlichem Ansatz) zu deuten lernen. Im Laufe dieses Prozesses wird meine Wahrnehmung der Welt immer wahrheisähnlicher, während ich mir über mein nicht-Wissen immer bewusster werde. Das Maß, in dem ich so zu denken und zu handeln vermag, können wir als Reifegrad der Persönlichkeit definieren. Dieses Konzept erfährt von der modernen Neurobiologie großen Zuspruch.

Meiner Meinung nach fürht eine rein sokratische Definition von Reife aber nicht weit genug. Denn es beantwortet nicht die Frage, wie wir als Menschen leben und uns Verhalten. Allgemein können wir hier überlegen, dass wir mit zunehmender Lebenserfahrung immer mehr Aspekte des Daseins kennengelernt haben. Wir haben die Höhen und Tiefen des Lebens erfahren, die Depression genauso wie Zustände vollkommenen Glückes. Manche Dinge sind uns gelungen und andere sind gescheitert. Je mehr wir also erlebt haben, umso weiter reicht unser Verständnis sowohl für systembedingte Zusammenhänge als auch für das Verhalten und die Motive anderer Menschen. Je mehr Aspekte der Wirklichkeit wir in unser Weltbild integrieren, sie als Teil der Welt kennelernen, desto verständnisvoller, weiser und gelassener werden wir in Bezug auf die Höhen und Tiefen des Lebens. Wir haben alles schonmal erlebt und wissen, was zu tun ist. Je älter wir werden, desto größer wird zu dem die Zeitspanne, zu der wir Ereignisse in Beziehung setzen. Für ein Baby sind bereits 10 Minuten ohne seine Mutter eine Hölle auf Erden, während ein alter Mensch alles was passiert in Beziehung zu dem jahrzehntelangen Kunstwerk seines Leben in Beziehung setzt. Selbst ein Jahr bedeutet hier kaum noch etwas. Während ein Baby von Moment zu Moment seinen spontanen Emotionen nachgehen muss, kann ein alter Mensch diese über seine Lebenserfahrung relativieren und damit hemmen. Lebenserfahrung wirkt also wie ein Glättungsfilter für Emotionen, um mal eine technische Terminologie zu verwenden.

Ein dritter Aspekt betrifft in meinen Augen die sprachlichen und kommunikativen Fähigkeiten eines Menschen. Stoßen wir als Babys undifferenzierte Laute aus, um auf unsere Bedürfnisse aufmerksam zu machen, so entwickelt sich durch ständige Ausdifferenzierung dieser Äußerungen in doppelter Kontingenz mit den uns umgebenden sozialen Strukturen, der Sprache unserer Bezugsgruppe, die Fähigkeit zum Sprechen. Machen wir auch als Erwachsene neue Erfahrungen, lernen wir neue Aspekte des Daseins kennen, so reichen unsere sprachlichen Fähigkeiten oft nicht mehr aus, um die neuen Erfahrungen kommunikativ zu integrieren. Oft bietet die Sprache unserer Bezugsgruppe nicht die nötigen Begriffe und Konzepte, um bestimmte Erfahrungen mitzuteilen. Jeder Depressive kann davon ein Lied singen, der mal versucht hat, mit Freunden und Familie über seine Problematik zu sprechen und eine gemeinsame Sprache für die Thematik dafür zu finden. Formen des bildhaften und symbolischen Ausdrucks in Kunst und Literatur bieten hier oft Auswege, das Unaussprechliche zu kommunizieren.

Wir haben nun, grob umrissen, den Prozesscharakter menschlicher Entwicklung kennengelernt.
Kehren wir nach dem gesagten schließlich zur Anfangsfrage zurück: Welche äußeren Dinge und Begebenheiten verdienen es nun, reif genannt zu werden? Ich denke es ist im wesentlichen die Haltung und die durchscheinende Selbsterkenntnis, die Fähigkeit zur emotionalen Selbstregulation und die Fähigkeit zu Empathie und Verständnis, die Zeichen von Reife darstellen. In diesem Kontext können Haus, Frau und Kind tatsächlich solche Zeichen sein. Wenn der Umgang mit Frau und Kindern liebevoll ist, man sich über die notwendigen Einschränkungen vollauf im Klaren ist und man zu geben bereit ist, ohne eine Gegenleistung zu fordern. All das sind deutliche Zeichen.
Dabei ist es wie gesagt oft schwer zu unterscheiden, ob derartige Zeichen tatsächlich ein Resultat innerer Reife sind oder nur vorgetäuscht werden, um reif zu erscheinen. Viele Menschen verstecken ihre wahren Gefühle um nicht als unreif zu gelten.

Soweit mal einige Gedanken zu diesem, wie ich finde, sehr spannenden Thema.
 

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