Hallöchen,
ich bin gerade aufgrund von Recherchen hier (und auf anderen Foren) gelandet und beim zunehmend überfliegendem Lesen der Antworten auf solche Posts wie deine wächst in mir der Frust.
Erst einmal finde ich es auch gut, dass du sehr offen davon berichtest wie du deine Situation wahrnimmst und nach Hilfe suchst. Ich weiß bloß nicht, ob ein Forum der richtige Ort dafür ist. Es ist garantiert die schnellste, einfachste erste Anlaufstelle um mal zu schauen, was Andere von der eigenen Situation halten, wie die das so einschätzen und im besten Fall vielleicht jemanden zu finden, der ähnliche Erfahrungen gemacht hat.
Ich zum Beispiel kann deine Situation gut nachempfinden, ich habe auch einige Umwege hinter mir und bin auch jetzt noch nicht an einem Punkt, an dem ich behaupten könnte, gewisse Zweifel und unförderliches Studienverhalten hinter mir gelassen zu haben (2009 Abi, danach FSJ, keine Ahnung was ich machen soll, 2 Semester Studium und Abbruch, Gap-Year mit Nebenjob und kurzen Praktika, neues Studium begonnen und mit 2 Urlaubssemestern jetzt im offiziell letzten Semester der Regelstudienzeit - und noch mit einigen Leistungen rückständig, den Bachelor möchte ich nächstes Jahr abschließen.. aber 100% sicher ist das auch nicht. Wirklich irgendwo angekommen fühle ich mich auch jetzt noch nicht).
Seit ich mich mit meinen Problemen mehr beschäftige, ärgere ich mich selbst darüber, vor meinem Studium nicht einfach eine Ausbildung gemacht zu haben. Anders, als du es von dir berichtest, wollte ich nie studieren. Ich wollte nie etwas bestimmtes. Stattdessen hat mir mein Umfeld das Gefühl gegeben, ich müsste studieren! Wozu habe ich schließlich ein Abitur bestritten - das schwang immer mit. In der Schule waren das solche Aussagen wie "eine Ausbildung wäre viel zu einfach!", meine Großeltern wollten mit mir darüber reden, was ich denn studieren würde - die Ausbildung hatten sie mit dieser Herangehensweise also für mich abgeschlossen. Und meinen Eltern war es letztlich egal. Ich habe mich also ohne es zu bemerken (unbewusst) indirekt auf einen bestimmten Weg drücken lassen. Beste Voraussetzungen! Insofern "wollte" ich auch studieren - um den Erwartungen meiner Umwelt gerecht zu werden und keine Enttäuschung zu sein.
Ich erzähl davon, um die meine Erkenntnis bzgl. meiner Situation näherzubringen. Möglicherweise ist dein "studieren wollen" auch nichts, was du bewusst entschieden hast, sondern was du aufgrund äußerer Faktoren als "besten Weg" einschätzt. Als etwas, worauf man stolz sein kann oder als "Erfolg". Denn "studieren wollen" ist sehr abstrakt. Studieren ist der Weg zu einem Ziel, nicht das Ziel selbst. Und in der Regel studiert man, weil man damit etwas bestimmtes erreichen möchte. Da hilft auch "der Weg ist das Ziel" nicht viel.
Das muss aber natürlich nicht sein. Leute wie wir, die auf solche Hilferufe eingehen, sollten sich bewusst davon distanzieren zu behaupten, dass sie wissen, wie du dich fühlst oder was für dich jetzt "der richtige Schritt" wäre - woher auch. Ich werd ärgerlich, wenn ich Antworten lese, in denen gleich irgendetwas diagnostiziert wird oder in der jemand behauptet, aufgrund von deiner Beschreibung dein "Hauptproblem" ausgemacht zu haben. Totaler Schwachsinn.
So hilfreich es auch sein kann, sich bei Mitmenschen, fremden oder bekannten, umzuhören, desto größer ist aber auch das Potential, auf Unverständnis zu stoßen. Oder vermeintliches Verständnis. Je nachdem, wie man emotional gesattelt bist, kann einen das negativ beeinflussen. Auf Unverständnis und Ablehnung zu stoßen kann sehr kränkend sein. Falsch verstanden zu werden kann frustrierend sein und das Gefühl mit sich bringen, mit seiner Situation allein dazustehen. Und selbst die, die schon in einer ähnlichen Situation waren wie du (oder denken, es gewesen zu sein), können eine Lösung für sich gefunden haben, die du für dich (zurzeit noch) nicht siehst.
Ich habe zum Beispiel nach dem Abi, 2010, für ein paar Wochen eine Psychotherapeutin aufgesucht weil ich in meinem FSJ mit einem Projekt ohne jegliche Betreuung allein gelassen und überfordert war. Das war zwar ganz nett, hat aber an meinem Problem zu der Zeit überhaupt nicht gegriffen. In meinem zweiten Studium hab ich Ende des zweiten Semesters gemerkt, wie meine anfängliche "Faulheit" mehr und mehr in Lethargie umschwang (und eigentlich schon eine Depression war). Ich wusste nicht wohin genau ich mich wenden konnte, also hab ich mir wieder einen Therapeuten gesucht (wobei selbst die Entscheidung dazu schon Überwindung und Zeit gekostet hat, was sollte ich dem denn sagen? Dass ich nix mehr gebacken kriege? Wie lächerlich). Dieser Therapeut jedoch entgegnete mir unsensibel und forsch - er wollte quasi von mir wissen, was ich bei ihm wollte, dass ich bereits mit einer ersten Diagnose komme (dazu wäre ein guter Hausarzt sehr hilfreich) und machte mir gleich zur ersten probatorischen Sitzung (google please) deutlich, dass er nicht der Richtige für mich sei. Er war Tiefenpsychologe und sah mich eher in der Verhaltenstherapie (auch zu googlen), da ich ja Probleme mit der Erledigung meiner studentischen Pflichten hatte.
An dieser Stelle sei angemerkt, dass allein die Suche nach einem Therapeuten, der noch Patienten nimmt und einen auch gut behandelt, eine nervenaufreibende Tortur ist - viele haben eine oder zwei telefonische Sprechstunden (wortwörtlich: eine Stunde) in der Woche, manche einen Anrufbeantworter. Manche sind verständnisvoll und nehmen sich Zeit für einen potentiellen neuen Patienten, andere sind A*********. Auch Psychologen sind nur Menschen und auch wenn sie ihr Handwerk verstehen, heißt das noch lange nicht, dass sie selbst nicht bestimmten charakterlichen Mustern (und Defiziten) unterliegen können.
Der Tiefenpsychologe, von dem ich oben schrieb, hatte mich nach einem oberflächlichen Blick abgeschoben. Interessant ist, vorwegzugreifen, dass ich nach einigen Umwegen letztlich trotzdem bei tiefenpsychologischen Therapiemaßnahmen hängen geblieben bin.
Anstatt meine therapeutische Rundreise weiter auszubauen, ist es vielleicht doch mal wichtig zu erwähnen, dass Verhaltenstherapie und Tiefenpsychologie sich nicht ausschließen. Es sind verschiedene Ansätze und es ist nicht zwangsläufig das Problem, mit dem du kommst, entscheidend dafür, welche Therapie für dich "die Richtige" ist.
Studienschwierigkeiten zum Beispiel. Natürlich sind "Faulheit"/Arbeitsverweigerung und Prokrastination (Aufschieberitis) problematisches Verhalten und manch einer kann mit etwas mehr bewusster Auseinandersetzung damit und Gegenmaßnahmen schon eine Menge ändern! Manchmal (und das nicht allzu selten) kann es jedoch wichtiger oder gar notwendig sein, zu gucken, wie der emotionale Haushalt ist. Mit welchen Ängsten und Zweifeln man bewusst und unbewusst zu tun hat, sie man sich selbst und die Welt wahrnimmt und wie man mit seinen Emotionen und Gedanken umgeht. Zum Beispiel kann ein sehr geringer Selbstwert (das heißt, sich selbst sehr negativ wahrzunehmen, nicht an sich zu glauben oder gar zu denken, man sei nichts wert) dazu führen, dass man nichts mit sich anzufangen weiß, sich nichts zutraut und sich nicht dazu in der Lage fühlt, Entscheidungen zu treffen. Soziophobes Verhalten kann (! u.a.) durch eine Angst vor Zurückweisung und Ablehnung genährt werden oder durch einer generellen Unsicherheit im Umgang mit anderen Menschen (z.B. durch wiederholt schlechte Erfahrungen, die Angst etwas falsch zu machen, Angst vor Schamgefühlen - steht oft im Zusammenhang mit dem Selbstwert). Es gibt Menschen, die ständig mit dem Gefühl, von anderen be- und verurteilt zu werden, durch die Welt gehen und deshalb den Kontakt meiden.
Interessanter- (und trauriger-)weise sind viele solcher Ängste/Phobien nicht der gängigen Logik folgend. Es bringt also nichts, jemandem zu erzählen, man hätte gerade Panik weil einen der Typ da gegenüber im Bus so prüfend anschaut, wenn derjenige nicht verstehen kann, wie so ein Gefühl zustande kommt. Das ist das Problem mit Foren - keiner kann wirklich wissen, was dein Problem ist. Nicht mal die Betroffenen selbst wissen genau, was ihre Probleme sind. Manchmal steckt sehr viel mehr hinter der "Faulheit" einer Person oder ihrer "asozialen" Art.
Very long story abgekürzt: ich hatte ein paar unhilfreiche und unangehme Situationen auf meiner Suche nach Hilfe. Aber die besten Erfahrungen habe ich mit der Allgemeinen Studienberatung und der Psychosozialen Studierendenberatung /Studentenberatung meiner Universität gemacht. Ich denke, das können an jeder Uni sehr gute erste Anlaufstellen sein - idR ist man nicht der erste Student mit Problemen und gute Beratungsangebote lernen mit der Zahl ihrer Fälle auch dazu.
Außerdem war ich letztes Jahr, als gar nichts mehr ging und ich tagein tagaus nur noch am heulen war und ein Nervenzusammenbruch den anderen jagte, mit Hilfe der Psychosozialen St.beratung sehr schnell an einen Platz in der stationären Psychotherapie (Psychosomatik, nicht Psychiatrie - da gibt es Unterschiede) gekommen. Das kann man sich vorstellen wie einen "geschützten" Raum abseits des hektischen Alltags, der einem mit verschiedenen Therapie-Angeboten und einer klaren Struktur hilft, Abstand von externen Problemen (Uni, Arbeit, Familie & Beziehungen.. Finanzen?) zu nehmen und sich ganz sich selbst zu widmen - ist aber keine Kur, sondern im besten Fall emotional harte Arbeit. Dabei "wohnt" und lebt man quasi für einige Wochen mit anderen Patienten zusammen auf der Station, die meisten Therapien finden in Gruppen statt. Das kann cool sein oder schrecklich, je nachdem wie gut man mit den anderen kann - oder die mit einem. Aber es ist eine unglaublich wertvolle Erfahrung, weil man sich zum ersten mal die Zeitnehmen kann (und sollte), über das eigene Denken und Fühlen (und Handeln) zu reflektieren. Warum kann ich die Person nicht leiden? Warum nervt mich dieses Verhalten an mir? Warum habe ich vor bestimmten Dingen Angst? Woher kommen bestimmte Denkstrukturen in mir? Solche Fragen machen tiefenpsychologisch fundierte Therapien aus.
Ich könnt noch zig Geschichten und Anekdoten und interessante Erkenntnisse teilen aber Fakt ist, es gibt Menschen, die dafür ausgebildet und eingesetzt sind, dir in Form von Beratungen zu helfen! Und egal was das eigentliche Problem ist, diese Menschen können (idR) verständnisvoll aber mit der nötigen Distanz einen Blick von außen auf die eigene Situation werfen. Privatpersonen so wie ich oder andere Forenbeitragsschreiber können im Idealfall bloß ihre eigenen Erfahrungen mit dir teilen und ein jeder sollte sich gefälligst hüten, von sich selbst und von seiner Sicht auf die Welt auf andere zu schließen und etwas verantwortungsvoller mit Laiendiagnosen sein!
Ich bin nicht weiter auf deine persönliche Situation eingegangen, weil ich das einfach nicht als etwas sehe, zu dem ich eine Aussage treffen kann. Ich denke aber, dass es auf jeden Fall ratsam wäre, dass du dein Studium vielleicht erst einmal durch ein Urlaubssemester pausierst damit du dir die Zeit nehmen kannst herauszufinden, was es ist, das für dich gerade am wichtigsten ist. Danach kannst du immer noch abbrechen. Aber sobald du erst einmal raus bist, fragt dich der Staat, was als nächstes kommt? Du kannst der "Bringepflicht" also nicht ohne Weiteres entfliehen und wenn du in der Ausbildung doch keine Freunde finden solltest, wie du es dir wünschst, haut dich das vielleicht erneut raus. Überforderung muss kein anhaltender Zustand sein - du könntest die Auszeit auch nehmen, eben um Freunde zu finden (wenn man das so einfach darstellen kann). Wenn du aber weißt (!), warum das Studium nichts für dich ist und dass sich das auch nicht ändern wird - Abbrechen ist immer eine legitime Möglichkeit. Aber tatsächlich würde ich raten, dass du es mal bei der Studienberatung oder anderen Angeboten der Universität versuchst, die sich darauf spezialisiert haben, zu helfen oder ggf. weiterzuvermitteln.