Ich habe meinen sterbenden Vater nicht mehr im KH besucht, weil ich zu feige war.

Gänseblümchen1984

Neues Mitglied
Guten Morgen.

Ich muss mir heute mal etwas von der Seele schreiben. Im Januar 2017 ist mein geliebter Vater nach einem langen Leidensweg an einer schweren Krebserkrankung gestorben, ziemlich genau ein Jahr nach der Diagnose.

Mein Vater war für mich alles, er war unheimlich großzügig, humorvoll, intelligent und hilfsbereit. Für meine Mutter war er ein toller Ehemann und für mich mehr sowas wie mein bester Freund als "nur" ein Vater und Autoritätsperson.

Während seiner zahlreichen Krankenhausaufenthalte besuchte ich ihn so oft es ging (mindestens einmal pro Woche), kaufte ihmBücher oder aufladbare Gutscheine, damit er sich Musik auf seinen Laptop laden konnte, versuchte ihn aufzumuntern oder einfach Zeit mit ihm zu verbringen.

An Weihnachten 2016, einen Monat vor seinem Tod, ging es dann steil bergab. Der Krebs hatte in alle erdenklichen Organe gestreut, zerstörte meinen Vater systematisch von innen und aufgrund des inzwischen massiv geringen Sauerstoffgehalts in seinem Blut war er komplett verwirrt und redete nur noch zusammenhangslose Dinge, sah Spinnen an der Wand krabbeln oder Personen im Zimmer stehen, die gar nicht da waren. Zudem hustete er Blut. Für mich war das Ganze so schrecklich mitanzusehen, weil ich einfach nur hilflos danebenstehen und nichts tun konnte. Nur warten, bis das Leid endlich ein Ende hat.

4 Tage vor seinem Tod wurde meiner Mutter klar, dass es verantwortungslos wäre, ihn weiterhin daheim zu pflegen. Er hatte Schmerzen, musste permanent mit Morphium versorgt werden. Also kam er auf die Palliativstation in unserem örtlichen Krankenhaus. Zum großen Schrecken meiner Mutter waren einige der Schwestern dort alles andere als freundlich oder mitfühlend. Viele waren einfach nur genervt, unfreundlich, herrschten sogar meinen Vater in seinem unterirdisch schlechten Zustand noch an, weil er vor Schmerzen schrie, als ihm die Windel gewechselt wurde. Ihm wurde an seinem letzten Lebenstag ein Glas Orangensaft verwehrt, denn "Das gibts nur für Privatpatienten!".

Als meine Mutter mir das am Telefon erzählte und auch, dass er gar nicht mehr aussah wie er selbst, sondern fahl, eingefallen und mit komplett leerem Blick, brach ich zusammen. Sie fragte mich mehrfach, ob ich ihn nicht nochmal sehen wolle, der Arzt glaube nicht, dass er die Nacht noch überlebt. Und was tat ich? Ich bin nicht hingegangen. Die ganzen letzten 4 Tage, die er auf der Palliativ lag in diesem schrecklichen Krankenhaus habe ich feiges A****loch es nicht geschafft, meinen sterbenden Vater nochmal zu besuchen.

Ich habe mir damals eingeredet, dass ich es nicht übers Herz bringe ihn so zu sehen, dass ich ihn wenigstens noch in einigermaßen guter Erinnerung behalten will. Dass er mich in seinem Zustand eh nicht erkennen würde. Aber ich wusste im Grunde, dass diese Gründe einfach nur vorgeschoben waren. Der wahre Grund ist, ich war einfach zu feige. Und dafür hasse ich mich abgrundtief und werde ich vermutlich auch immer tun, denn ich habe meinem Vater nicht auf Wiedersehen gesagt. Meine Mutter sagte hinterher, er hätte sich zwar nicht mehr mitteilen können, aber sie glaube, er hätte auf mich gewartet - und ich bin nicht gekommen.

Mir tut das alles so wahnsinnig leid und es ist auch kein Trost für mich, dass ich ja sonst immer für ihn da war und ihn besucht habe, denn in seinen letzten schweren Stunden war ich es nicht. Ich weiß nicht, was ich mir von dem Post erhoffe, ich wollte einfach mal niederschreiben, wie sehr mich diese Situation belastet und wie tief ich es bereue, dass ich meinen Vater in diesen letzten Tagen so hängen ließ und ich mich nichtmal mehr dafür entschuldigen kann.

Es tut mir leid, dass ich so feige war, Papa. Ich liebe dich und du fehlst mir so sehr. :wein:
 
Ich kann dich mehr als gut verstehen. Und nachdem, was du hier schilderst hinsichtlich eurer Beziehung, denke ich, dass dein Vater dies auch konnte.....
Sicherlich wäre es schön gewesen, wenn du dich hättest überwinden können.
Aber - dein Papa, so spontan mein Empfinden - hat es verstanden....

Fühl dich umarmt.
 
Huhu,

ich denke nicht das dein Vater dich dafür hassen würde. Er würde es bestimmt verstehen. Du liebst ihn und das weiß er.

Lass dich nicht von Schuldgefühlen zerfressen, es lässt sich nicht mehr ändern. Er lebt in deinem Herzen weiter. Halte dich an den schönen Erinnerungen fest.

Liebe Grüße
SchwarzeSeele
 
Zum großen Schrecken meiner Mutter waren einige der Schwestern dort alles andere als freundlich oder mitfühlend. Viele waren einfach nur genervt, unfreundlich, herrschten sogar meinen Vater in seinem unterirdisch schlechten Zustand noch an, weil er vor Schmerzen schrie, als ihm die Windel gewechselt wurde. Ihm wurde an seinem letzten Lebenstag ein Glas Orangensaft verwehrt, denn "Das gibts nur für Privatpatienten!".

Hallo Gänseblümchen,
vielleicht hat es deine Mutter so empfunden, aber ich kenne keine Palliativ Station wo solche Zustände herrschen und etwas an den Patienten ausgelassen wird. Und ein Glas Orangensaft kann man auch mitbringen, oder notfalls vor Ort kaufen. Und solch ein Wunsch wird niemals einem Sterbenden verwehrt - wenn er denn noch gefahrlos schlucken kann.


Meine Mutter sagte hinterher, er hätte sich zwar nicht mehr mitteilen können, aber sie glaube, er hätte auf mich gewartet - und ich bin nicht gekommen.

Auch hier finde ich die Aussage deiner Mutter sehr sehr ungut. Es scheint nur darauf ab zu zielen, dir ein schlechtes Gewissen zu machen.
Er konnte sich nicht mitteilen, also bleibt dort nur der Glaube deiner Mutter. Oder dem was sie dir sagen will.
(Wenn er sich nicht mitteilen konnte, wie konnte er dann nach Orangensaft fragen ?)

So wie du deinen Vater beschreibst, hätte er ganz sicher nicht gewollt, das du dich zum ihm hin quälst, wenn du nach der langen Zeit einfach nicht mehr konntest. Vielleicht wollte er auch nicht, das du siehst wie er nicht mehr er ist und sich quält.

Du hattest einen tollen Vater, behalte ihn so in Erinnerung. Großzügig. Humorvoll. Intelligent und Hilfsbereit.

Du warst für ihn da, als er dich brauchte und deine Anwesenheit schätzen konnte. Er hatte sich längst von dir verabschiedet. Die letzten Tage in der Palliativ Station - deine Abwesenheit läd keinerlei Schuld auf dich.
 
Ich bin nicht hingegangen.

Als ich deinen Beitrag gelesen habe, musste ich weinen.
Ich kann dich so gut verstehen. Ich hab das bei einem guten Bekannten hinter mir. Ich habe es gemacht und ihn gesehen (allerdings hat er sich wieder erholt, obwohl man uns gesagt hat, er würde die O.P nicht überstehen) und ich habe trotz seines besseren Zustandes über ein Jahr und damals eine Therapie gebraucht, um die Bilder los zu werden.

Sei nicht zu hart zu dir. Wer sagt, dass es dir damit, dass du Abschied genommen hättest besser gegangen wäre?
Sowas muss jeder für sich selbst entscheiden. Lass dir da bloß nichts einreden.

Manchmal schützt man sich auch instinktiv selbst, damit die Seele nicht zu viel abbekommt.

Wenn du aber extrem zweifelst, würde ich dir zu einer Therapie raten, um das aufzuarbeiten.
 
Mein Großvater ist vor sieben Jahren am Lungenkrebs gestorben.
Er war ein hochgewachsener starker Mann, mit vollen blonden Haar, der auch noch mit 76 Jahren Kleiderschränke bewegen konnte, als wären sie aus Pappe.

In einem Jahr, veränderte sich alles, in der Woche bevor er starb, habe ich ihn nochmal gesehen. Der Kopf ganz leer und so dünn....

Dieses Bild überlagert alles, jede Erinnerung, alles was ich von ihm weiß, ich sehe immer nur den Schatten, der er in diesen Tagen war.

Manchmal denke ich es mir es wäre besser gewesen, wenn ich ihn nicht mehr gesehen hätte.

Ich glaube nicht, das du feige warst/bist. Ich denke du hast da eine Chance, jemanden so im Herzen zu behalten, wie du ihn kanntest und liebst.
Und ich glaube, das dies auch von deinen Vater so gewollt sein würde.
 
Hallo Gänseblümchen,

Ihr hattet euch lieb und das allein zählt. Du darfst diese Selbstvorwürfe wirklich sein lassen, denn Dein Vater hätte sicher nicht gewollt, dass sein Tod Dich noch mehr quält. Es ist vorbei und er hat es überstanden. Nimm das Schöne und Gute mit auf Deinen weiteren Weg, denn das war es, was er Dir mit geben wollte. Für seine letzten Tage kannst Du so wenig wie er und geändert hätte es wohl auch nicht viel. Steht als Familie zusammen.
 

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