Oh je, kriegt man mit solchen Fähigkeiten heute nicht mehr nur Abitur, sondern auch einen Bachelor?
Noch hoffte ich, dass wenigstens die Universitäten da irgendwann einen Schlussstrich ziehen und die Leute nicht weiterkommen lassen.
Ich habe allerdings nun einen Referendar, der schon mehrfach Probleme mit simpler Mathematik hatte. Gut, er will keine Mathematik-Lehrer werden, hat aber ein MINT-Fach... Noch hoffe ich, dass jeder einfach mal ein Brett vorm Kopf haben kann und dass ich aus Einzelfällen nichts schließen kann, aber ich habe schon Sorge, dass es keine Einzelfälle bleiben.
Aber ist es meine Aufgabe, dem fachliche Unfähigkeit zu attestieren, wenn die Uni ihn für fachlich geeignet erklärt hat?
Ja, das zieht sich durch alles. Für einfache Berufe, für die früher ein Hautschulabschluss gereicht hätte, wird heute Abitur verlangt.
Hat aber auch insofern einen Sinn, als die, die nur Realschulabschluss haben, ja heute gar nichts mehr können. Nach dem Abitur kann man eher hoffen, dass die wenigstens lesen und schreiben können. Aber das hat dann idiotischerweise zur Konsequenz, dass Leute, die nie studieren wollen, differenzieren und integrieren lernen müssen.
Aber es ist nicht so, dass meine Schüler alle in eine Ausbildung wollen, ein guter Teil bildet sich tatsächlich ein, hinterher studieren zu können. Da rauf ich mir die Haare.
Also schlicht und ergreifend scheitern lassen?
Das krieg ich nicht durch, drei Viertel scheitern zu lassen. Ich werde also über kurz oder lang Klausuren stellen müssen, die man auch bekifft noch problemlos hinkriegt. Multiple Choice mit nur einer halbwegs denkbaren Antwort, oder die Antwort in die Aufgabenstellung reinschreiben und nur raussuchen lassen oder Aufgaben so stellen, dass man sie nur noch in den CAS-Rechner eintippen und das Ergebnis ablesen muss.
Berufskolleg, nicht Gesamtschule. Wechsel ans Gymnasium ist mir leider nicht möglich, hab ich versucht, vor langer Zeit schon.
Und doch, den Mut verliere ich. Es hat einfach keinen Zweck mehr. Ich kann machen, was ich will, die lernen nichts mehr. Geht einfach nicht.
Die Einführung des CAS-Rechners hat der Sache den Todesstoß versetzt, aber der CAS-Rechner ist nicht die Ursache des Problems. Er vernichtet nur den kümmerlichen Rest, der noch verblieben ist und ohne CAS auch nicht mehr lang geblieben wäre.
In meinem anderen Fach hat auch eine schwachsinnige Lehrplanänderung dafür gesorgt, dass die Schüler nun restlos überfordert sind. Aber auch da gilt: Man könnte ja mit vielem leben, nur wenn die Schüler nicht einmal mehr die Grundrechenarten sinnvoll anwenden können, dann ist es einfach irgendwann vorbei. Egal ob mit neuem Lehrplan oder mit altem.
Gibt es die noch?
Du hast ja recht, und ich habe mir immer wieder vorgenommen, solange noch ein einziger Schüler in der Klasse etwas versteht, will ich wenigstens ihn unterrichten und die anderen notfalls links liegen lassen.
Solang ein Drittel der Klasse noch was taugt, geht das ja auch noch. Aber jetzt im zweithöchsten Jahrgang, da habe ich vielleicht noch eine. Und die eine ist still, einfach von ihrer Art her. Sie versteht, aber redet nicht. Das würde echt schwer, den Unterricht nach ihr auszurichten.
Und ich werde nicht damit durchkommen, drei Vierteln Fünfen und Sechsen zu geben. Das gibt fürchterliches Theater.
Oder muss man das Theater mal durchfechten, in dieser extremen Form?
Dafür würde sich der Bildungsgang anbieten, der zur Fachhochschulreife führt. Eine rechtliche Änderung hat den schwächeren Schülern die Alternative zu diesem Bildungsgang genommen, so dass in diesem Bildungsgang nun alles zusammengebrochen ist. Mir scheint aber, dass meine Mathematik-Kollegen (und ein Teil der anderen) nicht Willens sind, das Niveau nun weiter ins völlig Bodenlose zu senken. Es könnte also sein, dass die Karre mit vereinten Kräften mit Vollgas gegen die Wand gefahren wird und dann drei Viertel eine 5 in Mathematik auf dem Versetzungszeugnis haben.
Vielleicht sollte ich das mal abwarten, vielleicht kommt ja dann mal eine sinnvolle Diskussion darüber zustande, wie das noch weitergehen soll.
Nein, daran liegt es nicht. Es ist nicht alleinige Schuld der Schüler, ganz und gar nicht.
Ein großes Problem ist, dass zumindest in der Sekundarstufe I nichts mehr verlangt wird. Oberstes Prinzip scheint, dass man doch einem armen, armen leistungsschwachen Schüler niemals weh tun darf. Er wird immer weiter geschleppt, auch wenn er gar nichts tut und nichts lernt.
Und dann lernt er natürlich genau das: Dass er nichts tun und nichts lernen braucht. Und das tut er dann eben auch nicht, zumindest nicht in Fächern wie Mathematik, wo das anstrengend würde.
Und dann kommt er mit Kenntnissen vom absoluten Nullpunkt in der Sekundarstufe II an, ist doch klar.
Man kann dem Schüler nicht wirklich vorwerfen, dass er so völlig falsch erzogen wurde.
Nur gegen die Auswirkungen davon kann ich in der Sekundarstufe II nicht mehr ankämpfen. Vor ein paar Jahren ging es noch, aber jetzt geht gar nichts mehr.
Ein anderes Problem, was möglicherweise immer mehr auftritt, könnte Cannabis sein. Eigentlich bräuchte ich eine Schulung dafür, den Cannabiskonsumenten zu erkennen. Gibt es sowas?
Ich erkenne nicht einmal den Geruch. Mir hat das zwar schon mal jemand gezeigt, also mir gesagt, dass ein bestimmter Geruch Cannabis ist, ich habe es dann auch gerochen, aber ich würde mich nicht daran erinnern. Dafür müsste ich es mal öfter riechen. Und ich müsste vielleicht auch mal Bekiffte sehen, um zu lernen, wie ich die erkennen kann.
Sollte ich vielleicht mal Coffeeshops in den Niederlanden besuchen? Kann man da rein ohne zu kiffen? Normal würde ich so einen Laden nie betreten.
Wo gar keine Vorkenntnisse mehr da sind und auch keine Bereitschaft mehr, daran etwas zu ändern, da kriegt man auch mit noch so viel Humor nichts mehr hin. Abgesehen davon, dass eine solche Veranstaltung zu Produkt- und Kettenregel auch alles andere als spaßig wird, wenn das Publikum nicht einmal mehr weiß, was ein Produkt ist.
Doch, doch, weidebirke hat durchaus recht. Wenn man noch irgendwas erreichen will, muss man sich auf die wenigen guten konzentrieren (wenn man das Glück hat, dass es die noch gibt). Dann müssen die anderen eben merken, dass sie da hinterherkommen müssen, oder alternativ eben die 5 kassieren.
Es gibt sicher viele solche Probleme. Aber in einer Klasse mit 20 solchen Problemfällen kann ich nicht den Sozialarbeiter spielen, der versucht, das alles wieder in Ordnung zu bringen.
Es gibt ganz schlimme Schülerschicksale, ja. Aber was kann ich daran tun?
Wenn sich jemand hilfesuchend an mich wendet, werde ich natürlich versuchen, ihm zu helfen.
Aber solang er selbst nichts sagt und auch nicht bereit ist, über sein Problem zu sprechen, wenn man ihn nach seinen Problemen fragt, solange kann ich echt nichts machen.
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Nun ja, das waren meine Antworten zu dem, was ihr gesagt habt.
Aber eigentlich finde ich erschreckender, was ihr nicht gesagt habt.
Es hat sich eigentlich keiner ernsthaft über meine Schilderung aufgeregt. Es scheint einfach völlig normal, was ich erlebe :-(
Ist das echt normal?
Völlig normal, dass hier eine ganze Generation heranwächst, die mathematisch absolut nichts mehr auf die Kette kriegt. Von denen eigentlich kaum noch irgendjemand ein MINT-Fach studieren kann. Von seinen gut ausgebildeten Arbeitnehmern hat Deutschland einst gelebt - wovon wollen wir in Zukunft leben?
Aber gut, wir einzelnen werden es nicht ändern können.
Ich kann nichts daran machen.
Aber wie geh ich damit um? Was soll ich tun? Das Niveau weiter ins Bodenlose sinken lassen? Den großen Krach heraufbeschwören? Mit den Kollegen die Karre mit Vollgas gegen die Wand setzen? Aber was wird dann passieren?