Hallo, Gast,
aus meiner Sicht spürst Du als Lehrer die negativen Folgen einer Wohlstandsgesellschaft. Wir befinden uns gerade in der Weihnachtszeit. Weiß noch jemand, was das ursprünglich bedeutet? Ist für die meisten auch nicht wichtig, Hauptsache es gibt etwas Gutes zu essen und zumindest Kinder werden mit Geschenken überhäuft. Irgendwie kommt es mir so vor, als ob die Einstellung zu Weihnachten die Grundeinstellung zum Leben widerspiegeln würde.
Die meisten Kinder, die in einem solchen Wohlstandsklima aufwachsen, sehen einfach keinen Grund, sich Wissen und Können anzueignen. Es fehlt ihnen der Bezug zum Leben. Jetzt können alle lachen - aber ich bin in einer Familie mit zwei Geschwistern aufgewachsen, in welcher der Onkel zu Besuch kam und die Tafel Schokolade in 3 Teile geteilt wurde. Die schönsten Geschenke waren nur im Schaufenster zu bewundern. Ich habe sie mir alle gekauft, nachdem ich gelernt und gearbeitet hatte.
Gleichzeitig, was ich sehr sehr wichtig finde, war (Fort-) Bildung ein wichtiges Thema in unserer Familie. Meine Mutter pflegte zu sagen: Bücher sind Deine Freunde.
Durch den Krieg uns seine Folgen war es meinen Eltern nicht möglich gewesen, direkt nach dem Abitur zu studieren. Mein Vater war ohne Schulabschluß in Kriegsgefangenschaft geraten. Nach dem Krieg hatte er keinerlei Zeugnisse und Referenzen. Er arbeitete 1 Jahr lang für ein Butterbrot mit dem Ziel, am Ende dieses Jahres ein gutes Arbeitszeugnis zu erhalten, mit dem es ihm gelingen könnte, eine wenigstens ausreichend bezahlte Stellung zu erhalten.
Was ich sagen will: Ohne trifftigen Grund ist Lernen uninteressant. Lernen als Hobby ist eh ein Relikt der Vergangenheit. Nach meiner Kenntnis tun ca. 80% aller Menschen das, was sie tun, lediglich um Nachteile zu vermeiden. Was aber, wenn es keine wirklichen Nachteile gibt? Und ca. 20% der Menschen lernen, weil sie ein erstrebenswertes Ziel vor Augen haben. Was aber, wenn es solche Ziele nicht gibt? Ich meine, wenn es dem Menschen letztendlich nicht wirklich wichtig ist, ob er Ziel X erreicht, dann ist es ihm auch egal, ob er es erreicht. Alles Wichtige, was er zum Leben benötigt, hat er (durch seine Eltern) auch ohne eigenes Bemühen.
Und Eltern, die selbst das Problem "Not" nicht kennenlernten bzw. die das Lernen als Lösungsmethode nicht erfahren haben, können diese Erfahrung - weil nicht existent - auch nicht weitergeben.
Für mich, lieber Gast-Lehrer, liegt das Problem in der gesellschaftlich geförderten mangelnden Lern- und Schulreife der Schüler. Vielleicht wäre es realistisch gewesen, wenn viele Deiner Schüler nach der 4. Klasse die Schule verlassen hätten. Sie hätten bis z.B. dem 25. Lebensjahr ihre Erfahrungen mit dem Leben gemacht und einige von ihnen wären dann lern- und schulreif geworden.
Der Lehrerberuf muss heutzutage in vielen Schulen frustrierend sein. Nach der Wende habe ich mal zwischendurch Erwachsene (der ehemaligen DDR) unterrichtet. Die wollten was von mir. Ich mußte mich gut vorbereiten, weil sie was von mir wollten. Es war für mich Arbeit - aber Arbeit die Spass machte, weil jemand was von mir wollte und meine Leistung anerkannte. Die Erwachsenen begannen zu verstehen.... und das Verstehen war ihnen sehr wichtig, weil sie dadurch ihren Zielen näher kamen. Gute Noten, die ich verteilte, waren für sie Ausdruck "ich bin auf dem richtigen Weg zu meinem Ziel". Wenn die heutigen Schulnoten nur noch Gefälligkeitsnoten sind, dann ist das Irreführung der Menschheit.
Ich denke, die Wahrheit muß gesagt werden! Alles andere ist Betrug.
LG, Nordrheiner