Guten Morgen zusammen,
ich kann euch beide da wirklich gut verstehen, weil es mir auch so ergeht. Ich war bisher vom Hausarzt mal abgesehen auch noch bei keinem Facharzt. Und ich kann dir sagen, warum dein Freund immer nur verspricht zum Arzt zu gehen und es bisher doch nicht getan hat.
1. Die Angst, dann nichts mehr in dieser Gesellschaft wert zu sein. Ein Mann ist in unserer heutigen Gesellschaft der "Starke", der Beschützer, der für seine Frau/Kinder zu sorgen hat. Wenn er nun zum Arzt geht und damit zugibt, keine Kraft mehr zu haben, dann kollidiert das mit dieser Vorstellung in seinem Kopf. Er fühlt sich dann sicher wie der große Verlierer, auch vor dir.
2. Angst, dann seinen Arbeitsplatz zu verlieren, vor allem wenn er länger krank sein sollte. In einem TV-Bericht hab ich mal gesehen, dass so eine Burnout-Behandlung bis zu einem ganzen Jahr dauern kann, je nach Schweregrad und Heilungserfolg beim Patienten.
3. Dein Freund hat in seinem Kopf schon eine Art Maschine. Eine Maschine, die sich jeden Morgen einschaltet und abends abschaltet. Und diese Maschine lebt nicht, sie "funktioniert". Dein Freund lebt nicht mehr, er funktioniert nur noch. Und die Symptome sind nichts weiter als die ersten Anzeichen, dass sein Körper diese Dauerbelastung nicht mehr lange aushält. Aber diese Maschine in seinem Kopf ist verdammt hartnäckig und zäh, die läßt ihn nicht einfach so los, dass er zum Arzt gehen könnte.
Entspannungsübungen sind lächerlich, das ist genauso wie wenn jemand sagen würde "Fahr doch einfach mal 3 Wochen in Urlaub". Das bringt überhaupt nichts. Weißt du, in dieser Kur bzw. unter psychologischer Hilfe muß dein Freund erst mal wieder lernen, wie ein normales Arbeitspensum aussieht. Er muß lernen, dass die Arbeit nicht das Wichtigste im Leben ist. Und vor allem dass er kein schlechter Mensch und kein Versager ist, wenn er nicht 150% Leistung bringt, sondern nur 70 oder 80%. Man arbeitet eigentlich, um zu leben, und lebt nicht um zu arbeiten. Aber all solche Denkweisen existieren im Kopf eines Burnout-Patienten nicht mehr. Da gibts nur noch einen Gedanken. Ich muß stark sein, ich muß funktionieren.
In diesem oben angesprochenen TV-Bericht wurde es so ausgedrückt, dass ein Burnout-Patient wie ein Computer denkt, entweder 0 oder 1, also entweder gar nichts oder voll Gas. Dazwischen gibts nichts.
Noch ein Wort zum Thema Partnerschaft. Ich kann dich verstehen, dass du Angst um deine Beziehung hast. Aber du mußt auch an dich denken. Wenn dein Freund glaubt, es alleine ohne fachärztliche Hilfe zu schaffen, dann wirst du ihn wahrscheinlich nicht "überreden" können. AceDaBrain hat völlig Recht mit dem, was er geschrieben hat. Der Antrieb muß von ihm kommen. Oft ist es sogar so, dass erst mit Androhung einer Trennung der entsprechende Impuls kommt. Bevor er dich verliert, geht er diesen Weg dann. Aber das ist halt auch nicht das gleiche, wie wenn er von sich aus sagt "Ich packs nicht mehr, ich will zur Reha".
Bei mir ist es zum Beispiel so, das ich im Moment gar keine Beziehung haben möchte. Ich bin am Abend nach der Arbeit immer vollkommen kaputt. Wenn ich abends zuhause bin, dann fühle ich mich als hätte ich ein Karussell im Kopf, dass sich immer schneller dreht, auf dem jedem Fahrgast schön langsam schlecht wird und jeder nur noch nach der Notbremse sucht. Nur eine Notbremse gibts nicht. Ich gehe so gut wie nicht mehr aus, höchstens noch mal abends essen, aber selbst das tue ich oft dann nur noch, weil man es von mir "erwartet" und ich nicht unhöflich sein möchte. Mir ist einfach alles zuviel.
Ich habe bis auf eine gute Bekannte keine realen Kontakte mehr, schon seit Jahren nicht mehr. Die Arbeit war mir immer wichtiger. Meine Freunde habe ich im Internet. Aber auch ich hab so eine Maschine im Kopf, die mich am "funktionieren" hält. Manchmal sehne ich mich nach einer Freundin, mit der ich abends vor dem TV kuscheln könnte, die mich in den Arm nimmt, bei der ich mich einfach mal so fallen lassen kann. Ich weiß aber auch, dass ich mit meiner Trägheit für meine Freundin längerfristig gesehen zur Belastung werden würde. Und das will ich keiner Frau antun. Also gehe ich den harten Weg und bleibe allein. Ein Teil in meinem Kopf weiß, dass das der völlig falsche Weg ist. Aber die Maschine in meinem Kopf ist einfach stärker...
Nun fragst du, was du tun kannst. Das ist eine gute Frage. Wenn du meine Freundin wärst, dann würde ich jetzt sagen "Bitte akzeptiere meinen Zustand im Moment. Es tut mir leid, aber ich kann zur Zeit nicht anders". Das hilft aber genau genommen weder dir noch deinem Freund.
Was ich damit sagen möchte, ist folgendes: Ich weiß es ist nicht leicht für dich, aber versuche diese Streits nicht auf dich zu beziehen. Versuche dir ein dickeres Fell zuzulegen. Und ganz wichtig: Rede dir nicht ein, du hättest vielleicht was falsch gemacht, was ihn so wütend macht. Du bist nicht Schuld an diesen Streits. Bitte entschuldige, wenn ich das jetzt erwähne, aber ich sage jetzt nur als Stichwort: Sex. Mich würde es überhaupt nicht wundern, wenn auch sexuell zwischen euch im Moment nicht mehr viel oder vielleicht sogar gar nichts mehr läuft. Viele Frauen die diese Krankheit noch nicht erkannt haben, denken dann darüber nach, ob sie vielleicht nicht mehr attraktiv für ihren Partner sind, oder noch schlimmer, ob er vielleicht eine andere haben könnte. Nein, daran liegts nicht. Das Problem liegt im Kopf des Mannes. Diese Maschine in seinem Kopf befielt ihm, auch im Bett gut zu sein und 150% Leistung zu bringen. Am Anfang des Burnouts geht das noch, da sind die Männer dann vielleicht einfach nicht mehr so einfühlsam und zärtlich. Da dient der Sex dann in erster Linie als Möglichkeit, seinen Druck abzulassen. Aber irgendwann im Laufe der Erkrankung macht der Körper nicht mehr mit. Die Erektion und Ausdauer läßt nach, es "geht nix mehr". Und genau damit fängt das Problem an. Männer reden nicht gern darüber. Sie ziehen sich einfach zurück und geben ihren Frauen damit unbewußt genau dieses Gefühl, als wären sie "Schuld" an diesem Dilemma.
Nun habe ich im letzten Absatz geschrieben, du mußt auch an dich denken. Damit und mit diesem "Zustand akzeptieren" meine ich, wenn du zum Beispiel Lust hast auszugehen, und dein Freund nicht, dann laß ihn in Ruhe. Gehe mit einer guten Freundin aus. Macht euch einen schönen Frauen-Abend. Aber bitte versuch nicht, deinen Freund zu überreden mitzukommen. Ich weiß du meinst es gut, bist vielleicht der Meinung etwas Ablenkung würde ihm gut tun, aber in Wirklichkeit ist das nur eine weitere Belastung für ihn. Akzeptiere es, dass er lieber zuhause bleiben und seine Ruhe haben möchte. Aber laß es dir nicht nehmen, dir deinen Spaß zu gönnen.
Burnout-Kranke sind mit Sicherheit nicht leicht zu ertragen. Sie reagieren oft bei der kleinsten Belastung gereizt und aggressiv, wie du selbst schon bemerkt hast. Deshalb brauchst du besonders gute Nerven und vor allem viel Geduld mit deinem Freund. Und bei allem Verständnis für deinen Freund, aber das ist SEIN Problem, mit dem er dich nicht belasten sollte. Und trotzdem tut er es durch seine Aggresivität und die dauernden Streits.
Was deinem Freund vielleicht helfen könnte, ist Sport. Das ist auch ein gutes Mittel gegen die Depressionen. Allerdings würde ich da jetzt abraten von der typischen Sport-Runde im Fitness-Studio mit den Kumpels, denn dann gehts in erster Linie auch wieder nur darum sich gegenseitig anzutreiben. Dadurch wirds nicht besser, sondern der Streß baut sich dann auch noch im Freizeitleben auf.
Dein Freund braucht wieder Erfolge. Er müßte sich Ziele setzen, die er in seinem kraftlosen Zustand auch erreichen kann. Ich hab zum Beispiel herausgefunden, dass mir das Laufen nach der Arbeit gut tut. Ich gehe dann einfach spazieren. Das dürfen ruhig auch mal 10 oder sogar 20 km sein, je nach Wetter/Zeit. Auch wenn ich kaputt bin, aber ich zwing mich dazu. Dabei kann ich schon mal sämtlichen Frust aus der Arbeit abladen und nehme den nicht mit ins Bett. Allerdings geb ich zu, es fällt mir jeden Tag schwerer, mich dazu aufzuraffen.
Ich hatte vor etwa 6 Jahren schon mal so eine Burnout-Phase, wo ich mich allein durch Bewegung selbst rausgerissen habe. Hab mit ca. 5 km Wanderungen angefangen und hab das zuletzt bis auf 60 km-Touren gesteigert. Das ist jetzt kein Witz. Natürlich war ich müde, aber als ich mir danach die Wanderkarte geschnappt hatte und erkannte, welche wahnsinnige Strecke ich da gelaufen bin, da war ich unglaublich stolz auf mich. Ich wußte ich kann es packen und hab es auch gepackt. Und mir hat es das Gefühl gegeben, dass ich eben auch das berufliche packen kann.
Reha und Psychologische Unterstützung - all diese Dinge sind schön und gut. Was ich aber noch viel wichtiger finde, das ist dass sich auch an der Arbeitsplatz-Situation etwas ändern muß. Entweder durch Neuverteilung der Aufgaben, oder durch Unterstützung durch zusätzliche Mitarbeiter. Und genau da liegt meiner Meinung nach das größte Problem in unserer heutigen Gesellschaft. Es wird nur noch mit Stellenabbau gedroht, dass unsere Arbeitsplätze zu teuer sind usw., das motiviert nicht, das macht nur noch Angst und ist auch ein sehr großer Grund dafür, warum man überhaupt erst unter Burnout erkrankt. Im Prinzip wollen die Führungskräfte gar nichts ändern. Es läuft doch alles gut. Und wenn ein Mitarbeiter krank ist und nicht mehr kann, ja mein Gott, dann ersetzen wir ihn einfach durch einen anderen. Es gibt doch genug Leute, die arbeiten wollen und nur darauf warten, diesen einen Arbeitsplatz zu bekommen. Dass sie deinen Freund mal zur Reha lassen und nichts dagegen haben, das mag schon sein. Aber wenn er wieder zurück kommt, dann erwarten viele nicht nur 150%, sondern sogar 200% Leistung. Schließlich hatte er dann ja genug Zeit sich zu erholen. Aber dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis dein Freund wieder an genau dem gleichen Punkt angekommen ist, an dem er sich jetzt befindet. Nun gut, man kann natürlich sagen, er könnte es durch einen Psychologen lernen, auch mal nein zu sagen und auch mal Arbeiten abzulehnen. Aber kann er das wirklich? Vor allem wenn er auf seinen Arbeitsplatz angewiesen ist und Angst hat, diesen zu verlieren? Das sind all solche Dinge, die den Weg zum Arzt erschweren oder ihn sogar unmöglich machen.
Ich wünsch euch beide wirklich alles Gute, und vor allem deinem Freund wünsche ich von ganzem Herzen, dass er die Kraft dazu findet, den richtigen Weg zu gehen - auch dir zuliebe.
Ganz liebe Grüße und noch einen schönen Sonntag,
Lausbub