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Mit den falschen Gaben gesegnet...

Origami86

Mitglied
Hallo ihr Lieben,

Ich habe ein Problem, dass auf den ersten Blick vielleicht etwas ungewöhnlich wirkt. Und zwar wirke ich offensichtlich zu empathisch auf andere Menschen.

Konkret am Beispiel: Wann immer es einen Streit zu schlichten gilt, werde ich dafür „vorgeschlagen“ - mal mehr, mal weniger subtil. Manchmal rutsche ich auch einfach so da rein, weil sich niemand anders anbietet bzw. sogar alle aktiv verweigern und es ja jemand machen muss (andernfalls scheitert das Projekt, zerbrechen Freundschaften für immer o.ä.). Natürlich habe ich da auch einen Eigenanteil, ich bin relativ pflichtbewusst (was nicht immer nur gut sein muss, insofern ist das, glaube ich, an dieser Stelle kein Eigenlob) und mag es nicht, wenn persönliche Animositäten wichtiger werden als der Erfolg einer guten Idee. Außerdem ist mir mein Privatkreis sehr wichtig.

Man hört schon: Mir passiert das privat wie beruflich, dass ich da reinrutsche.

Vor einiger Zeit wurde ich sogar für eine entsprechende Mediations-Stelle (keine Bezahlung, war nicht direkt mit meinem Job verknüpft) vorgeschlagen, da musste ich mich mit Händen und Füßen wehren. Und manchmal, seit einigen Monaten, neide ich auch zu Verhaltensweisen, die ich selber eigentlich gar nicht gut finde: Z.B. war es früher üblich für mich, Menschen, die einen auf der Straße um ein paar Euro bitten, auch etwas Geld zu geben. Ich weiß, da kann man reinfallen – aber wenn ich die Wahl habe, einem armen Menschen zu helfen, oder einen Euro an Trickbetrüger zu verlieren, steht für mich die Wahl eigentlich fest. Seit neuestem nun verweigere ich das meistens und gehe schnellen Schrittes weiter – selbst bei Frauen mit Kinderwagen, was schon heftig ist, wie ich finde. Aber auch, wenn es subjektiv behaftet ist: Ich werde wirklich immer zielgerichtet rausgepickt bei solchen Sachen.

Erschwerend kommt hinzu, dass ich beruflich wie privat seit einiger Zeit Baustellen zu bearbeiten habe, die auch ein gewisses Maß an strategischem und utilitaristischem Denken erfordern (harte Ausdrücke, ich weiß – aber ich will hier nichts beschönigen, manchmal ist die Welt leider so). Es ist nicht so, dass ich gar kein Talent dafür hätte: Ich kann auch abwarten, nachdenken. Einen Konflikt aushalten und – ganz wichtig – mal eskalieren lassen (wodurch er sich häufig erst löst). Das ist sozusagen die andere Seite der Medaille: auch das erfordert ja Einfühlungsvermögen, nur setzt man es eben anders ein. Nicht gefühlvoll, sondern „strategisch zielgerichtet“. Nicht falsch verstehen: Ich will jetzt nicht, dass dies meine neue Persönlichkeit wird, denn die wäre keineswegs sympathisch. Aber ich fühle mich doch oft zerissen. Umso mehr, da mich scheinbar jeder als guten Schlichter wahrnimmt. Für strategische Aufgaben (die mir allerdings mehr Spaß machen – auch und gerade, wenn sie zum Wohl der Menschen beitragen) wurde ich bisher dagegen praktisch nie vorgeschlagen...

So, das möge es an dieser Stelle einmal sein ;). Ich nehme an, dass da noch Fragen offen sind, aber die beantworte ich natürlich gerne.

Vielen Dank schon mal für Eure Antworten :)!
 
G

Goast

Gast
Empathie macht sympathisch.
Kaum verwunderlich also, dass sich viele diese Eigenschaft gerne selbst zuschreiben oder angeben, ein empathischer Mensch zu sein.
Aber sind Sie das auch wirklich?
Ist wohl emotionale Empathie, hast mehr Mitgefühl als die meisten, das andre alles an dich delegieren:
Wissenschaftler wie der Psychologe Paul Bloom sind der Ansicht, dass wir vor allem dann Empathie empfinden, je ähnlicher uns eine Person ist.
Zu viel Mitgefühl kann das Leben ganz schön schwer machen.
 
G

Gelöscht 79650

Gast
Ich denke nicht, dass du "zu empathisch" auf Menschen wirkst, die dich anzecken.
Sondern zu gutmütig.

Bist du ein Mensch, dem viel an Harmonie gelegen ist?
Fällt es dir schwer "Nein!" zu sagen?
 

Origami86

Mitglied
Ich denke nicht, dass du "zu empathisch" auf Menschen wirkst, die dich anzecken.
Sondern zu gutmütig.

Bist du ein Mensch, dem viel an Harmonie gelegen ist?
Fällt es dir schwer "Nein!" zu sagen?
Gute Frage; ja und nein :unsure:. Tatsächlich habe ich selbst schon oft darüber nachgedacht. Einerseits glaube ich, dass Konkurrenz, Leistungsdruck, Streit, Ellenbogen-Kultur etc. per se nicht angenehm sind - zumindest nicht im Übermaß. Ich selber fühle mich da auch nicht wohl, wenn diese Dinge um ihrer selbst Willen betrieben werden. Letzteres ist allerdings wichtig: Mein Selbstwert baut schon recht stark auf Leistung, eigener Verwirklichung und "sein Ding durchziehen" auf. Aber - soweit das eben geht - eigentlich nicht auf Kosten anderer Leute. Sondern lieber in der Gruppe, motiviert, mit "Wir-fliegen-zum-Mond"-Stimmung.

Aber, wie gesagt: Ich kann auch anders, wenn es denn sein muss. Lange sogar. Mein Denken ist eher rationaler Natur, und manche Konflikte - auch im engsten Privatkreis - lassen sich nur lösen, wenn man erstmal Öl ins Feuer gießt. Soviel musste ich inzwischen lernen. Ich mag diese Erkenntnis nicht wirklich, kann aber ihr entsprechend handeln
 

Origami86

Mitglied
Was genau ist daran ein Problem für dich?
Diese Frage hat @Goast gut beantwortet; insbesondere der verlinkte Artikel trifft den Nagel auf den Kopf. Ich erkläre es gerne mit eigenen Worten:

Wenn ich einen Streit schlichte oder mir die Sorgen anderer Menschen anhöre, dann vollziehe ich die Emotionen dieser Personen nicht nur intellektuell nach, sondern ich fühle sie auch zu einem hohen Grad wirklich mit. Natürlich tut das jeder ein wenig, der in so einer Situation ist. Aber bei mir ist es eben recht stark ausgeprägt.
Beispiel: Ein guter Freund erzählt mir von seinen beruflichen Problemen. Er regt sich auf und ist vielleicht auch öfter bedrückt, weil sich kein Ausweg finden lässt (neue Stelle o.ä.). Ich kann also noch nicht einmal einen guten Rat geben (selbst, wenn der zwischenzeitlich erwünscht wäre - anfangs wollen Viele das ja gar nicht), sondern "nur" zuhören und Verständnis signalisieren.
Nach so einem Gespräch fühle ich mich dann oft den ganzen restlichen Tag über müde und erschöpft. Finden solche Gespräche öfter statt - auch nur mit einer Person - wird dieser Zustand chronisch, ohne dass ich deswegen immer bewusst an das Thema denken müsste. Es wird eher so ein "Grundgefühl des Lebens", mit dem ich morgens direkt aufwache. Und dennoch: Alle wollen, dass genau ich solche Gespräche übernehme. Streitschlichtungen - welche ja besonders gefragt sind - sind dabei besonders heikel, weil ich ja gleich zwei konträre Positionen "verarbeiten" und viel neagtive Energie aufnehmen muss, ohne sie zurückzuspiegeln. Würde ich sie spiegeln, würde nämlich der Streit nicht geschlichtet, sondern angefacht.

Das ist das Problem.
 
G

Goast

Gast
Wie machen das Menschen wie etwa Notfall Seelsorger die ja mit extremen Situationen direkt konfrontieret werden und da reagieren müssen.
Die werden dafür geschult, da kann niemand einfach so, selbst kein Pastor oder Pfarrer.
Das wird ja auch nicht jeder, sondern das ist eine Berufung, nicht nur ein Beruf.
Wenn die so wie >du das ganze Leid als negativ betrachten würden und mitnehmen, gingen die daran kaputt.
Die brauchen Widerstandskraft und Achtsamkeit für sich selbst.
Sie dürfen es nicht zulassen, selber emotional in den Einsatz reingezogen zu werden, müssen vieles aushalten, dürfen aber auch die Empathie zu ihrem Gegenüber nicht verlieren.
Und genau diese Haltung ist das Schwierige, womit sie in der Notfallseelsorge zu tun haben.
Leid miterleben und ein dickes Fell, hört sich hart an, aber nur so geht das:
Sie sind nie allein, das Wichtigste ist die kollegiale Unterstützung im Team.
 

Origami86

Mitglied
Wie machen das Menschen wie etwa Notfall Seelsorger die ja mit extremen Situationen direkt konfrontieret werden und da reagieren müssen.
Die werden dafür geschult, da kann niemand einfach so, selbst kein Pastor oder Pfarrer.
Das wird ja auch nicht jeder, sondern das ist eine Berufung, nicht nur ein Beruf.
Wenn die so wie >du das ganze Leid als negativ betrachten würden und mitnehmen, gingen die daran kaputt.
Die brauchen Widerstandskraft und Achtsamkeit für sich selbst.
Sie dürfen es nicht zulassen, selber emotional in den Einsatz reingezogen zu werden, müssen vieles aushalten, dürfen aber auch die Empathie zu ihrem Gegenüber nicht verlieren.
Und genau diese Haltung ist das Schwierige, womit sie in der Notfallseelsorge zu tun haben.
Leid miterleben und ein dickes Fell, hört sich hart an, aber nur so geht das:
Sie sind nie allein, das Wichtigste ist die kollegiale Unterstützung im Team.
Danke Dir erstmal für Deine Antwort. Die Seite sehe ich mir gerne mal genauer an; wirkt ja recht umfangreich. Aller Voraussicht nach werde ich den Inhalt irgendwie "abstrakt" auf meine Lage umlegen müssen, sofern ich jetzt nicht beruflich in diese Richtung gehen möchte (was, aus gleich mehreren Gründen, momentan eher unwahrscheinlich ist). Dieses "Umlegen" allerdings könnte genau das sein, wonach ich hier suche.

Hast Du eine gute Idee dazu (oder irgendjemand sonst)?
 
G

Goast

Gast
Wichtiger ist für dich wohl das >abgrenzen, nicht alles an dich ran zu lassen.
Helfen ist eine tolle Sache, wenn du dabei aber mit der Zeit selber auf der Strecke bleibst, nicht gut.
Sicher kennst du solche Situationen.
Jemand bittet dich um etwas, du willst es eigentlich nicht tun und tust es trotzdem.
Was löst das in dir aus?
Keine Grenzen zu setzen, hat oft mit unserem Bedürfnis nach sozialem Anschluss zu tun.
Wir wollen dazu gehören und versuchen dann manchmal dem anderen entgegenzukommen.
Wir haben Einfluss auf die Gefühle anderer, unser Einfluss ist aber nur zweitrangig.
Erstrangig ist der Einfluss, den jeder Mensch selbst auf seine Gefühle hat.
Das ermöglicht es jeden Menschen selbst bestimmt auf die eigenen Gefühle zu reagieren.
Dich abgrenzen bzw. “Nein” sagen kannst Du mit unterschiedlichen Absichten und Begründungen zu verschiedenen Zeitpunkten.
 

Postman

Urgestein
Streitschlichtungen - welche ja besonders gefragt sind - sind dabei besonders heikel, weil ich ja gleich zwei konträre Positionen "verarbeiten" und viel neagtive Energie aufnehmen muss, ohne sie zurückzuspiegeln.
Da liegt vielleicht die Krux: wäre es im betreffenden Fall nicht besser, wahrzunehmen, statt aufzunehmen? Wenn du lediglich wahrnimmst, kannst du doch objektiver sein. Was für eine Streitschlichtung sicherlich besser ist.
 

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