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lebenserfahrene

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http://www.zeit.de/2006/30/Teneriffa?page=1



:confused::confused: Warum wird diesen Menschen erst ihre Lebensgrundlage entzogen (Hochseefischerei) und dann lässt man sie im Stich??????:mad:










 
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lebenserfahrene

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Gestrandet in Europa

Von Anita und Marian Blasberg
Tausende Afrikaner wagen in diesen Sommerwochen wieder die gefahrvolle Überfahrt nach Teneriffa. Einer von ihnen ist Mass Diop, ein junger Installateur aus dem Senegal. Die Geschichte seiner Flucht
Es ist früh um sieben, als Wolfgang Schmittke* (Name von der Redaktion geändert) auf seinen Balkon im dritten Stock des Hotels Oasis Moreque tritt, um nachzusehen, ob die Engländer schon wieder alle Liegen mit ihren Handtüchern besetzen. Schmittke beugt sich über die Geranien, er gähnt, alles noch ruhig am Pool. Zufrieden dreht er ab, als er im Augenwinkel sieht, dass gerade ein Schiff der Küstenwache in den Hafen einbiegt, im Schlepptau eines dieser Afrikaner-Boote, die er im Weltspiegel gesehen hat. Schmittke holt den Feldstecher, hebt an und peilt. Sieht schwarze Gesichter und bunte Mützen, müde Körper – 60, vielleicht 80, die dicht an dicht auf Planken kauern, die unter dieser Last eigentlich brechen müssten.
Das ist verrückt, denkt Schmittke, ein Wahnsinn. Kein Wunder, dass bei diesen Überfahrten einige ums Leben kommen. Schmittke ist seit zehn Jahren in Rente, aber er ist neugierig geblieben, einer, der den Dingen nachgeht.
Mal sehen, was da los ist, sagt er sich, nimmt die Kamera und drei Handtücher, die er auf dem Weg zur Mole noch rasch am Pool platzieren will, eins für sich, eins für Christa, seine Frau, eins für Uwe, ihren Sohn, der sie zu dieser Reise überredet hat. Schmittkes haben kurz vor Weihnachten pauschal gebucht, daheim in Erfurt, zwei Wochen Halbpension mit Meerblick, da ahnten sie noch nicht, dass es ein Ausflug in ein Krisengebiet werden sollte.
Er eilt an den Hotelburgen vorbei, an Izzys Neuem Bierstübchen, stapft über die behindertengerechten Rampen an der Promenade, im Kopf die Nachrichten der letzten Tage, die steigenden, verwirrend hohen Zahlen jener Boote, die hier in Los Cristianos, am Südzipfel Europas, ein neues Nadelöhr gefunden haben. Es gab dieses Foto von Flüchtlingen, die entkräftet einen Strand erreichten, an dem Touristen in der Sonne badeten; es gab diese Meldung, dass eines der Boote nach Barbados abgetrieben war, an Bord elf Leichen, die längst schon Mumien waren nach ihrer wochenlangen Irrfahrt über den Atlantik.
Lesermeinung

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Schmittke kann verstehen, dass diese Leute etwas wagen. »Ist doch klar, die wollen sich verbessern, die haben ja da drüben nichts. Fragt sich nur, wo die hier Arbeit finden sollen.«
An der Mole reiht sich Schmittke ein in eine Gruppe Schaulustiger, er steht ganz vorn am Flatterband, aber viel sieht er nicht, ein Schiff der Guardia Civil parkt vor dem Flüchtlingsboot. Die Afrikaner huschen durch den Sucher seiner Kamera und verschwinden in einem Zelt, wo sie vom Roten Kreuz behandelt werden. Ein Fall für die UN, denkt Schmittke. Ein Drama wie in Darfur.
Wenig später werden die Flüchtlinge in die fensterlosen Busse der Policía Nacional verfrachtet. Als sie weg sind, erkennt Schmittke, wie ein paar Männer von der Küstenwacht das kleine, bunt bemalte Boot zerschreddern. Früher schob er an der Stanze seine Schichten, in einem Werk, das Schreib- und Bohrmaschinen fertigte, und so, wie das afrikanische Boot zerfasert, meint er, müsse dessen Kunststoff mit Asbest versetzt sein. Schmittke macht ein Foto.
Mass Diop hatte von einem Unwetter gehört draußen vor der Küste, die Rede war von vielen Toten. Es hatte sich herumgesprochen unter den Wartenden von Nouadhibou, der Hafenstadt im Norden Mauretaniens, knapp 900 Kilometer südlich von Los Cristianos auf Teneriffa, und Diop war irritiert. Die ganzen vorigen Tage hatte er am Strand gesessen, ruhig und konzentriert, hatte geangelt und das Meer beobachtet, und es war still gewesen, beinahe gespenstisch glatt. Jeden Abend hatte er, am Boden auf der löchrigen Matratze liegend, die Nachrichten verfolgt, doch dieses Unwetter hatte niemand angekündigt. Es kam ganz plötzlich, das war das Unheimliche.
Dann rannte er im Licht der Dämmerung durch die Straßen von Thiarka, dem engen Fischerviertel von Nouadhibou, wo er Unterschlupf bei einem Freund gefunden hatte. Ein strenger Wind ging über den Wüstensand. Vor schiefen Hütten banden sich die Zigarettenhändler ihren Turban vors Gesicht. Frauen schafften Mangokisten aus dem Staub, die Coiffeur-Baracken namens »Barcelona« und »Madrid« schlossen ihre Türen.
Als Diop den Strand erreichte, sah er, wie ein paar Männer der Marine vom Wasser her einige Plastiksäcke ans Ufer trugen. Sie reihten sie im Sand auf, es waren 60, vielleicht 80, und überall standen junge Burschen, deren sorgenvolle Blicke diesen Säcken folgten, unter deren Haut sich klar die Umrisse von Körpern abzeichneten. Diop hörte, sie seien kurz zuvor in See gestochen. Diop wusste, sie träumten seinen Traum.
Diop. Gesprochen: Job, wie Arbeit. Ein Name wie ein großer Wunsch. Diop ist 33, ein kräftiger, manchmal schlaksig wirkender Mann mit wachen Augen, geboren in St. Louis im Senegal, Installateur, verheiratet mit Khady, die gerade sein zweites Kind gebar. Als er am Telefon erfuhr, dass er eine Tochter habe, war er schon seit drei Monaten auf Teneriffa. Jetzt sitzt er hier, in einem Café bei Los Cristianos, und erzählt seine Geschichte, Kapitel für Kapitel. Fotografiert werden will er nicht.
An diesem Tag in Nouadhibou, sagt er, habe man ihm mitgeteilt, dass es nun so weit sei. Übermorgen Nacht, hieß es, am Hafen von Thiarka, solle es losgehen. Man habe endlich einen Fischer aufgetrieben, der ihnen sein Boot verkaufte, sieben Meter lang, drei breit, Diskretion inklusive.
Diop hatte von seinem Freund von der Gruppe erfahren: 48 Männer, alle jung und fest entschlossen, Männer aus dem Senegal, aus Mali und Nigeria, aus Ghana, Gambia und Guinea-Bissau. Sie warfen ihr Geld zusammen und legten fest, wer was zu tun hatte. Einer kaufte die Motoren, 40 PS stark, die stärksten, die er finden konnte. Andere kauften 1200 Liter Treibstoff, ein GPS-Gerät und Schwimmwesten.
Diop zog, als die Nachricht von dem Boot kam, los, um das Essen zu besorgen. Seiner langen Liste folgend, navigierte er durch das Gewimmel der kleinen Läden längs der Hauptstraße. Er machte Haken unter 50 Kilo Reis und 20 Liter Öl, unter 15 Kilo Makkaroni, 10 Kilo Rind-, 10 Kilo Hühnerfleisch, 10 Kilo Fisch, unter Tee und Brot und acht Kanister Wasser. Das alles brachte er mit einem Eselskarren zu sich in den Hof. Dann hörte er vom Zwischenfall am Strand. Er lief hin, und als die Plastiksäcke fortgetragen waren, blickte er hinaus aufs Meer, das wieder ruhig und friedlich dalag, so als wäre nichts gewesen.
Luis Carrion steht auf der Mole von Los Cristianos, nur wenige Meter entfernt von den Rathkes auf ihren Handtüchern am Pool, und dirigiert das Einsatzkommando. Schon wieder hat er einen Funkspruch erhalten, ein Boot mit 80 Leuten sei unterwegs, wieder hat er die Küstenwache mobilisiert, das Rote Kreuz, die Guardia Civil. Jetzt wartet er auf das Flüchtlingsboot, das sich vom Horizont her nähert. Seit Marokko seine Grenzen geschlossen hat, kommen sie aus Mauretanien und dem Senegal – anfangs nicht viele, aber seit das Wetter stabil ist, beinahe stündlich. Manchmal 100, manchmal 500 am Tag. Sie orientieren sich am Teide, dem höchsten Berg der Insel, der wie ein mächtiger Sombrero auf dem Ozean liegt.
Hinter dem Flatterband am Anleger drängen sich die Fotografen und Kameramänner, aber Carrion nimmt sie kaum mehr wahr. Seit Wochen arbeiten er und seine Leute 16 Stunden am Tag, sie kommen kaum zum Essen.
Carrion ist der Polizeichef von Los Cristianos, ein kleiner, gut gebräunter Mann von Mitte 40. Er hält sich aufrecht in seiner schwarzen Uniform, mit seinem Dreitagebart. Er reibt sich die Augen. Er beobachtet, wie entkräftete Männer auf steifen Beinen über die Reling des Rettungsschiffes klettern, nacheinander wie Ameisen. Wie Leute vom Roten Kreuz sie zum Zelt führen, wo sie mit Wasser, Decken und Biskuits versorgt werden, wie sie schließlich, auf dem Boden sitzend, für die Kameras zum Abschuss freigegeben werden.
Carrion streift sich einen Mundschutz über, wirft einen Blick ins Zelt und fragt, ob alles in Ordnung sei. Ein Arzt reicht ihm einen rosa Zettel. Damit wendet Carrion sich zu den Kameras.
»Einer muss ins Krankenhaus«, sagt er in die Mikrofone, »alle anderen sind wohlauf. Ein Wunder nach fast einer Woche auf dem Meer.«
Er nimmt seine Mütze ab.
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© DIE ZEIT, 20.07.2006
 
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