Hallo alle,
im anschließenden Text möchte ich von mir erzählen: einer Frau, die es gewagt hat, einen Studiengang zu wählen, von dem sie vorher noch nie etwas gehört hat, in dem sie nicht gut ist und der sie trotzdem glücklich macht.
Da meine Interessen breit gefächert sind und meine Persönlichkeit eher wechselhaft, kam mir der Gedanke, mich mit einer beruflichen Qualifikation in Form einer Ausbildung oder eines Studiums bis zum Ende meines Lebens einem Werdegang zu verschreiben, schon früh eher angsteinflößend als sicher vor. So dauerte es auch 3 1/2 Jahre, bis ich nach dem Abitur eine Ausbildung begann. Bis dahin arbeitete ich ununterbrochen in verschiedenen Bereichen - Gastronomie, Beflockung, Fahrradkurier: ich konnte mich finanzieren, aber übrig blieb am Ende des Monats natürlich nichts.
Meiner Erfahrung nach konnte es so unfassbar schnell passieren, dass das Leben ganz schnell und plötzlich vorbei sein kann - wie viele Freundinnen und Freunde, Bekannte oder Nachbarn habe ich inzwischen altersmäßig überholt? Einige. Zu viele.
Aufgrund dieser Erfahrung von Endlichkeit hat sich meine Einstellung zur allgemeinen Lebensplanung gewaltig geändert.
Ich brach meine Ausbildung kurz vor dem Examen ab; lange schon war ich unglücklich, doch hörte ich von allen Seiten stets "zieh' das Ding durch! Du musst was in der Tasche haben!". Glücklicherweise wurde ich kurz vor dem Examen krank. In dieser Zeit habe ich mein Leben, meine Ziele und meine Wünsche für die Zukunft nochmal überdacht und alles über den Haufen geworfen. Schnell war der Ausbildungsplatz gekündigt und ich fand sofort Arbeit - natürlich weiterhin ungelernt für wenig Geld. Finanziell war das natürlich eine magere Zeit, doch im Gegensatz zu vorher war ich erleichtert und glücklich.
So ging es eine ganze Weile, bis ich mich eines Tages spontan dazu entschied, mich für ein Studium zu bewerben. Es war ein Tag vor Ende der Bewerbungsfrist und ein Gespräch mit einer Kollegin brachte mich darauf, es einfach mal wieder zu versuchen. Inzwischen fühlte ich mich intellektuell unterfordert, war aufgrund dessen latent unzufrieden: es war wohl wieder Zeit, einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen.
Ich klickte mich auf der Uni-Homepage durch die angebotenen Studiengänge und bewarb mich für alles, was mir auf den ersten Blick nichts sagte. Einige Wochen später hatte ich eine Zusage für alle Studiengänge, für die ich mich beworben hatte. Nun begann ich, mir die Profile der Studiengänge genauer anzuschauen - was sie zu bieten hatten, was später beruflich auf mich zukommen könnte. So flogen nach und nach immer mehr Möglichkeiten raus, bis zum Schluss ein Studiengang übrig blieb: Elektro- und Informationstechnik. Programmiert hatte ich vorher schon mal ein bisschen, von Elektrotechnik hatte ich aber Null Ahnung (gut, ich konnte das Licht an meinem Fahrrad reparieren, das war es aber auch schon). In Mathe war ich schon früher schlecht, Physik fand ich in der Schule öde. Im Großen und Ganzen hätte mir jede Berufsberatung dringend davon abgeraten, diesen Studiengang zu wählen.
Nun bin ich im vierten Semester und muss sagen: diese spontane Entscheidung war genau richtig. Das Studium ist der absolute Hammer! Gerade in den ersten beiden Semestern verstand ich so gut wie nie irgend etwas während den Vorlesungen. Ich versemmelte Mathe natürlich glohreich, aber ich stellte fest, dass ich ein Talent im Programmieren habe. Und auch Mathe bekomme ich immer besser hin. Mit der ersten vergeigten Klausur habe ich mir gesagt: solange die nächste Klausur besser wird, also eine sichtbare, deutliche Lernkurve vorhanden ist, bleibe ich bei diesem Studiengang. Ich habe eine neue Seite an mir kennengelernt: die neugierige Seite, die es einfach liebt, zu lernen. (Natur-)Wissenschaften sind für mich absolut faszinierend: Physik ist wie Magie, die sich (meistens) erklären lässt, Mathe ist so beruhigend mit den festen Regeln und so abgefahren rätselhaft, wenn es in komplexere Themenbereiche geht; Elektrotechnik ist mit Fleiß gar nicht mal so schwierig zu verstehen, trotzdem staune ich doch immer wieder.
Versteht mich nicht falsch, bis auf meine sehr guten Leistungen in Informatik bin ich eine eher unterdurchschnittliche Studentin was die Studien- und Prüfungsleistungen angeht. Doch wage ich zu behaupten, dass ich eine der wenigen bin, die in den Vorlesungen sitzt und gefesselt an den Lippen der Dozentinnen und Dozenten hängt, die einfach dankbar ist so viele tolle Dinge lernen zu dürfen. Das Lernen macht mir unglaublich viel Spaß. Ich nerve die Lehrenden mit dummen Fragen via Mail, die alle anderen garantiert nicht hatten, weil sie einfach ein bisschen fitter im Oberstübchen sind als ich. Natürlich muss ich mehr lernen als die frischgebackenen Abiturienten, mir fallen die Dinge auch nicht wirklich in den Schoß. Aber gerade das macht so viel Spaß: die Dinge für mich neu entdecken, stundenlang knobeln und Rätsel raten.
Natürlich hätte das Experiment auch in die Hose gehen können. Ist es aber nicht. Bislang zumindest. Und sollte ich morgen sterben, wissen meine Familie und Freunde (und ihr jetzt auch), dass ich, insbesondere in den letzten Jahren, sehr glücklich war. Und wenn ich nicht sterbe, dann schaffe ich das Studium oder auch nicht. Wenn ich es schaffe, dann kann ich stolz sein, denn ich habe mit meinem miserablem Abitur ein ziemlich anspruchsvolles Studium geschafft. Und mein Berufsleben danach könnte kaum spannender sein. Wenn ich es nicht schaffe, kann ich stolz sein, denn ich habe mich wirklich etwas getraut. Aus meiner Sicht könnte meine Situation nicht entspannter sein.
An dieser Stelle möchte ich allen Menschen danken, die bereit sind, ihr Wissen mit anderen zu teilen. Ihr seid für mich sowas wie Helden, denn es erfordert ein großes Einfühlungsvermögen, verschiedenen Menschentypen komplexe (oder langweilige) Themen näherzubringen. Danke, dass ihr es zumindest versucht. Ich hoffe, ihr habt so viel Freude am Lehren wie ich am Lernen.
Nun habe ich meine Freude mit euch geteilt. Ob diese Erfahrungswerte jemandem helfen können? Keine Ahnung.
Mir hat es jedenfalls geholfen, denn indem ich diese Zeilen verfasst habe, habe ich mir einen besonders schönen Start in den Tag beschert.
Liebe Grüße,
Singvogel(29).
im anschließenden Text möchte ich von mir erzählen: einer Frau, die es gewagt hat, einen Studiengang zu wählen, von dem sie vorher noch nie etwas gehört hat, in dem sie nicht gut ist und der sie trotzdem glücklich macht.
Da meine Interessen breit gefächert sind und meine Persönlichkeit eher wechselhaft, kam mir der Gedanke, mich mit einer beruflichen Qualifikation in Form einer Ausbildung oder eines Studiums bis zum Ende meines Lebens einem Werdegang zu verschreiben, schon früh eher angsteinflößend als sicher vor. So dauerte es auch 3 1/2 Jahre, bis ich nach dem Abitur eine Ausbildung begann. Bis dahin arbeitete ich ununterbrochen in verschiedenen Bereichen - Gastronomie, Beflockung, Fahrradkurier: ich konnte mich finanzieren, aber übrig blieb am Ende des Monats natürlich nichts.
Meiner Erfahrung nach konnte es so unfassbar schnell passieren, dass das Leben ganz schnell und plötzlich vorbei sein kann - wie viele Freundinnen und Freunde, Bekannte oder Nachbarn habe ich inzwischen altersmäßig überholt? Einige. Zu viele.
Aufgrund dieser Erfahrung von Endlichkeit hat sich meine Einstellung zur allgemeinen Lebensplanung gewaltig geändert.
Ich brach meine Ausbildung kurz vor dem Examen ab; lange schon war ich unglücklich, doch hörte ich von allen Seiten stets "zieh' das Ding durch! Du musst was in der Tasche haben!". Glücklicherweise wurde ich kurz vor dem Examen krank. In dieser Zeit habe ich mein Leben, meine Ziele und meine Wünsche für die Zukunft nochmal überdacht und alles über den Haufen geworfen. Schnell war der Ausbildungsplatz gekündigt und ich fand sofort Arbeit - natürlich weiterhin ungelernt für wenig Geld. Finanziell war das natürlich eine magere Zeit, doch im Gegensatz zu vorher war ich erleichtert und glücklich.
So ging es eine ganze Weile, bis ich mich eines Tages spontan dazu entschied, mich für ein Studium zu bewerben. Es war ein Tag vor Ende der Bewerbungsfrist und ein Gespräch mit einer Kollegin brachte mich darauf, es einfach mal wieder zu versuchen. Inzwischen fühlte ich mich intellektuell unterfordert, war aufgrund dessen latent unzufrieden: es war wohl wieder Zeit, einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen.
Ich klickte mich auf der Uni-Homepage durch die angebotenen Studiengänge und bewarb mich für alles, was mir auf den ersten Blick nichts sagte. Einige Wochen später hatte ich eine Zusage für alle Studiengänge, für die ich mich beworben hatte. Nun begann ich, mir die Profile der Studiengänge genauer anzuschauen - was sie zu bieten hatten, was später beruflich auf mich zukommen könnte. So flogen nach und nach immer mehr Möglichkeiten raus, bis zum Schluss ein Studiengang übrig blieb: Elektro- und Informationstechnik. Programmiert hatte ich vorher schon mal ein bisschen, von Elektrotechnik hatte ich aber Null Ahnung (gut, ich konnte das Licht an meinem Fahrrad reparieren, das war es aber auch schon). In Mathe war ich schon früher schlecht, Physik fand ich in der Schule öde. Im Großen und Ganzen hätte mir jede Berufsberatung dringend davon abgeraten, diesen Studiengang zu wählen.
Nun bin ich im vierten Semester und muss sagen: diese spontane Entscheidung war genau richtig. Das Studium ist der absolute Hammer! Gerade in den ersten beiden Semestern verstand ich so gut wie nie irgend etwas während den Vorlesungen. Ich versemmelte Mathe natürlich glohreich, aber ich stellte fest, dass ich ein Talent im Programmieren habe. Und auch Mathe bekomme ich immer besser hin. Mit der ersten vergeigten Klausur habe ich mir gesagt: solange die nächste Klausur besser wird, also eine sichtbare, deutliche Lernkurve vorhanden ist, bleibe ich bei diesem Studiengang. Ich habe eine neue Seite an mir kennengelernt: die neugierige Seite, die es einfach liebt, zu lernen. (Natur-)Wissenschaften sind für mich absolut faszinierend: Physik ist wie Magie, die sich (meistens) erklären lässt, Mathe ist so beruhigend mit den festen Regeln und so abgefahren rätselhaft, wenn es in komplexere Themenbereiche geht; Elektrotechnik ist mit Fleiß gar nicht mal so schwierig zu verstehen, trotzdem staune ich doch immer wieder.
Versteht mich nicht falsch, bis auf meine sehr guten Leistungen in Informatik bin ich eine eher unterdurchschnittliche Studentin was die Studien- und Prüfungsleistungen angeht. Doch wage ich zu behaupten, dass ich eine der wenigen bin, die in den Vorlesungen sitzt und gefesselt an den Lippen der Dozentinnen und Dozenten hängt, die einfach dankbar ist so viele tolle Dinge lernen zu dürfen. Das Lernen macht mir unglaublich viel Spaß. Ich nerve die Lehrenden mit dummen Fragen via Mail, die alle anderen garantiert nicht hatten, weil sie einfach ein bisschen fitter im Oberstübchen sind als ich. Natürlich muss ich mehr lernen als die frischgebackenen Abiturienten, mir fallen die Dinge auch nicht wirklich in den Schoß. Aber gerade das macht so viel Spaß: die Dinge für mich neu entdecken, stundenlang knobeln und Rätsel raten.
Natürlich hätte das Experiment auch in die Hose gehen können. Ist es aber nicht. Bislang zumindest. Und sollte ich morgen sterben, wissen meine Familie und Freunde (und ihr jetzt auch), dass ich, insbesondere in den letzten Jahren, sehr glücklich war. Und wenn ich nicht sterbe, dann schaffe ich das Studium oder auch nicht. Wenn ich es schaffe, dann kann ich stolz sein, denn ich habe mit meinem miserablem Abitur ein ziemlich anspruchsvolles Studium geschafft. Und mein Berufsleben danach könnte kaum spannender sein. Wenn ich es nicht schaffe, kann ich stolz sein, denn ich habe mich wirklich etwas getraut. Aus meiner Sicht könnte meine Situation nicht entspannter sein.
An dieser Stelle möchte ich allen Menschen danken, die bereit sind, ihr Wissen mit anderen zu teilen. Ihr seid für mich sowas wie Helden, denn es erfordert ein großes Einfühlungsvermögen, verschiedenen Menschentypen komplexe (oder langweilige) Themen näherzubringen. Danke, dass ihr es zumindest versucht. Ich hoffe, ihr habt so viel Freude am Lehren wie ich am Lernen.
Nun habe ich meine Freude mit euch geteilt. Ob diese Erfahrungswerte jemandem helfen können? Keine Ahnung.
Mir hat es jedenfalls geholfen, denn indem ich diese Zeilen verfasst habe, habe ich mir einen besonders schönen Start in den Tag beschert.
Liebe Grüße,
Singvogel(29).
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