Danke für Eure offenen und interessanten Beiträge. Ich habe sie vor ein paar Tagen gefunden, als ich wieder einmal von meiner Familie heimgekehrt bin... in schlechter Stimmung und ein wenig verstört, wie es eigentlich so üblich ist. Ich kann mich nicht erinnern, wann eine Zusammenkunft das letzte Mal quality time gewesen wäre... wann mal locker und entspannt gelacht, die Zeit genossen, etwas Nettes zusammen gemacht wurde.
Ich habe schon mit 18 festgestellt, dass ich mir mit sehr vielen Menschen mehr zu erzählen habe, als mit meiner Mutter. Damals konnte ich das nicht viel genauer verorten, es ist eine Mischung aus Vertrauensverlust, Enttäuschung, Mitleid, Wut und maximalen Bemühungen, sie auf Distanz zu halten.
Meine Mutter hat ihre Kinder durchgehend krankhaft kontrolliert und möchte das auch im Erwachsenenalter gerne fortsetzen. Wenn ich von ihr höre, hat sie quasi nie etwas zu erzählen und möchte eigentlich immer nur in Erfahrung bringen, wo ich mich aufhalte und was ich so treibe. Natürlich auch, um mir ungefragt ihre nutzlosen Ratschläge aufzudrängen, denn ihr ist nicht klar, dass sie mit ihren Einschätzungen ständig falsch liegt und auch bei völliger Ahnungslosigkeit ihre Expertensicht kundtun muss - denn, wenn Sie mal zufällig vor 15 Jahren in irgendeinem Laden Rabatt auf ihre Schuhe bekommen hat, dann sollte ich natürlich auch unabhängig von meinen Wünschen lebenslang immer nur dort einkaufen... dass die von mir gewünschte Marke nicht im Sortiment ist, Nebensache.
In meiner Jugendzeit hat meine Mutter meine Telefonate am Nebenapparat belauscht, die Briefe meiner ersten Freundin und meiner besten Freunde geöffnet... natürlich immer nur aus Versehen - genau so scheinheilig, wie sie nur kurz den Wäschekorb in meinem Zimmer abstellen wollte und dabei ganz zufällig in der hintersten Ecke in der untersten Schublade am anderen Ende des Raums sehr regelmäßig die Dinge gefunden hat, die mir wichtig waren und von denen ich nicht wollte, dass sie gefunden werden. Sie hat keinerlei Respekt vor derlei Grenzen, schaut in jeden Winkel meiner Wohnung und inspiziert alles, was ihr in die Finger kommt. Hätte sie Zugriff auf meine Mails, Briefe, Konten... sie würde sich alles vollständig reinziehen, immer wieder.
Vor Kurzem habe ich einen alten Ordner mit Briefen aus der Jugendzeit wiederentdeckt: Der Ordner hatte Löcher, denn ich habe damals versucht, meine Privatsphäre mit einem Vorhängeschloss zu schützen - vermutlich war auch dieser verzweifelte Akt nutzlos, denn sicher wusste sie auch, wo der Schlüssel zu finden war.
Hatte ich Freunde zu Besuch, schlich sie sich auf der Treppe an, um uns heimlich zuzuhören und plötzlich einzugreifen, wenn ihr etwas nicht passte. Ihr könnt Euch vorstellen, wie man erschrickt, wenn die Stimme plötzlich so unerwartet nah ertönt und so schnell vergisst man das auch nicht.
Als ich mit Freunden über CB-Funk sprach, fand sie auch hier Möglichkeiten, die Gespräche zu verfolgen und wenn sich heute nochmal gelegentlich ein Brief für mich an die Anschrift meiner Eltern verirrt, übergibt sie ihn mir geöffnet. Versehentlich hat sie reingeschaut - es ist alles noch so, wie damals.
Drinnen in der spaßbefreiten Zone flogen ständig die Fetzen und wenn mal ein Nachbar klingelte, dann ging an der Tür förmlich die Sonne auf und die liebste und netteste Mutter des Universums und aller Zeiten flötete ihnen an der Pforte entgegen, während ich oben vor Freude kotzte.
Ein einziges Mal in meiner Jugendzeit hatte ich zu Hause ein Wochenende sturmfreie Bude und nutzte das, um mit zwei Freunden im Garten zu sitzen, ein paar Biere zu trinken und herumzualbern - meine Schwester hatte eine Freundin zu Besuch und machte ihr eigenes Ding. Als meine Eltern sonntags zurückkamen und die leeren Bierdosen in der Mülltonne fanden, musste ich mich tagelang immer wieder für mein krass schlimmes Verhalten rechtfertigen, denn wenn ich mit langjährigen Freunden im Garten sitze und ein paar Biere zische, dann sind die beiden Mädchen im Haus sicher nur knapp einer Vergewaltigung entgangen.
Viel hat sich nicht geändert am Kontrollverhalten. Als mein Bruder neulich nach Monaten mal wieder zu Besuch war, öffnete sie ihm die Tür mit den Worten "Ist die xxx Deine Freundin?", weil diese fehlende Information ihr keine Ruhe ließ und sie deshalb für eine Begrüßung keine Zeit hatte.
Ein anderes Mal sinnierte sie in meinem Beisein und seiner Abwesenheit über den Beziehungsstatus meines Bruders, tat es dann beiläufig ab, das müsste sie ja nicht abfragen, um es dann eine Minute später bei mir zu tun. Sie merkt es nicht. Und sie hat auch sonst nichts, Unternehmungen finden nicht statt, der letzte Urlaub liegt ca. 20 Jahre zurück, die Hauptbeschäftigung ist zu Hause sitzen und das bereits seit Jahrzehnten. Geld für Urlaub wäre durchaus vorhanden.
Die Facebook-Profile ihrer Kinder werden ständig nach Hinweisen abgesucht, aus denen sie sich dann irgendwelche Pseudo-Erkenntnisse zusammenreimt, die mit der Realität wenig zu tun haben.
Wenn ich heute 'zu Hause' bin, ist es kaum möglich, einen Satz zu Ende zu sprechen. Sie fällt mir ständig ins Wort, kommentiert, gibt nutzlose Ratschläge, egal, wie wenig Ahnung sie von einem Thema hat.
Grundhaltung ist stets: Das war dumm, das hast Du falsch gemacht, ich weiß aber, wie es geht. Berufliche Tipps einer Person mit Volksschulabschluss, die ihr Leben lang keinen Beruf erlernt bzw. ergriffen hat, weltfremde Züge aufweist und ihren studierten Kindern aber die Welt erklärt, die sie selbst im Gegensatz zu uns auch nie bereits hat.
Sind wir nicht dort, beobachtet sie die Nachbarn und bekommt jeden noch so uninteressanten Schmutz mit, weil sie ganz zufällig immer genau in dem Moment am gekippten Fenster vorbeigekommen ist und es daher miterlebt hat. Gezwungenermaßen.
Für sehr lange Zeit war ich dennoch weiterhin der Sohn, der aus Pflichtgefühl immer mal wieder vorbeischaut und gelegentlich auch unterstützt. Da mich die Besuche aber konstant nur runterziehen und sehr anstrengend sind, werden die Intervalle immer länger und ich verspüre auch recht wenig Lust, auf irgendwelche Kontrollnachrichten über WhatsApp zu antworten.
Vor ein paar Tagen fuhr ich ratlos nach Hause, nachdem ich drei Stunden lang ihr unzufriedenes Genörgele und Gegeifer anhören durfte. Der Nachbar ist arrogant, das ist ein Schnösel, die Leute sind ätzend, dann die üblichen vollkommen uninteressanten Geschichten, die ich schon etwa 30 Mal gehört habe und bald auswendig mitsprechen kann. Gerne beschwert sie sich auch über ihre Schwester, die ja so viel redet, alles immer besser weiß und nie zuhört. So eine Überraschung, das muss ja wirklich unangenehm sein.
Mein persönliches Highlight war dann, dass sie leise hinter meinem Rücken eine meiner Erzählungen anzweifelte und meinem Vater erklärte, ich hätte ja gar keine Tasche dabei und das sei aber sehr seltsam, wenn ich wirklich gleich mit Freunden zum Wandern verabredet sei. Sie traut also quasi niemandem mehr und ist innerlich dermaßen leer und giftig, dass Anwesenheit zur Qual wird.
Warum erzähle ich das? Weil ich 24/7 mit den Altlasten zu kämpfen habe. Manchmal komme ich mir vor, wie ein Hund, den man so konditioniert hat, dass er jederzeit damit rechnet, zurückgepfiffen zu werden, weil er minutiös überwacht wird und sicher wieder etwas Böses gemacht hat.
Ruft mein Chef mich an, ist mein Reflex: Was habe ich falsch gemacht? Dabei leiste ich überdurchschnittliche Arbeit und verausgabe mich leider auch zu oft, weil es ja früher nie gereicht hat.
Unterhalten sich Kollegen plötzlich leise, habe ich Angst, es könnte gerade um mich gehen. Biete ich einem Kollegen etwas Süßes an und er lehnt es ab, ist das vollkommen belanglos - trifft mich aber trotzdem, weil diese Reflexe mit der Sorge vor Ablehnung so tief sitzen. Immer. Auch bei langjährigen Freunden und wie es um Vertrauen in Beziehungen bestellt ist, könnt Ihr Euch vermutlich denken.
Im Büro höre ich drei Gesprächen parallel zu, aus Sorge, es könnte um mich gehen und jemand etwas Negatives sagen. Lacht jemand, erschrecke ich innerlich, denn er könnte ja über mich lachen. Und leider bin ich unglaublich routiniert darin, das alles zu kaschieren und mir nichts anmerken zu lassen, während ich nach fünfminütigen Gesprächen mit den Nachbarn mit zitternden Mundwinkeln völlig erschöpft auf die Couch sinke. Ansonsten gehe ich aber immer seltener vor die Türe und vermeide soziale Kontakte, weil sie mir zu kräftezehrend sind.
Von den Kindern bin ich offenbar noch der Selbstbewussteste und hatte auch einige Beziehungen - während meine Schwester über drei Jahrzehnte lang single geblieben ist. Nach 15 Jahren Therapie habe ich zwar Vieles verstanden und reflektiert, aber die Erfolgsbilanz ist überschaubar und all zu viel Lust habe ich auch nicht mehr, beim Therapeuten Schleifen zu drehen und mir Dinge vorzunehmen, die dann im Alltag scheitern, oder erfolglos versanden.
Mit meinem Roman hier möchte ich auch eigentlich nicht jammern, oder mich beschweren... sicher hört es sich so an. Tatsächlich haben mich aber Eure Eindrücke vor ein paar Tagen so gepackt und nachdenklich gemacht, dass ich einfach mal schreiben wollte... und sagen: Ich kenne das, ich verstehe Euch. Und es tut mir leid, dass Ihr keine schönen Geschichten von 'zu Hause' erzählen könnt. Ich hoffe, das ändert sich. Alles Gute!