Hallo liebe Mitmenschen,
ich weiß gar nicht so genau, was ich mir daraus erhoffe, dass ich das hier reinschreibe. Vielleicht möchte ich mich mit diesen unerträglichen Gedanken einfach nicht alleine fühlen. Ich wache morgens auf und werde von einem unsagbaren Grauen befallen, das mir Appetit und Ruhe raubt. Meine Geschichte ist lang und ich erwarte nicht von jedem, dass er sie liest. Sie ist aber so katastrophal für mich gelaufen, dass ich tatsächlich mit Selbstmordgedanken spiele. Ich sehe ein Leben auf diesem Planeten manchmal gar nicht mehr ein. Mir kommt es vor, als würde ich ohne Ende strampeln, um aus der Tiefe zu kommen und doch gibt es immer wieder Menschen, Paragraphen oder Unglücksfälle, die mich wieder hinunterstoßen. Ich bin verzweifelt, verbittert, manchmal hasserfüllt und dann manchmal wiederum enttäuscht jenseits aller Vorstellungskraft. Ich fühle mich ausgeliefert, hilflos und ohnmächtig. Ich komme mir vor, als wäre ich den Gelüsten, der Willkür und den Launen Dritter völlig ausgeliefert, ohne mir selbst helfen zu können. Wer meine Geschichte liest, wird diese Gefühle womöglich besser nachvollziehen können. Ich schreibe sie hier, weil ich einfach nicht weiter weiß. Zum ersten Mal in meinem Leben, weiß ich wirklich nicht weiter...
Ich bin US-Amerikaner und mit 18 Jahren nach Deutschland ausgewandert, um die Liebe meines Lebens zu heiraten. Sie war Deutsche, ein verträumtes schriftstellerisches Mädchen in der Oberstufe, eine sensible Person in einer Welt, die mir so hart und technokratisch vorkam. Sie war das, wonach ich immer gesucht hatte. Auch ich bin sensibel, liebe Literatur und alte Musik. Viele würden mich einen Romantiker nennen. Wir haben einfach zusammengepasst, dieses Mädchen und ich. Mir war oft, als ob ein wunderschönes Phantasiewesen aus alten Zeiten mich aus einer zukunftslosen Welt des Stumpfsinns gerettet hätte. In Amerika auf dem Land waren alle arm, die Bildung karg und die große Zukunft vieler meiner Altersgenossen war das Stahlwerk am Ende der Straße, das die Häuser (und die Lungen) mit Ruß bedeckte. Es war klar, dass – wenn ich jemals etwas Besseres im Leben wollte – ich mich gewaltig verschulden müsste, um später aus diesem Loch und auf eine gute Universität zu kommen.
Diese deutsche Elfe hatte mich aber aus diesem geistigen Gefängnis herausgeholt. Ich spürte, wie ich von Tag zu Tag schlauer wurde, je mehr ich mich mit ihrer Sprache beschäftigte. Ich bestellte mir einen Duden nach Hause und las ihn Tag und Nacht wie einen Roman, entwarf Verblisten und Regeltabellen. Von den dunklen rollenden Klängen der deutschen Sprache und ihrer verschachtelten Rätselhaftigkeit konnte ich nicht genug bekommen. Ich wusste schon immer, dass mein Ururgroßvater aus Baden nach Amerika ausgewandert war und ich fand es immer traurig, dass seine Kinder die deutsche Sprache nicht an ihre Kinder weitergegeben hatten. Etwas zog mich nun zu meinen Wurzeln zurück und ich entdeckte einen Teil meiner selbst, der mir sehr gefiel.
Dieses Mädchen und ich hatten uns nur zufällig kennengelernt, weil unsere Schulen Mitglieder in einem Brieffreundschaftenverteiler waren. Die amerikanischen Schüler sollten ihr Deutsch durch Schreiben an Deutsche verbessern und die Deutschen ihr Englisch umgekehrt. Wir schrieben uns eifrig fast zwei Jahre lang, bevor wir uns das erste Mal in Person sahen. Im Sommer 2007 verbrachte ich drei Monate mit ihr in Deutschland und war wie im Paradies. Wir pilgerten durch das Land, besuchten verschiedene Städte, wanderten herum und lernten uns besser kennen. Es war uns recht schnell klar, dass wir uns sehr liebten. Der Abschied am Flughafen war herzzerreißend. Ich bin in die geistige und kulturelle Einöde wieder zurückgekehrt, aus der ich immerhin flüchtig herausgekommen war. Meine Freundin und ich chatteten immer mehr und unterhielten uns fast täglich mit Kopfhörer und Mikrofon im Internet. Im Winter kam sie dann zwei Wochen lang zu mir. Wieder ein schrecklicher Abschied.
Ich sah plötzlich meine Umgebung als Gefängnis, die restliche Schulzeit auf meiner Highschool als die Zeit, die ich würde absitzen müssen, um endlich ein Leben zu führen, das mir etwas bedeutete. Es wären noch anderthalb Jahre. Ich distanzierte mich immer mehr von meinen Schulkameraden, weil ich allmählich nichts mehr mit ihnen gemeinsam hatte. Ich hatte ganz andere Ziele und Vorlieben. Meine Freundin und ich sahen uns leider nur selten, weil keiner von uns genug Geld hatte, um den anderen regelmäßig zu besuchen. Wir vermissten uns und beschlossen bald zu heiraten, weil uns dann kein Staat mehr trennen konnte.
Es war 2008 als ich nach Deutschland geflogen bin, um den großen Schritt zu tun. Ich war gerade 18 geworden und hatte entgegen allen strengen Mahnungen meines Highschool-Rektors meinen Abschluss vorgezogen, weil ich den Stumpfsinn dort nicht mehr aushielt. Meine Freundin hatte eine kleine Wohnung in Deutschland besorgt und mit ihrem Vater schön zurecht gemacht. Dort sind wir beide eingezogen. Im Sommer haben wir auf dem Standesamt geheiratet und gingen bald auf die Ausländerbehörde, um meine Aufenthaltserlaubnis zu besorgen. Die Sachbearbeiterin wollte sie mir nicht geben und warf uns an den Kopf, dass wir verrückt wären, einander in Deutschland geheiratet zu haben. In Amerika wäre es viel besser gewesen, dort gäbe es weit mehr Möglichkeiten und Freiheit. In Deutschland gäbe es keine Arbeit und keine Zukunft.
Wir sind bestürzt nach Hause und haben uns anwaltliche Hilfe besorgt. Nachdem wir einen Brief aufgesetzt und an die Ausländerbehörde geschickt hatten, bekam ich endlich meine Aufenthaltserlaubnis. Der nächste Schritt war die Anerkennung meines vorgezogenen Highschoolabschlusses. Meine Frau hatte gerade ihr Abitur geschrieben und begann ihr Studium. Nach mehreren vergeblichen Versuchen, an die Universität zu gelangen, musste ich meinen Highschoolabschluss schließlich ans Kultusministerium schicken. Dort wurde er nach fast einem Jahr als Realschulabschluss anerkannt. Ich hatte in der Zeit auf einer Baustelle als Schleppkraft gearbeitet, weil ich leider nichts anderes gefunden hatte. Jeden Tag hatte ich in der Mittagspause meinen Duden gelesen und ohne Unterlass gelernt.
Mit einem Realschulabschluss ließ sich leider nicht sofort studieren und auch nicht das Studiumkolleg besuchen, also musste ich auf das Abendgymnasium. Dafür waren jedoch zwei Jahre Berufstätigkeit in Vollzeit notwendig. Ich wechselte zu einer Personalverleihfirma und arbeitete als Bürokraft. Als die zwei Jahre rum waren, war es so weit: Endlich konnte ich auf die Schule. Während der ersten drei Semester war es allerdings noch weiterhin notwendig, dass man arbeitete. Also tat ich das auch: Ich arbeitete von 8:00 bis 18:00 Uhr und war von 18:30 Uhr bis 22:00 Uhr auf der Schule. Es war ermüdend, aber es machte mir Spaß, endlich mal den Sprach- und Wissensschatz, den ich mir selbst angeeignet hatte, für etwas Sinnvolles zu gebrauchen.
In dieser Zeit schlug die erste Bombe ein. Eines Abends bin ich zu meiner Frau nach Hause gekommen. Sie lag etwas teilnahmslos auf dem Bett und starrte die Decke an. Ich legte mich zu ihr und fragte sie, was sie denn habe. Auf einmal sagte sie es: „Ich glaube, ich bin als Kind missbraucht worden.“
Ich war wie gelähmt.
„Von wem?“ hatte ich gefragt.
„Von meinem Onkel“, war die Antwort.
Ich war anfangs betäubt und unfähig zu begreifen, was ich da hörte. Ich hatte mich bis dahin so gut in die Familie hineinintegriert, dass wir alle wie ein Herz und eine Seele waren. Jede Geburtstagsfeier machte mir Spaß, ich konnte mich mit allen über sinnvolle Themen unterhalten, ganz im Gegensatz zu meiner amerikanischen Familie, die nur in der Lage war, über Fernsehserien oder billige Lokale zu reden. Ich hatte meiner Frau niemals angemerkt, dass irgendwo etwas im Argen liegen sollte. Und das Schlimmste war, dass ich für diesen Onkel sogar nebenbei arbeitete. Ich kannte ihn besonders gut und wir waren in vielen Dingen gleicher Meinung, hatten uns stundenlang nach der Arbeit über alles Mögliche unterhalten.
Ich fragte meine Frau, was dieser Onkel denn getan habe. Als sie es mir sagte, wurde mir übel. Mir war klar, dass das eindeutig sexueller Missbrauch gewesen war.
Um alles schwieriger zu machen, waren wir gerade dabei umzuziehen, und zwar genau in jenes Mehrfamilienhaus, in dem dieser Onkel auch wohnte. Fast die ganze Familie war in diesem Haus untergebracht und hatte sich eine Wohnung nach der anderen zufällig erobert. Ich war völlig entsetzt und fragte meine Frau, was sie jetzt tun wollte.
„Ich will versuchen, das für mich zu verarbeiten“, war die Antwort.
Sie wollte noch in das Haus einziehen und hatte kein Problem damit. Ich arbeitete noch eine Zeitlang für diesen Onkel, hörte aber schließlich damit auf. Wir wohnten ungefähr ein Jahr in dieser Wohnung und es ging uns dort am Anfang gut. Auch wenn ich oft ungute Gefühle wegen des Missbrauchs meiner Frau hatte, schien es ihr nicht schlecht zu gehen. Sie genoss die Nähe zu ihrer Oma im Erdgeschoss und ich hatte es nicht weit zur Schule und zur Arbeit.
Bis dahin hatte ich fast keinen Kontakt zu meiner Familie in Amerika gehabt. Mein Vater war seit meiner frühesten Kindheit Alkoholiker gewesen. Zudem hatte er Zwangsneurosen: Er wusch sich alle 5 Minuten die Hände, zählte Gegenstände ohne Sinn und Zweck und konnte an Wochentagen nicht einkaufen gehen, die durch 2 teilbar sind. Das waren nur einige wenige Regeln, nach denen er leben musste. Meine Mutter konnte nicht von ihm lassen, obwohl sie todunglücklich war. Sie hatte sich schon zweimal von ihm getrennt: Das erste Mal war ich 10 und das zweite Mal war ich 16. Die zweite Trennung kam nach seinem ersten Selbstmordversuch: Ich war mit meiner Mutter von einer Klavierstunde nach Hause gefahren und fand ihn mit offenen Armen in der Badewanne. Alles war mit Blut vollgespritzt. Mein Vater wurde in Behandlung genommen und bei seiner Entlassung zu einem Psychiater geschickt, der ihn anschließend mit Medikamenten vollpumpte, ohne ein einziges Mal zu wissen, dass mein Vater Alkoholiker war und somit ständig Alkohol mit seinen Tabletten einnahm.
Als ich nach Deutschland gezogen bin, waren meine Eltern weiterhin getrennt, sahen sich aber trotzdem regelmäßig, weil meine Mutter sich für ihn verantwortlich fühlte. Sie riefen oft gemeinsam an, bis ich es irgendwann nicht mehr aushielt. Ich konnte Englisch kaum noch hören. Ich wollte weg von Amerika und dem Ort meiner Kindheit, wollte endlich ganz woanders ankommen. Ich schrieb den beiden eine lange Email und bat sie darum, den Kontakt erstmal einzustellen. Ich bräuchte Zeit für mich und eine gute Weile Abstand. Als meine Frau und ich umgezogen waren, hatte ich seit fast anderthalb Jahren nichts mehr von meiner Familie aus den USA gehört.
Eines Tages klingelte mein Handy auf der Arbeit. Als ich dran ging, fragte mich meine Frau, ob ich denn sitze oder stehe. Ich solle mich unbedingt hinsetzen, falls ich stehe. Ich fragte sofort, wer gestorben sei. Meine Mutter? Nein. Mein Vater? Schweigen. Nach einigen Sekunden fing meine Frau zu weinen an. Mein Vater hatte sich umgebracht. Meine Mutter hatte sich endlich von ihm scheiden lassen, als sie einen neuen Mann kennenlernte. Sie war danach gerichtlich gezwungen worden, ihm Unmengen an Geld jeden Monat zu überweisen. Er hatte eine Wohnung, für die er keinen Cent bezahlen musste und hielt es trotzdem kein Jahr aus. Man hatte ihn auf dem Fußboden in seinem Badezimmer gefunden. Es war scheinbar eine Überdosis an Schlaftabletten gewesen, die ihn dahinraffte.
Ich fuhr nach Hause zu meiner Frau und weinte mich aus. Am nächsten Tag erwartete man mich trotzdem auf der Arbeit. Die Firma habe ja niemanden, der mich ablösen könnte. Mein Kollege war im Urlaub und es gab keine Vertretung. Ich war noch jung, hatte Angst und wusste mich nicht zu wehren. Ich brauchte außerdem den Job, um die Schule besuchen zu dürfen, wenigstens bis zur Abiturphase. Also ging ich auf die Arbeit und trauerte in meiner Freizeit. In dieser Zeit merkte auch meine Frau, dass sie mit dem Onkel in unserem Haus doch nicht klar kam. Wir hatten beide bis dahin Therapien gemacht, aber sie schienen wenig hilfreich zu sein.
Der Onkel meiner Frau hatte Diabetes und vernachlässigte seine Gesundheit. Als er sich am Ofen verbrannte, konnte die Wunde wegen seiner Krankheit nicht richtig heilen. Die provisorischen Verbände, die er sich angelegt hatte, waren zudem verunreinigt. Nach einigen Wochen bildete sich eine so schlimme Infektion, dass schließlich eine Blutvergiftung entstand. Ich fand ihn lallend und gelähmt eines Abends auf seinem Sofa und ließ ihn ins Krankenhaus einliefern. Der Notarzt sagte mir, dass sie ihn fast verloren hätten. Sein Gewerbe war finanziell am Scheitern, sodass er sich die Krankenkassenbeiträge kaum noch leisten konnte. Als es unsicher war, ob er überleben würde oder nicht, wollte meine Frau sich nicht länger über den Missbrauch ausschweigen.
„Ich will nicht, dass er das womöglich mit ins Grab nimmt“, meinte sie.
Eines Tages, als ich bei der Arbeit war, fuhr sie mit ihrem Vater ins Krankenhaus und konfrontierte ihren Onkel. Er gestand alles zu, schien sich aber mit Empathie sehr schwer zu tun. Er sei einfach in anderen Zeiten aufgewachsen und schließlich habe auch ihn ein Nachbar missbraucht, als er fünf war. Das enttäuschte meine Frau zutiefst und sie wollte verständlicherweise nicht mehr dort wohnen.
Zu dieser Zeit tat sie sich auch immer schwerer mit unsrer Ehe. Die Sexualität war überhaupt schwierig für sie geworden. Ich glaube, dass wir beide einfach überlastet waren. Sie wollte näher an der Universität sein und sagte mir, dass wir vorübergehend getrennt leben sollten. Am Anfang war ich komplett dagegen, sah aber schnell ein, dass sie ihre Meinung nicht ändern würde. Ich bezog eine kleine Einzimmer-Wohnung und sie gründete in der Stadt eine WG mit einer alten Schulkameradin. Der Umzug musste schnell gehen, weil sie den Anblick ihres Onkels nicht mehr aushielt. Inzwischen hatte die ganze Familie vom Missbrauch erfahren und war gespalten und verstört. Keiner wusste so genau, wie er damit umgehen sollte. Weil wir keinen Nachmieter für die gemeinsame Wohnung fanden, zahlten wir drei Monate lang drei Mieten und verloren unsere Ersparnisse. Wir sahen uns am Wochenende und nur sporadisch unter der Woche. Der Plan war, wieder zusammenzuziehen, nachdem ich mein Abitur geschrieben hätte.
In dieser Zeit blieb ich mit Schule und Arbeit so beschäftigt, dass ich kaum noch die Möglichkeit hatte, wirklich in mich zu gehen. Im Nachhinein kann ich mit Sicherheit sagen, dass es mir gar nicht gut ging. Meine Frau kam mit ihrem Missbrauch immer weniger zurecht und ihre Therapie schien kaum zu wirken. Sie wurde immer anhänglicher und brauchte immer mehr Aufmerksamkeit, wenn sie bei mir war. Das wiederum frustrierte mich, weil ich ja eh von Anfang an dagegen gewesen war, dass wir getrennt lebten und jetzt litt sie auch genau darunter. Weil sie abends nicht schlafen konnte, setzte es sich irgendwann durch, dass ich sie „ins Bett bringen“ sollte, wie sie es nannte. Ich las ihr eine Gutenachtgeschichte vor, weil sie meine Stimme brauchte, um ruhig zu werden. Sobald sie eingeschlafen war, konnte ich aufhören und selbst schlafen. Wir begannen immer häufiger fernzusehen, wenn wir zusammen waren. Etwas anderes wollte sie oft nicht tun und daran merkte ich, dass sie das starke Bedürfnis hatte, vieles im Geist zu verdrängen.
Um die Sache schlimmer zu machen, zerstritt sie sich bald mit ihrer WG-Mitbewohnerin und war danach fast nur noch bei mir. Sie wollte so schnell wie möglich aus der WG raus, musste aber darauf warten, dass ich mein Abi schrieb. Mein Abitur stand vor der Tür und ich paukte zu dieser Zeit wie verrückt. Gleichzeitig kümmerte ich mich immer mehr um meine Frau und wurde obendrein bei der Arbeit gemobbt: Mein Arbeitskollege wollte nicht mehr die Stelle mit mir teilen, weil er mehr Geld brauchte und versuchte mir deshalb Fehler in die Schuhe zu schieben, für die er aber alle selbst veranwortlich gewesen war! Bis zum Abitur waren nur noch 5 Wochen, als mein Kollege plötzlich Urlaub machen musste. Ich hatte meinem Arbeitgeber seit 2 Jahren klargemacht, dass ich irgendwann Abitur schreiben würde und in dieser Zeit eine Entlastung bräuchte. Jetzt sollte ich plötzlich Überstunden schieben. Ich kündigte spontan und litt bald mit 23 Jahren an einem Bandscheibenvorfall.
Trotzdem schaffte ich es, mein Abitur zu schreiben und das sogar mit 1,0. Ich war Jahrgangsbester und konnte es kaum fassen. Endlich schien alles bergauf zu gehen. Ich konnte endlich studieren und meine Frau und ich wollten wieder zusammenziehen. Wir fanden eine schön große Altbauwohnung in der Stadt und ich schrieb mich für Geschichte an der Univeristät ein. Bald merkte ich aber, dass mir die Naturwissenschaft fehlte und nahm auch Physik dazu. Ich stellte auch langsam wieder Kontakt zu meiner Mutter her. Bald skypten meine Frau und ich regelmäßig mit ihr und ihrem Freund.
Alles ging eine Zeitlang gut, bis meine Frau einen Prozess gegen ihren Onkel einleitete. Sie war wütend auf ihn, weil er uns in keiner Weise bei unserem Umzug unterstützt hatte. Er hatte sich auch nie entschuldigt. Die Termine in der Anwaltskanzlei und überhaupt das erneute Durchleben des Missbrauchs beim polizeilichen Verhör machte meiner Frau zu schaffen. Sie wurde zunehmend anhänglich, wollte immer mehr fernsehen und konnte abends nicht mehr einschlafen. Sie versuchte es mit Joggen und Yoga, aber nichts von dem war nachhaltig.
Manchmal begann sie in der Nacht so laut zu weinen, dass sie mich gar nicht mehr hörte. Es war dann fast, als befände sie sich an einem ganz anderen Ort, weit weg von mir. Sie konnte sich hinterher an Dinge gar nicht mehr erinnern. Während sie fast schrie, flehte sie mich hin und wieder an, dafür zu sorgen, dass ihr die Bilder aus dem Kopf verschwänden. Ich war oft hilflos. Ich tat mein Bestes, für sie dazusein, verlor aber mit der Zeit immer mehr an Kraft. Ihre Familie war auch mit der Situation überfordert. Einige fanden den Prozess gut, andere konnten es kaum fassen. Ich fand es grundsätzlich gut, dass sie für sich einstand, hatte aber Bedenken, weil es uns beide so viel Kraft kostete.
Ich rutschte immer mehr in die Position eines Dauerseelsorgers und –pflegers. Ich kochte immer häufiger, bis ich der Einzige war, der kochte und haushielt. Bald litt auch mein Studium unter der Schlaflosigkeit, die dadurch ausgelöst wurde, dass meine Frau mitten in der Nacht ihre Anfälle hatte und ins Bett gebracht werden musste. Ich las ihr ungefähr eine bis zwei Stunden lang jeden Abend vor, damit sie einschlief. Ich schrieb ihr zu diesem Zweck sogar ein 20-seitiges Märchen. Erst wenn sie schlief, konnte ich aus dem Bett klettern und meine Physikaufgaben für die Uni erledigen. Als es nachts immer schwieriger wurde, bat ich sie, sich eine andere Art Therapie zu suchen und etwas zu ändern, weil es so für mich nicht mehr weitergehen konnte. Sie wehrte das ab und sagte mir, ich solle mir „meinen eigenen Raum suchen“, wenn ich es damit nicht aushielt. Also tat ich das auch: Ich versuchte, mich auf meine Aufgaben zu konzentrieren und im Wohnzimmer zu bleiben, wenn sie nicht einschlafen konnte. Irgendwann kam sie aber zu mir, starrte mich auf der Türschwelle an und flehte, dass ich es doch nochmal mit „Ins-Bett-Bringen“ versuche. Wenn ich dann Nein sagte, setzte sie sich hinter mir aufs Sofa und starrte mich vorwurfsvoll an. So ging das fast jeden Abend anderthalb Jahre lang und unter diesen Bedingungen konnte ich nicht arbeiten.
Eines Abends sollte ich ein Stipendium empfangen und freute mich schon darauf. Ich hatte mir beim Studium weniger vorgenommen, weil ich öfters zu Hause sein wollte, war aber trotzdem glücklich, endlich an der Uni zu sein. Da ging es wieder los. Meine Frau weinte, sah Bilder und legte sich in der Fötushaltung aufs Sofa. Ich versuchte sie zu trösten, aber es brachte nichts.
„Ich will keine Last für dich sein!“ wiederholte sie ständig.
Ich versuchte mit ihr zu reden, aber es half nichts. Ich hatte meine Aufgaben die ganze Woche wegen solcher Situationen vernachlässigt und setzte mich schnell hin, weil sie am nächsten Tag fällig waren. Vor der Stipendiumvergabe hatte ich noch ein Tutorium und musste gleich los. Meine Frau merkte, wie angespannt ich war. Das machte es nur noch schlimmer. Ich sagte ihr, ich hätte keine Zeit für das alles. Ich würde mich später darum kümmern. Ich fuhr los, vergaß aber meine Geldbörse und musste nach dem Tutorium wieder nach Hause, bevor ich auf die Vergabefeier gehen konnte. Da fand ich meine Frau immernoch auf dem Sofa vor.
Und da zerbrach etwas in mir.
Ich begann zu würgen, geriet völlig in Panik. Ich hatte keine Kraft mehr, keine Energie mehr dafür. Ich sagte ihr, es könne so nicht mehr weitergehen. Ich begann einen Koffer zu packen. Da schrie sie wie ein verwundetes Tier und ich wäre am liebsten gestorben. Alle Schuldgefühle der Welt stürzten auf mich ein und gleichzeitig spürte ich, dass ich um mein eigenes Überleben kämpfte. Ich skypte mit meiner Mutter, während meine Frau auf dem Sofa lag und weinte. Kaum zu glauben, dass meine Frau und ich erst vor zwei Wochen mit ihr gemeinsam geskypt hatten. Da schien alles in Ordnung zu sein. An diesem Abend endete für mich die ganze Welt, alles ging unter, was ich liebte und für mein Leben wollte. Ich konnte einfach nicht mehr, ich war erschöpft. Und ich machte mir auch noch Vorwürfe, weil der Prozess praktisch vor der Tür stand.
Ich fuhr in ein Hotel, wo ich mich ständig übergab und nicht weiter wusste. Ich skypte mit meiner Mutter wie ein kleines verlorenes Kind. Wo sollte ich hingehen? Was sollte ich tun? Wie konnte ich bei meiner Frau entschuldigen? Sollte ich das überhaupt? War meine Ehe zu Ende, war ich ein schlechter Mensch, oder einfach nur ein Schwächling? Irgendwann fand ich den Mut, meine Frau anzuschreiben, als sie plötzlich bei Sykpe online war. Sie war wütend und machte mir klar, dass sie weder mit mir reden noch mich sehen wollte. Ich sollte nicht wiederkommen. Wenn ich wiederkäme, wäre sie auf jeden Fall nicht da. Ich schrieb ihr, dass ich am nächsten Tag heimkommen wollte und bat sie um ein Gespräch.
Als ich nach Hause kam, war sie nicht da. Ich wusste auch nicht, wohin sie gegangen war. Ich hielt es drei Tage lang in der Wohnung alleine aus. Ich konnte nichts mehr essen, nicht schlafen. Ich fühlte mich, als liefe mir eisiges Wasser durch den ganzen Körper. Alles, was ich zu mir nahm, kam wieder hoch. Meine Mutter sagte mir irgendwann, dass ich zu ihr fliegen sollte, um mich ins Bett zu legen und mich zu erholen. Ich war seit fast sieben Jahren nicht mehr in Amerika gewesen. Ich hörte auf sie und buchte einen Flug.
Weil meine Frau nicht an ihr Handy ging, schrieb ich ihr eine Email. Ich erklärte ihr, dass ich ein paar Wochen in Amerika sein würde. Da kam plötzlich eine Nachricht zurück, in der sie mich anflehte, dass wir reden. Wir hatten uns aber schon schriftlich auf Skype so in Haare bekommen, dass ich zu erschöpft war, um jetzt zu reden. Ich befürchtete, dass wir noch keine ausreichende Pause gehabt hatten, um wirklich eine sinnvolle Lösung zu finden. Ich sagte ihr, dass ich fliegen, aber in Kürze wiederkommen würde. Ich erklärte ihr, dass ich einfach Zeit für mich brauchte, um einen klaren Kopf zu bekommen. Das nahm sie mir sehr übel und im Nachhinein wünsche ich mir mit ganzem Herzen, dass ich auf ihren Wunsch eingegangen wäre. Vielleicht hätte ich sie dann nicht verloren, wenn ich die Kraft gehabt hätte zu reden ...
Es war seltsam, in Amerika zu sein. Ich merkte schnell, dass ich gar nicht mehr dorthin passte. Ich verbrachte die meiste Zeit in meinem alten Bett bei meiner Mutter. Meine Frau begann mit mir auf Skype zu schreiben. Sie machte ihr Verhalten schließlich für mein Verhalten verantwortlich: Ich sei nicht in der Lage, mich abzugrenzen. Das sei ja nicht ihr Problem, sondern meines. Außerdem müsse sie sich vor mir schützen, wenn ich sie „einen Energievampir“ nenne, wie ich es am Abend der Trennung im Streit getan hatte. Ich fragte sie, wie es sein kann, dass ein solcher einmalige Ausrutscher („Energievampir“) für ein so großes Problem verantwortlich sein könnte, das sich über lange Zeit erstreckt. Ich erklärte ihr, dass die Wurzeln des Problems viel tiefer liegen müssten. Sie schrieb mir, dass sie lediglich Trauerarbeit leiste, ich solle sie in Ruhe lassen. Irgendwann hieß es, dass meine Sachen alle im Schlafzimmer stünden. Ich solle sie zusammenpacken und verschwinden. Es gäbe ja schließlich ein Männerheim.
Nach sechs Wochen bin ich zurückgekehrt und habe gepackt. Meine Physikklausuren hatte ich alle verpasst. Ich brachte meine Dinge auf ein Lager und suchte nach einer Bleibe. Ich kam zuerst über Airbnb bei einer lithauischen Dame unter, die ihr Haus gerade noch mit den Einnahmen von ihren Gästen finanzieren kann. Unter der Adresse ließ ich mich dann ummelden. Danach ging es auf die Ausländerbehörde, denn ich hatte einen Brief bekommen, dass meine Aufenthaltserlaubnis kurz davor war, abzulaufen. Als ich dorthin bin, sah der Sachbearbeiter, dass meine Frau nicht auf meiner aktuellen Meldebescheinigung stand.
Ich bekam dann eine Aufenthaltserlaubnis für getrennte Ehegatten, gültig für ein Jahr. Danach könne sie nur verlängert werden, wenn ich mich mit einem Job selbst unterhalten könnte. Ich fragte den Sachbearbeiter, wie das denn gehen sollte, ich sei ja schließlich nur Student. Er sagte mir, dass ich dann nach einem Jahr ein Studentenvisum bekommen könnte. Dann fragte er mich, warum ich mich eigentlich nie hatte einbürgern lassen. Ich hätte es nach drei Jahren Ehe in Deutschland tun können. Ich erklärte ihm, dass mir keiner auf der Behörde das jemals erzählt hatte. Man hatte immer nur stumm verlängert, was ich eh schon hatte. Ich hatte immer geglaubt, man würde mir schon Bescheid geben, wenn mir etwas Besseres zustünde. Der Sachbearbeiter lachte. Ich könnte mich jetzt noch um eine Einbürgerung kümmern, meinte er. Allerdings ginge das nicht mehr, wenn ich später ein Studentenvisum haben sollte. Es war also klar: Ich musste die Aufenthaltserlaubnis behalten, die soeben bekommen hatte. Das würde bedeuten, dass ich einen Job haben musste, um meinen Lebensunterhalt zu sichern. Dass meine Mutter mir Geld zuschickte, zählte nicht.
Ich hätte am liebsten geschrien und mir die Haare ausgerauft. Ich war so am Ende, dass ich glaubte, mein Herz müsste einfach aufhören zu schlagen. Ich rannte buchstäblich zur Einbürgerungsbehörde. Auch wenn ich meine Frau verlieren sollte, so wollte ich nicht auch noch mein Zuhause, mein Deutschland, verlieren. Dort sagte man mir, dass ich wegen meines guten Abiturs die Einbürgerung beantragen könnte. Ich hatte allerdings meine Aufenthaltserlaubnis noch nicht und musste also darauf warten. Für einen Amerikaner dauere das Einbürgerungsverfahren ein Jahr. Mit einer Aufenthaltserlaubnis als getrennter Ehegatte ginge es, mit einem Studentenvisum nicht.
Also suchte ich einen Job, während ich auf meine Aufenthaltserlaubnis wartete. Ich fand einen, der gerade noch genug hergibt, um eine Verlängerung meiner aktuellen Aufenthaltserlaubnis im neuen Jahr möglich zu machen. Das wird aber trotzdem nicht einfach, denn die Ausländerbehörde rechnet einen ausländischen Berufstätigen arm, bevor sie nachschaut, ob sein Einkommen wirklich eine Aufenthaltserlaubnis rechtfertigt. Von seinem Nettoeinkommen zieht sie einen Freibetrag von 300 EUR und dann einen Betrag in Höhe des Hartz-IV-Satzes (399 EUR) ab. Was übrig bleibt, darf für die Miete drauf gehen, aber auch nicht mehr. Wenn man nach dieser Rechnung ins Minus rutscht, ist der Lebensunterhalt nicht gesichert und die Aufenthaltserlaubnis wird nicht erneut erteilt. Dann muss man entweder ausreisen oder das nächstbeste nehmen: In meinem Fall ein Studentenvisum, aber dann könnte ich die Einbürgerung vergessen.
Um die Sache noch stressiger zu machen, gab es bei meiner Aufenthaltserlaubnis einen Fehler mit meiner Passnummer, sodass ich weitere vier bis sechs Wochen warten musste, bevor ich meinen Einbürgerungsantrag stellen konnte. Ich habe ihn endlich Mitte August abgeben können. Jetzt muss ich die Ausländerbehörde solange vom Hals halten, bis ich Deutscher werden kann. Danach will ich mit meiner neuerworbenen Freiheit einfach weiterstudieren und in Frieden leben.
Ich arbeite jetzt und wohne zur Miete bei dieser lithauischen Dame, die sich kaum noch über Wasser halten kann. Dort, wo ich wohne, sind die Mieten so hoch, dass es unmöglich für mich ist, eine Einzimmer-Wohnung zu bekommen, ohne meine Aufenthaltserlaubnis nichtig zu machen. Denn ich muss nämlich die obige Berechnung beachten, die die Behörde durchführt. Während es jedem Deutschen möglich ist, eine teuere Wohnung zu mieten und auf Aufstockungen vom Jobcenter einfach zu verzichten, ist dies einem Ausländer wie mir nicht erlaubt: Selbst bei einem Verzicht auf Aufstockung reicht allein schon der theoretische Anspruch aus, um eine Ausweisung zu rechtfertigen.
Ich habe jetzt auch erfahren, dass meine Vermieterin einen Tumor im Unterleib hat, bei dem noch nicht klar ist, ob er Krebs ist oder nicht. Wenn diese Frau stirbt, stehe ich auf der Straße und werde ausgewiesen. Ich suche also verzweifelt nach WG-Zimmern, die günstiger sind. Ein Arbeitskollege ist jetzt auch dabei, bei seinem Vermieter nachzufragen, ob er eine WG gründen darf, in der ich günstig mitwohnen kann. Das muss aber schriftlich erfolgen und weil der Vermieter eine große Firma mit einem Sitz in einer anderen Stadt ist, wird das Zeit kosten. Ich habe schon andere WG-Zimmer angeschaut, bekomme aber entweder Absagen, weil ich zur Zeit nur inoffiziell studiere oder weil die Zimmer schon vergeben sind. Vorgestern bekam ich die Zusage für ein gutes kleines Zimmer, um eine halbe Stunde vor Vertragsunterzeichnung eine Absage zu kriegen. Man habe sich doch für jemanden anderen entschieden.
Ihr lieben, ich weiß nicht weiter. Ich bin am Boden zerbrochen und schaffe es kaum noch aus dem Bett. Ich habe alles gegeben für ein Leben nach meinen Vorstellungen und es scheint mir dermaßen auf dem Spiel zu stehen, dass ich es verlieren könnte. Ich weiß nicht, was ich tun werde, wenn ich nicht eingebürgert werden kann. Ich werde das nicht verkraften, das wird wahrscheinlich das Ende sein. Meine Frau hat jeglichen Kontakt zu mir abgeschnitten, meine Nummer und meine Emailadresse blockiert. Von meinem Schwager habe ich erfahren, dass ein anderer Mann bei ihr in der Wohnung ist. Er ist zwei Wochen nach meinem Abflug dazugezogen. Jetzt gönnt sich meine Frau ein zweites Studium. Ich habe nicht mal mein erstes richtig anfangen können.
Ich bin zerstört. Mir kommt es vor, als ob ich die allerschlimmsten Karten bekommen habe. Ich musste immer der Stärkere sein, immer die größere Last tragen und am Ende wurde es in keiner Weise anerkannt oder belohnt. Stattdessen lässt sogar der Staat zu, dass die psychische Instabilität und die Willkür einer Staatsbürgerin den Rechtsstatus eines ehrlichen und hart arbeitenden Ausländers verändert. Ich bin jetzt einem sehr strengen Aufenthaltsgesetz ausgesetzt, das eigentlich für ganz andere Fälle geschaffen wurde. Aber leider kann mein Fall nicht anders eingeordnet werden. Dabei bin ich so gut wie deutsch. Man hört und sieht bei mir gar keinen Unterschied und doch ist mein Recht, in diesem schönen Land zu bleiben, gerade in Gefahr. Mein Aufenthaltsrecht hängt von so vielen äußeren Faktoren ab, für die ich nichts kann: Der Umgang meiner Frau mit mir, die Wohnungsnot, der klägliche Arbeitsmarkt, die Eurokrise etc.
Ich fühle mich ausgeliefert, ohnmächtig und oft geradezu vergewaltigt. Ich strample und strample und scheine trotzdem auf keinen grünen Zweig zu kommen. Ich frage mich, ob das wirklich MEIN Leben ist, vor dem ich da stehe. Jeder Tag ist eine Schlacht, bei der es keinen Spaß macht wie in den kitischigen Splatterfilmen. Ich spüre nur noch blanke Angst in den Eingeweiden und mein Leben scheint mir an einem dünnen Faden zu hängen. Ich muss es schaffen, so viel finanzielle und wohnraumtechnische Stabilität beizubehalten, bis ich eingebürgert werden kann, aber selbst das scheint gerade schwierig zu sein. Abgesehen davon, dass ich nicht für immer bei dieser alten Lithauerin mit einem Tumor bleiben kann, ist auch noch arbeitstechnisch das Gehalt ein Problem: Ich kann mir kaum eine Wohnung leisten, brauche aber jede Stelle, die ich kriegen kann und bin auch bereit, den Sadismus meiner jetzigen Chefin so lange auszuhalten wie ich es nur tun muss.
Ich weiß nicht, ob jemand mir helfen kann. Ich wollte das alles einfach nur loswerden. Ich finde innerlich keine Ruhe mehr. Wegen der Arbeit ist keine Zeit mehr für eine Therapie. Es ist auch niemand um mich, mit dem ich wirklich reden kann. Mein Leben scheint mir in Trümmern zu liegen und die Welt kommt mir erbarmungslos und kalt vor. In Wahrheit sind wir alle nur Stoffpuppen, die die Großen herumwerfen. Wenn sie wollen, schmeißen sie uns in den Mixer und pürieren uns. Es interessiert sie nicht, wer wir sind oder was wir durchgemacht haben. Keiner sieht uns, sondern nur noch unsere Zahlen. Ich bin so traurig, jetzt in dieser Position zu stecken, so traurig, mein Leben auf Standby stellen und um das Allernötigste kämpfen zu müssen. Ich habe dieser Welt mit meinem Kopf so viel anzubieten und doch muss ich noch warten, wenn ich die Einbürgerung nicht verspielen will. Würde ich einfach weiterstudieren, ohne eine Arbeit zu haben, dann würden sie mir ein Studentenvisum geben und das würde ich nicht mehr loswerden. Ich könnte damit nicht eingebürgert werden, dürfte mein Fach nicht wechseln und müsste in der Regelstudienzeit fertig werden. Danach müsste ich einen Job finden, der eine Gehaltsschwelle übersteigt, die die Behörde schon festsetzt. Ansonsten heißt es Abflug.
Ich liege nun traumatisiert und erschöpft im Bett. Am Montag geht es weiter.
Ich wünsche euch allen in jedem Fall eine gute Woche. Viel Licht und Frieden für euch.
ich weiß gar nicht so genau, was ich mir daraus erhoffe, dass ich das hier reinschreibe. Vielleicht möchte ich mich mit diesen unerträglichen Gedanken einfach nicht alleine fühlen. Ich wache morgens auf und werde von einem unsagbaren Grauen befallen, das mir Appetit und Ruhe raubt. Meine Geschichte ist lang und ich erwarte nicht von jedem, dass er sie liest. Sie ist aber so katastrophal für mich gelaufen, dass ich tatsächlich mit Selbstmordgedanken spiele. Ich sehe ein Leben auf diesem Planeten manchmal gar nicht mehr ein. Mir kommt es vor, als würde ich ohne Ende strampeln, um aus der Tiefe zu kommen und doch gibt es immer wieder Menschen, Paragraphen oder Unglücksfälle, die mich wieder hinunterstoßen. Ich bin verzweifelt, verbittert, manchmal hasserfüllt und dann manchmal wiederum enttäuscht jenseits aller Vorstellungskraft. Ich fühle mich ausgeliefert, hilflos und ohnmächtig. Ich komme mir vor, als wäre ich den Gelüsten, der Willkür und den Launen Dritter völlig ausgeliefert, ohne mir selbst helfen zu können. Wer meine Geschichte liest, wird diese Gefühle womöglich besser nachvollziehen können. Ich schreibe sie hier, weil ich einfach nicht weiter weiß. Zum ersten Mal in meinem Leben, weiß ich wirklich nicht weiter...
Ich bin US-Amerikaner und mit 18 Jahren nach Deutschland ausgewandert, um die Liebe meines Lebens zu heiraten. Sie war Deutsche, ein verträumtes schriftstellerisches Mädchen in der Oberstufe, eine sensible Person in einer Welt, die mir so hart und technokratisch vorkam. Sie war das, wonach ich immer gesucht hatte. Auch ich bin sensibel, liebe Literatur und alte Musik. Viele würden mich einen Romantiker nennen. Wir haben einfach zusammengepasst, dieses Mädchen und ich. Mir war oft, als ob ein wunderschönes Phantasiewesen aus alten Zeiten mich aus einer zukunftslosen Welt des Stumpfsinns gerettet hätte. In Amerika auf dem Land waren alle arm, die Bildung karg und die große Zukunft vieler meiner Altersgenossen war das Stahlwerk am Ende der Straße, das die Häuser (und die Lungen) mit Ruß bedeckte. Es war klar, dass – wenn ich jemals etwas Besseres im Leben wollte – ich mich gewaltig verschulden müsste, um später aus diesem Loch und auf eine gute Universität zu kommen.
Diese deutsche Elfe hatte mich aber aus diesem geistigen Gefängnis herausgeholt. Ich spürte, wie ich von Tag zu Tag schlauer wurde, je mehr ich mich mit ihrer Sprache beschäftigte. Ich bestellte mir einen Duden nach Hause und las ihn Tag und Nacht wie einen Roman, entwarf Verblisten und Regeltabellen. Von den dunklen rollenden Klängen der deutschen Sprache und ihrer verschachtelten Rätselhaftigkeit konnte ich nicht genug bekommen. Ich wusste schon immer, dass mein Ururgroßvater aus Baden nach Amerika ausgewandert war und ich fand es immer traurig, dass seine Kinder die deutsche Sprache nicht an ihre Kinder weitergegeben hatten. Etwas zog mich nun zu meinen Wurzeln zurück und ich entdeckte einen Teil meiner selbst, der mir sehr gefiel.
Dieses Mädchen und ich hatten uns nur zufällig kennengelernt, weil unsere Schulen Mitglieder in einem Brieffreundschaftenverteiler waren. Die amerikanischen Schüler sollten ihr Deutsch durch Schreiben an Deutsche verbessern und die Deutschen ihr Englisch umgekehrt. Wir schrieben uns eifrig fast zwei Jahre lang, bevor wir uns das erste Mal in Person sahen. Im Sommer 2007 verbrachte ich drei Monate mit ihr in Deutschland und war wie im Paradies. Wir pilgerten durch das Land, besuchten verschiedene Städte, wanderten herum und lernten uns besser kennen. Es war uns recht schnell klar, dass wir uns sehr liebten. Der Abschied am Flughafen war herzzerreißend. Ich bin in die geistige und kulturelle Einöde wieder zurückgekehrt, aus der ich immerhin flüchtig herausgekommen war. Meine Freundin und ich chatteten immer mehr und unterhielten uns fast täglich mit Kopfhörer und Mikrofon im Internet. Im Winter kam sie dann zwei Wochen lang zu mir. Wieder ein schrecklicher Abschied.
Ich sah plötzlich meine Umgebung als Gefängnis, die restliche Schulzeit auf meiner Highschool als die Zeit, die ich würde absitzen müssen, um endlich ein Leben zu führen, das mir etwas bedeutete. Es wären noch anderthalb Jahre. Ich distanzierte mich immer mehr von meinen Schulkameraden, weil ich allmählich nichts mehr mit ihnen gemeinsam hatte. Ich hatte ganz andere Ziele und Vorlieben. Meine Freundin und ich sahen uns leider nur selten, weil keiner von uns genug Geld hatte, um den anderen regelmäßig zu besuchen. Wir vermissten uns und beschlossen bald zu heiraten, weil uns dann kein Staat mehr trennen konnte.
Es war 2008 als ich nach Deutschland geflogen bin, um den großen Schritt zu tun. Ich war gerade 18 geworden und hatte entgegen allen strengen Mahnungen meines Highschool-Rektors meinen Abschluss vorgezogen, weil ich den Stumpfsinn dort nicht mehr aushielt. Meine Freundin hatte eine kleine Wohnung in Deutschland besorgt und mit ihrem Vater schön zurecht gemacht. Dort sind wir beide eingezogen. Im Sommer haben wir auf dem Standesamt geheiratet und gingen bald auf die Ausländerbehörde, um meine Aufenthaltserlaubnis zu besorgen. Die Sachbearbeiterin wollte sie mir nicht geben und warf uns an den Kopf, dass wir verrückt wären, einander in Deutschland geheiratet zu haben. In Amerika wäre es viel besser gewesen, dort gäbe es weit mehr Möglichkeiten und Freiheit. In Deutschland gäbe es keine Arbeit und keine Zukunft.
Wir sind bestürzt nach Hause und haben uns anwaltliche Hilfe besorgt. Nachdem wir einen Brief aufgesetzt und an die Ausländerbehörde geschickt hatten, bekam ich endlich meine Aufenthaltserlaubnis. Der nächste Schritt war die Anerkennung meines vorgezogenen Highschoolabschlusses. Meine Frau hatte gerade ihr Abitur geschrieben und begann ihr Studium. Nach mehreren vergeblichen Versuchen, an die Universität zu gelangen, musste ich meinen Highschoolabschluss schließlich ans Kultusministerium schicken. Dort wurde er nach fast einem Jahr als Realschulabschluss anerkannt. Ich hatte in der Zeit auf einer Baustelle als Schleppkraft gearbeitet, weil ich leider nichts anderes gefunden hatte. Jeden Tag hatte ich in der Mittagspause meinen Duden gelesen und ohne Unterlass gelernt.
Mit einem Realschulabschluss ließ sich leider nicht sofort studieren und auch nicht das Studiumkolleg besuchen, also musste ich auf das Abendgymnasium. Dafür waren jedoch zwei Jahre Berufstätigkeit in Vollzeit notwendig. Ich wechselte zu einer Personalverleihfirma und arbeitete als Bürokraft. Als die zwei Jahre rum waren, war es so weit: Endlich konnte ich auf die Schule. Während der ersten drei Semester war es allerdings noch weiterhin notwendig, dass man arbeitete. Also tat ich das auch: Ich arbeitete von 8:00 bis 18:00 Uhr und war von 18:30 Uhr bis 22:00 Uhr auf der Schule. Es war ermüdend, aber es machte mir Spaß, endlich mal den Sprach- und Wissensschatz, den ich mir selbst angeeignet hatte, für etwas Sinnvolles zu gebrauchen.
In dieser Zeit schlug die erste Bombe ein. Eines Abends bin ich zu meiner Frau nach Hause gekommen. Sie lag etwas teilnahmslos auf dem Bett und starrte die Decke an. Ich legte mich zu ihr und fragte sie, was sie denn habe. Auf einmal sagte sie es: „Ich glaube, ich bin als Kind missbraucht worden.“
Ich war wie gelähmt.
„Von wem?“ hatte ich gefragt.
„Von meinem Onkel“, war die Antwort.
Ich war anfangs betäubt und unfähig zu begreifen, was ich da hörte. Ich hatte mich bis dahin so gut in die Familie hineinintegriert, dass wir alle wie ein Herz und eine Seele waren. Jede Geburtstagsfeier machte mir Spaß, ich konnte mich mit allen über sinnvolle Themen unterhalten, ganz im Gegensatz zu meiner amerikanischen Familie, die nur in der Lage war, über Fernsehserien oder billige Lokale zu reden. Ich hatte meiner Frau niemals angemerkt, dass irgendwo etwas im Argen liegen sollte. Und das Schlimmste war, dass ich für diesen Onkel sogar nebenbei arbeitete. Ich kannte ihn besonders gut und wir waren in vielen Dingen gleicher Meinung, hatten uns stundenlang nach der Arbeit über alles Mögliche unterhalten.
Ich fragte meine Frau, was dieser Onkel denn getan habe. Als sie es mir sagte, wurde mir übel. Mir war klar, dass das eindeutig sexueller Missbrauch gewesen war.
Um alles schwieriger zu machen, waren wir gerade dabei umzuziehen, und zwar genau in jenes Mehrfamilienhaus, in dem dieser Onkel auch wohnte. Fast die ganze Familie war in diesem Haus untergebracht und hatte sich eine Wohnung nach der anderen zufällig erobert. Ich war völlig entsetzt und fragte meine Frau, was sie jetzt tun wollte.
„Ich will versuchen, das für mich zu verarbeiten“, war die Antwort.
Sie wollte noch in das Haus einziehen und hatte kein Problem damit. Ich arbeitete noch eine Zeitlang für diesen Onkel, hörte aber schließlich damit auf. Wir wohnten ungefähr ein Jahr in dieser Wohnung und es ging uns dort am Anfang gut. Auch wenn ich oft ungute Gefühle wegen des Missbrauchs meiner Frau hatte, schien es ihr nicht schlecht zu gehen. Sie genoss die Nähe zu ihrer Oma im Erdgeschoss und ich hatte es nicht weit zur Schule und zur Arbeit.
Bis dahin hatte ich fast keinen Kontakt zu meiner Familie in Amerika gehabt. Mein Vater war seit meiner frühesten Kindheit Alkoholiker gewesen. Zudem hatte er Zwangsneurosen: Er wusch sich alle 5 Minuten die Hände, zählte Gegenstände ohne Sinn und Zweck und konnte an Wochentagen nicht einkaufen gehen, die durch 2 teilbar sind. Das waren nur einige wenige Regeln, nach denen er leben musste. Meine Mutter konnte nicht von ihm lassen, obwohl sie todunglücklich war. Sie hatte sich schon zweimal von ihm getrennt: Das erste Mal war ich 10 und das zweite Mal war ich 16. Die zweite Trennung kam nach seinem ersten Selbstmordversuch: Ich war mit meiner Mutter von einer Klavierstunde nach Hause gefahren und fand ihn mit offenen Armen in der Badewanne. Alles war mit Blut vollgespritzt. Mein Vater wurde in Behandlung genommen und bei seiner Entlassung zu einem Psychiater geschickt, der ihn anschließend mit Medikamenten vollpumpte, ohne ein einziges Mal zu wissen, dass mein Vater Alkoholiker war und somit ständig Alkohol mit seinen Tabletten einnahm.
Als ich nach Deutschland gezogen bin, waren meine Eltern weiterhin getrennt, sahen sich aber trotzdem regelmäßig, weil meine Mutter sich für ihn verantwortlich fühlte. Sie riefen oft gemeinsam an, bis ich es irgendwann nicht mehr aushielt. Ich konnte Englisch kaum noch hören. Ich wollte weg von Amerika und dem Ort meiner Kindheit, wollte endlich ganz woanders ankommen. Ich schrieb den beiden eine lange Email und bat sie darum, den Kontakt erstmal einzustellen. Ich bräuchte Zeit für mich und eine gute Weile Abstand. Als meine Frau und ich umgezogen waren, hatte ich seit fast anderthalb Jahren nichts mehr von meiner Familie aus den USA gehört.
Eines Tages klingelte mein Handy auf der Arbeit. Als ich dran ging, fragte mich meine Frau, ob ich denn sitze oder stehe. Ich solle mich unbedingt hinsetzen, falls ich stehe. Ich fragte sofort, wer gestorben sei. Meine Mutter? Nein. Mein Vater? Schweigen. Nach einigen Sekunden fing meine Frau zu weinen an. Mein Vater hatte sich umgebracht. Meine Mutter hatte sich endlich von ihm scheiden lassen, als sie einen neuen Mann kennenlernte. Sie war danach gerichtlich gezwungen worden, ihm Unmengen an Geld jeden Monat zu überweisen. Er hatte eine Wohnung, für die er keinen Cent bezahlen musste und hielt es trotzdem kein Jahr aus. Man hatte ihn auf dem Fußboden in seinem Badezimmer gefunden. Es war scheinbar eine Überdosis an Schlaftabletten gewesen, die ihn dahinraffte.
Ich fuhr nach Hause zu meiner Frau und weinte mich aus. Am nächsten Tag erwartete man mich trotzdem auf der Arbeit. Die Firma habe ja niemanden, der mich ablösen könnte. Mein Kollege war im Urlaub und es gab keine Vertretung. Ich war noch jung, hatte Angst und wusste mich nicht zu wehren. Ich brauchte außerdem den Job, um die Schule besuchen zu dürfen, wenigstens bis zur Abiturphase. Also ging ich auf die Arbeit und trauerte in meiner Freizeit. In dieser Zeit merkte auch meine Frau, dass sie mit dem Onkel in unserem Haus doch nicht klar kam. Wir hatten beide bis dahin Therapien gemacht, aber sie schienen wenig hilfreich zu sein.
Der Onkel meiner Frau hatte Diabetes und vernachlässigte seine Gesundheit. Als er sich am Ofen verbrannte, konnte die Wunde wegen seiner Krankheit nicht richtig heilen. Die provisorischen Verbände, die er sich angelegt hatte, waren zudem verunreinigt. Nach einigen Wochen bildete sich eine so schlimme Infektion, dass schließlich eine Blutvergiftung entstand. Ich fand ihn lallend und gelähmt eines Abends auf seinem Sofa und ließ ihn ins Krankenhaus einliefern. Der Notarzt sagte mir, dass sie ihn fast verloren hätten. Sein Gewerbe war finanziell am Scheitern, sodass er sich die Krankenkassenbeiträge kaum noch leisten konnte. Als es unsicher war, ob er überleben würde oder nicht, wollte meine Frau sich nicht länger über den Missbrauch ausschweigen.
„Ich will nicht, dass er das womöglich mit ins Grab nimmt“, meinte sie.
Eines Tages, als ich bei der Arbeit war, fuhr sie mit ihrem Vater ins Krankenhaus und konfrontierte ihren Onkel. Er gestand alles zu, schien sich aber mit Empathie sehr schwer zu tun. Er sei einfach in anderen Zeiten aufgewachsen und schließlich habe auch ihn ein Nachbar missbraucht, als er fünf war. Das enttäuschte meine Frau zutiefst und sie wollte verständlicherweise nicht mehr dort wohnen.
Zu dieser Zeit tat sie sich auch immer schwerer mit unsrer Ehe. Die Sexualität war überhaupt schwierig für sie geworden. Ich glaube, dass wir beide einfach überlastet waren. Sie wollte näher an der Universität sein und sagte mir, dass wir vorübergehend getrennt leben sollten. Am Anfang war ich komplett dagegen, sah aber schnell ein, dass sie ihre Meinung nicht ändern würde. Ich bezog eine kleine Einzimmer-Wohnung und sie gründete in der Stadt eine WG mit einer alten Schulkameradin. Der Umzug musste schnell gehen, weil sie den Anblick ihres Onkels nicht mehr aushielt. Inzwischen hatte die ganze Familie vom Missbrauch erfahren und war gespalten und verstört. Keiner wusste so genau, wie er damit umgehen sollte. Weil wir keinen Nachmieter für die gemeinsame Wohnung fanden, zahlten wir drei Monate lang drei Mieten und verloren unsere Ersparnisse. Wir sahen uns am Wochenende und nur sporadisch unter der Woche. Der Plan war, wieder zusammenzuziehen, nachdem ich mein Abitur geschrieben hätte.
In dieser Zeit blieb ich mit Schule und Arbeit so beschäftigt, dass ich kaum noch die Möglichkeit hatte, wirklich in mich zu gehen. Im Nachhinein kann ich mit Sicherheit sagen, dass es mir gar nicht gut ging. Meine Frau kam mit ihrem Missbrauch immer weniger zurecht und ihre Therapie schien kaum zu wirken. Sie wurde immer anhänglicher und brauchte immer mehr Aufmerksamkeit, wenn sie bei mir war. Das wiederum frustrierte mich, weil ich ja eh von Anfang an dagegen gewesen war, dass wir getrennt lebten und jetzt litt sie auch genau darunter. Weil sie abends nicht schlafen konnte, setzte es sich irgendwann durch, dass ich sie „ins Bett bringen“ sollte, wie sie es nannte. Ich las ihr eine Gutenachtgeschichte vor, weil sie meine Stimme brauchte, um ruhig zu werden. Sobald sie eingeschlafen war, konnte ich aufhören und selbst schlafen. Wir begannen immer häufiger fernzusehen, wenn wir zusammen waren. Etwas anderes wollte sie oft nicht tun und daran merkte ich, dass sie das starke Bedürfnis hatte, vieles im Geist zu verdrängen.
Um die Sache schlimmer zu machen, zerstritt sie sich bald mit ihrer WG-Mitbewohnerin und war danach fast nur noch bei mir. Sie wollte so schnell wie möglich aus der WG raus, musste aber darauf warten, dass ich mein Abi schrieb. Mein Abitur stand vor der Tür und ich paukte zu dieser Zeit wie verrückt. Gleichzeitig kümmerte ich mich immer mehr um meine Frau und wurde obendrein bei der Arbeit gemobbt: Mein Arbeitskollege wollte nicht mehr die Stelle mit mir teilen, weil er mehr Geld brauchte und versuchte mir deshalb Fehler in die Schuhe zu schieben, für die er aber alle selbst veranwortlich gewesen war! Bis zum Abitur waren nur noch 5 Wochen, als mein Kollege plötzlich Urlaub machen musste. Ich hatte meinem Arbeitgeber seit 2 Jahren klargemacht, dass ich irgendwann Abitur schreiben würde und in dieser Zeit eine Entlastung bräuchte. Jetzt sollte ich plötzlich Überstunden schieben. Ich kündigte spontan und litt bald mit 23 Jahren an einem Bandscheibenvorfall.
Trotzdem schaffte ich es, mein Abitur zu schreiben und das sogar mit 1,0. Ich war Jahrgangsbester und konnte es kaum fassen. Endlich schien alles bergauf zu gehen. Ich konnte endlich studieren und meine Frau und ich wollten wieder zusammenziehen. Wir fanden eine schön große Altbauwohnung in der Stadt und ich schrieb mich für Geschichte an der Univeristät ein. Bald merkte ich aber, dass mir die Naturwissenschaft fehlte und nahm auch Physik dazu. Ich stellte auch langsam wieder Kontakt zu meiner Mutter her. Bald skypten meine Frau und ich regelmäßig mit ihr und ihrem Freund.
Alles ging eine Zeitlang gut, bis meine Frau einen Prozess gegen ihren Onkel einleitete. Sie war wütend auf ihn, weil er uns in keiner Weise bei unserem Umzug unterstützt hatte. Er hatte sich auch nie entschuldigt. Die Termine in der Anwaltskanzlei und überhaupt das erneute Durchleben des Missbrauchs beim polizeilichen Verhör machte meiner Frau zu schaffen. Sie wurde zunehmend anhänglich, wollte immer mehr fernsehen und konnte abends nicht mehr einschlafen. Sie versuchte es mit Joggen und Yoga, aber nichts von dem war nachhaltig.
Manchmal begann sie in der Nacht so laut zu weinen, dass sie mich gar nicht mehr hörte. Es war dann fast, als befände sie sich an einem ganz anderen Ort, weit weg von mir. Sie konnte sich hinterher an Dinge gar nicht mehr erinnern. Während sie fast schrie, flehte sie mich hin und wieder an, dafür zu sorgen, dass ihr die Bilder aus dem Kopf verschwänden. Ich war oft hilflos. Ich tat mein Bestes, für sie dazusein, verlor aber mit der Zeit immer mehr an Kraft. Ihre Familie war auch mit der Situation überfordert. Einige fanden den Prozess gut, andere konnten es kaum fassen. Ich fand es grundsätzlich gut, dass sie für sich einstand, hatte aber Bedenken, weil es uns beide so viel Kraft kostete.
Ich rutschte immer mehr in die Position eines Dauerseelsorgers und –pflegers. Ich kochte immer häufiger, bis ich der Einzige war, der kochte und haushielt. Bald litt auch mein Studium unter der Schlaflosigkeit, die dadurch ausgelöst wurde, dass meine Frau mitten in der Nacht ihre Anfälle hatte und ins Bett gebracht werden musste. Ich las ihr ungefähr eine bis zwei Stunden lang jeden Abend vor, damit sie einschlief. Ich schrieb ihr zu diesem Zweck sogar ein 20-seitiges Märchen. Erst wenn sie schlief, konnte ich aus dem Bett klettern und meine Physikaufgaben für die Uni erledigen. Als es nachts immer schwieriger wurde, bat ich sie, sich eine andere Art Therapie zu suchen und etwas zu ändern, weil es so für mich nicht mehr weitergehen konnte. Sie wehrte das ab und sagte mir, ich solle mir „meinen eigenen Raum suchen“, wenn ich es damit nicht aushielt. Also tat ich das auch: Ich versuchte, mich auf meine Aufgaben zu konzentrieren und im Wohnzimmer zu bleiben, wenn sie nicht einschlafen konnte. Irgendwann kam sie aber zu mir, starrte mich auf der Türschwelle an und flehte, dass ich es doch nochmal mit „Ins-Bett-Bringen“ versuche. Wenn ich dann Nein sagte, setzte sie sich hinter mir aufs Sofa und starrte mich vorwurfsvoll an. So ging das fast jeden Abend anderthalb Jahre lang und unter diesen Bedingungen konnte ich nicht arbeiten.
Eines Abends sollte ich ein Stipendium empfangen und freute mich schon darauf. Ich hatte mir beim Studium weniger vorgenommen, weil ich öfters zu Hause sein wollte, war aber trotzdem glücklich, endlich an der Uni zu sein. Da ging es wieder los. Meine Frau weinte, sah Bilder und legte sich in der Fötushaltung aufs Sofa. Ich versuchte sie zu trösten, aber es brachte nichts.
„Ich will keine Last für dich sein!“ wiederholte sie ständig.
Ich versuchte mit ihr zu reden, aber es half nichts. Ich hatte meine Aufgaben die ganze Woche wegen solcher Situationen vernachlässigt und setzte mich schnell hin, weil sie am nächsten Tag fällig waren. Vor der Stipendiumvergabe hatte ich noch ein Tutorium und musste gleich los. Meine Frau merkte, wie angespannt ich war. Das machte es nur noch schlimmer. Ich sagte ihr, ich hätte keine Zeit für das alles. Ich würde mich später darum kümmern. Ich fuhr los, vergaß aber meine Geldbörse und musste nach dem Tutorium wieder nach Hause, bevor ich auf die Vergabefeier gehen konnte. Da fand ich meine Frau immernoch auf dem Sofa vor.
Und da zerbrach etwas in mir.
Ich begann zu würgen, geriet völlig in Panik. Ich hatte keine Kraft mehr, keine Energie mehr dafür. Ich sagte ihr, es könne so nicht mehr weitergehen. Ich begann einen Koffer zu packen. Da schrie sie wie ein verwundetes Tier und ich wäre am liebsten gestorben. Alle Schuldgefühle der Welt stürzten auf mich ein und gleichzeitig spürte ich, dass ich um mein eigenes Überleben kämpfte. Ich skypte mit meiner Mutter, während meine Frau auf dem Sofa lag und weinte. Kaum zu glauben, dass meine Frau und ich erst vor zwei Wochen mit ihr gemeinsam geskypt hatten. Da schien alles in Ordnung zu sein. An diesem Abend endete für mich die ganze Welt, alles ging unter, was ich liebte und für mein Leben wollte. Ich konnte einfach nicht mehr, ich war erschöpft. Und ich machte mir auch noch Vorwürfe, weil der Prozess praktisch vor der Tür stand.
Ich fuhr in ein Hotel, wo ich mich ständig übergab und nicht weiter wusste. Ich skypte mit meiner Mutter wie ein kleines verlorenes Kind. Wo sollte ich hingehen? Was sollte ich tun? Wie konnte ich bei meiner Frau entschuldigen? Sollte ich das überhaupt? War meine Ehe zu Ende, war ich ein schlechter Mensch, oder einfach nur ein Schwächling? Irgendwann fand ich den Mut, meine Frau anzuschreiben, als sie plötzlich bei Sykpe online war. Sie war wütend und machte mir klar, dass sie weder mit mir reden noch mich sehen wollte. Ich sollte nicht wiederkommen. Wenn ich wiederkäme, wäre sie auf jeden Fall nicht da. Ich schrieb ihr, dass ich am nächsten Tag heimkommen wollte und bat sie um ein Gespräch.
Als ich nach Hause kam, war sie nicht da. Ich wusste auch nicht, wohin sie gegangen war. Ich hielt es drei Tage lang in der Wohnung alleine aus. Ich konnte nichts mehr essen, nicht schlafen. Ich fühlte mich, als liefe mir eisiges Wasser durch den ganzen Körper. Alles, was ich zu mir nahm, kam wieder hoch. Meine Mutter sagte mir irgendwann, dass ich zu ihr fliegen sollte, um mich ins Bett zu legen und mich zu erholen. Ich war seit fast sieben Jahren nicht mehr in Amerika gewesen. Ich hörte auf sie und buchte einen Flug.
Weil meine Frau nicht an ihr Handy ging, schrieb ich ihr eine Email. Ich erklärte ihr, dass ich ein paar Wochen in Amerika sein würde. Da kam plötzlich eine Nachricht zurück, in der sie mich anflehte, dass wir reden. Wir hatten uns aber schon schriftlich auf Skype so in Haare bekommen, dass ich zu erschöpft war, um jetzt zu reden. Ich befürchtete, dass wir noch keine ausreichende Pause gehabt hatten, um wirklich eine sinnvolle Lösung zu finden. Ich sagte ihr, dass ich fliegen, aber in Kürze wiederkommen würde. Ich erklärte ihr, dass ich einfach Zeit für mich brauchte, um einen klaren Kopf zu bekommen. Das nahm sie mir sehr übel und im Nachhinein wünsche ich mir mit ganzem Herzen, dass ich auf ihren Wunsch eingegangen wäre. Vielleicht hätte ich sie dann nicht verloren, wenn ich die Kraft gehabt hätte zu reden ...
Es war seltsam, in Amerika zu sein. Ich merkte schnell, dass ich gar nicht mehr dorthin passte. Ich verbrachte die meiste Zeit in meinem alten Bett bei meiner Mutter. Meine Frau begann mit mir auf Skype zu schreiben. Sie machte ihr Verhalten schließlich für mein Verhalten verantwortlich: Ich sei nicht in der Lage, mich abzugrenzen. Das sei ja nicht ihr Problem, sondern meines. Außerdem müsse sie sich vor mir schützen, wenn ich sie „einen Energievampir“ nenne, wie ich es am Abend der Trennung im Streit getan hatte. Ich fragte sie, wie es sein kann, dass ein solcher einmalige Ausrutscher („Energievampir“) für ein so großes Problem verantwortlich sein könnte, das sich über lange Zeit erstreckt. Ich erklärte ihr, dass die Wurzeln des Problems viel tiefer liegen müssten. Sie schrieb mir, dass sie lediglich Trauerarbeit leiste, ich solle sie in Ruhe lassen. Irgendwann hieß es, dass meine Sachen alle im Schlafzimmer stünden. Ich solle sie zusammenpacken und verschwinden. Es gäbe ja schließlich ein Männerheim.
Nach sechs Wochen bin ich zurückgekehrt und habe gepackt. Meine Physikklausuren hatte ich alle verpasst. Ich brachte meine Dinge auf ein Lager und suchte nach einer Bleibe. Ich kam zuerst über Airbnb bei einer lithauischen Dame unter, die ihr Haus gerade noch mit den Einnahmen von ihren Gästen finanzieren kann. Unter der Adresse ließ ich mich dann ummelden. Danach ging es auf die Ausländerbehörde, denn ich hatte einen Brief bekommen, dass meine Aufenthaltserlaubnis kurz davor war, abzulaufen. Als ich dorthin bin, sah der Sachbearbeiter, dass meine Frau nicht auf meiner aktuellen Meldebescheinigung stand.
Ich bekam dann eine Aufenthaltserlaubnis für getrennte Ehegatten, gültig für ein Jahr. Danach könne sie nur verlängert werden, wenn ich mich mit einem Job selbst unterhalten könnte. Ich fragte den Sachbearbeiter, wie das denn gehen sollte, ich sei ja schließlich nur Student. Er sagte mir, dass ich dann nach einem Jahr ein Studentenvisum bekommen könnte. Dann fragte er mich, warum ich mich eigentlich nie hatte einbürgern lassen. Ich hätte es nach drei Jahren Ehe in Deutschland tun können. Ich erklärte ihm, dass mir keiner auf der Behörde das jemals erzählt hatte. Man hatte immer nur stumm verlängert, was ich eh schon hatte. Ich hatte immer geglaubt, man würde mir schon Bescheid geben, wenn mir etwas Besseres zustünde. Der Sachbearbeiter lachte. Ich könnte mich jetzt noch um eine Einbürgerung kümmern, meinte er. Allerdings ginge das nicht mehr, wenn ich später ein Studentenvisum haben sollte. Es war also klar: Ich musste die Aufenthaltserlaubnis behalten, die soeben bekommen hatte. Das würde bedeuten, dass ich einen Job haben musste, um meinen Lebensunterhalt zu sichern. Dass meine Mutter mir Geld zuschickte, zählte nicht.
Ich hätte am liebsten geschrien und mir die Haare ausgerauft. Ich war so am Ende, dass ich glaubte, mein Herz müsste einfach aufhören zu schlagen. Ich rannte buchstäblich zur Einbürgerungsbehörde. Auch wenn ich meine Frau verlieren sollte, so wollte ich nicht auch noch mein Zuhause, mein Deutschland, verlieren. Dort sagte man mir, dass ich wegen meines guten Abiturs die Einbürgerung beantragen könnte. Ich hatte allerdings meine Aufenthaltserlaubnis noch nicht und musste also darauf warten. Für einen Amerikaner dauere das Einbürgerungsverfahren ein Jahr. Mit einer Aufenthaltserlaubnis als getrennter Ehegatte ginge es, mit einem Studentenvisum nicht.
Also suchte ich einen Job, während ich auf meine Aufenthaltserlaubnis wartete. Ich fand einen, der gerade noch genug hergibt, um eine Verlängerung meiner aktuellen Aufenthaltserlaubnis im neuen Jahr möglich zu machen. Das wird aber trotzdem nicht einfach, denn die Ausländerbehörde rechnet einen ausländischen Berufstätigen arm, bevor sie nachschaut, ob sein Einkommen wirklich eine Aufenthaltserlaubnis rechtfertigt. Von seinem Nettoeinkommen zieht sie einen Freibetrag von 300 EUR und dann einen Betrag in Höhe des Hartz-IV-Satzes (399 EUR) ab. Was übrig bleibt, darf für die Miete drauf gehen, aber auch nicht mehr. Wenn man nach dieser Rechnung ins Minus rutscht, ist der Lebensunterhalt nicht gesichert und die Aufenthaltserlaubnis wird nicht erneut erteilt. Dann muss man entweder ausreisen oder das nächstbeste nehmen: In meinem Fall ein Studentenvisum, aber dann könnte ich die Einbürgerung vergessen.
Um die Sache noch stressiger zu machen, gab es bei meiner Aufenthaltserlaubnis einen Fehler mit meiner Passnummer, sodass ich weitere vier bis sechs Wochen warten musste, bevor ich meinen Einbürgerungsantrag stellen konnte. Ich habe ihn endlich Mitte August abgeben können. Jetzt muss ich die Ausländerbehörde solange vom Hals halten, bis ich Deutscher werden kann. Danach will ich mit meiner neuerworbenen Freiheit einfach weiterstudieren und in Frieden leben.
Ich arbeite jetzt und wohne zur Miete bei dieser lithauischen Dame, die sich kaum noch über Wasser halten kann. Dort, wo ich wohne, sind die Mieten so hoch, dass es unmöglich für mich ist, eine Einzimmer-Wohnung zu bekommen, ohne meine Aufenthaltserlaubnis nichtig zu machen. Denn ich muss nämlich die obige Berechnung beachten, die die Behörde durchführt. Während es jedem Deutschen möglich ist, eine teuere Wohnung zu mieten und auf Aufstockungen vom Jobcenter einfach zu verzichten, ist dies einem Ausländer wie mir nicht erlaubt: Selbst bei einem Verzicht auf Aufstockung reicht allein schon der theoretische Anspruch aus, um eine Ausweisung zu rechtfertigen.
Ich habe jetzt auch erfahren, dass meine Vermieterin einen Tumor im Unterleib hat, bei dem noch nicht klar ist, ob er Krebs ist oder nicht. Wenn diese Frau stirbt, stehe ich auf der Straße und werde ausgewiesen. Ich suche also verzweifelt nach WG-Zimmern, die günstiger sind. Ein Arbeitskollege ist jetzt auch dabei, bei seinem Vermieter nachzufragen, ob er eine WG gründen darf, in der ich günstig mitwohnen kann. Das muss aber schriftlich erfolgen und weil der Vermieter eine große Firma mit einem Sitz in einer anderen Stadt ist, wird das Zeit kosten. Ich habe schon andere WG-Zimmer angeschaut, bekomme aber entweder Absagen, weil ich zur Zeit nur inoffiziell studiere oder weil die Zimmer schon vergeben sind. Vorgestern bekam ich die Zusage für ein gutes kleines Zimmer, um eine halbe Stunde vor Vertragsunterzeichnung eine Absage zu kriegen. Man habe sich doch für jemanden anderen entschieden.
Ihr lieben, ich weiß nicht weiter. Ich bin am Boden zerbrochen und schaffe es kaum noch aus dem Bett. Ich habe alles gegeben für ein Leben nach meinen Vorstellungen und es scheint mir dermaßen auf dem Spiel zu stehen, dass ich es verlieren könnte. Ich weiß nicht, was ich tun werde, wenn ich nicht eingebürgert werden kann. Ich werde das nicht verkraften, das wird wahrscheinlich das Ende sein. Meine Frau hat jeglichen Kontakt zu mir abgeschnitten, meine Nummer und meine Emailadresse blockiert. Von meinem Schwager habe ich erfahren, dass ein anderer Mann bei ihr in der Wohnung ist. Er ist zwei Wochen nach meinem Abflug dazugezogen. Jetzt gönnt sich meine Frau ein zweites Studium. Ich habe nicht mal mein erstes richtig anfangen können.
Ich bin zerstört. Mir kommt es vor, als ob ich die allerschlimmsten Karten bekommen habe. Ich musste immer der Stärkere sein, immer die größere Last tragen und am Ende wurde es in keiner Weise anerkannt oder belohnt. Stattdessen lässt sogar der Staat zu, dass die psychische Instabilität und die Willkür einer Staatsbürgerin den Rechtsstatus eines ehrlichen und hart arbeitenden Ausländers verändert. Ich bin jetzt einem sehr strengen Aufenthaltsgesetz ausgesetzt, das eigentlich für ganz andere Fälle geschaffen wurde. Aber leider kann mein Fall nicht anders eingeordnet werden. Dabei bin ich so gut wie deutsch. Man hört und sieht bei mir gar keinen Unterschied und doch ist mein Recht, in diesem schönen Land zu bleiben, gerade in Gefahr. Mein Aufenthaltsrecht hängt von so vielen äußeren Faktoren ab, für die ich nichts kann: Der Umgang meiner Frau mit mir, die Wohnungsnot, der klägliche Arbeitsmarkt, die Eurokrise etc.
Ich fühle mich ausgeliefert, ohnmächtig und oft geradezu vergewaltigt. Ich strample und strample und scheine trotzdem auf keinen grünen Zweig zu kommen. Ich frage mich, ob das wirklich MEIN Leben ist, vor dem ich da stehe. Jeder Tag ist eine Schlacht, bei der es keinen Spaß macht wie in den kitischigen Splatterfilmen. Ich spüre nur noch blanke Angst in den Eingeweiden und mein Leben scheint mir an einem dünnen Faden zu hängen. Ich muss es schaffen, so viel finanzielle und wohnraumtechnische Stabilität beizubehalten, bis ich eingebürgert werden kann, aber selbst das scheint gerade schwierig zu sein. Abgesehen davon, dass ich nicht für immer bei dieser alten Lithauerin mit einem Tumor bleiben kann, ist auch noch arbeitstechnisch das Gehalt ein Problem: Ich kann mir kaum eine Wohnung leisten, brauche aber jede Stelle, die ich kriegen kann und bin auch bereit, den Sadismus meiner jetzigen Chefin so lange auszuhalten wie ich es nur tun muss.
Ich weiß nicht, ob jemand mir helfen kann. Ich wollte das alles einfach nur loswerden. Ich finde innerlich keine Ruhe mehr. Wegen der Arbeit ist keine Zeit mehr für eine Therapie. Es ist auch niemand um mich, mit dem ich wirklich reden kann. Mein Leben scheint mir in Trümmern zu liegen und die Welt kommt mir erbarmungslos und kalt vor. In Wahrheit sind wir alle nur Stoffpuppen, die die Großen herumwerfen. Wenn sie wollen, schmeißen sie uns in den Mixer und pürieren uns. Es interessiert sie nicht, wer wir sind oder was wir durchgemacht haben. Keiner sieht uns, sondern nur noch unsere Zahlen. Ich bin so traurig, jetzt in dieser Position zu stecken, so traurig, mein Leben auf Standby stellen und um das Allernötigste kämpfen zu müssen. Ich habe dieser Welt mit meinem Kopf so viel anzubieten und doch muss ich noch warten, wenn ich die Einbürgerung nicht verspielen will. Würde ich einfach weiterstudieren, ohne eine Arbeit zu haben, dann würden sie mir ein Studentenvisum geben und das würde ich nicht mehr loswerden. Ich könnte damit nicht eingebürgert werden, dürfte mein Fach nicht wechseln und müsste in der Regelstudienzeit fertig werden. Danach müsste ich einen Job finden, der eine Gehaltsschwelle übersteigt, die die Behörde schon festsetzt. Ansonsten heißt es Abflug.
Ich liege nun traumatisiert und erschöpft im Bett. Am Montag geht es weiter.
Ich wünsche euch allen in jedem Fall eine gute Woche. Viel Licht und Frieden für euch.