[QUOTE="Arlonia, post: 4781650, member: 58356"]
Ich wäre froh, wenn ich das bestätigen könnte und "nur das" das Problem wäre. Denn dann wäre das Problem austauschbar durch motiviertes Personal. Tatsächlich ist es aus meiner Erfahrung eher so, dass die Kolleginnen und Kollegen überall am Limit liefen, zu wenig Stellen besetzt waren, in meinem Versorgungsamt so ca. 70% unbesetzte Stellen im Bereich BVG/SGB XIV. Das Personal blieb auch nie lange, weil das Rechtsgebiet so unübersichtlich und überfordernd ist und zu allem Übel auch noch die ganzen alten Hasen, die sich noch gut auskannten in den letzten Jahren in Rente gingen und mit ihnen auch das Wissen. Die Gesetzeskommentare zum gesamten Leistungsrecht sind katastrophal - ich selbst habe als Sachbearbeiterin 2 Jahre (!) drum gekämpft überhaupt mal Zugriff auf die Kommentare zu bekommen. Dann muss man die Zeit haben sich da reinzulesen, was aus der Personalproblematik heraus leider kaum möglich ist, weil man statt 100 Fällen, die man eventuell schaffen könnte i.d.R. eher so 400 Fälle hat und alle mit dieser krass komplizierten Gesetzesthematik. Das sollte natürlich dann nicht zum Leid der Opfer dazu führen, dass FALSCHE Entscheidungen getroffen werden, ist aber leider häufig der Fall. Hauptsache weg mit dem Fall. Viele erledigen sich aufgrund der Ablehnung ja wirklich und wenn nicht, bearbeitet man in der Regel den Widerspruch eh nicht selbst. Ich selbst hab gute zwei Jahre gebraucht um mich reinzuarbeiten. Ich habe anfangs auch manches falsch verstanden, zumal ich aus dem SGB XII kam. Ich musste sowas wie Kausalität und Co. erstmal verstehen, bevor ich richtig entscheiden konnte und in der Zwischenzeit wurden natürlich nicht weniger, sondern eher mehr Anträge gestellt. Als uns das SGB XIV das erste Mal vorgestellt wurde und wir gerechtfertigte Fragen zur Umsetzung hatten, schauten wir in fragende Gesichter seitens der Verantwortlichen im BMAS und auf Landesebene. Genauso, als es an die Frage eines einheitlichen Programms zur Berechnung bestimmter Leistungen ging. Das ganze Recht ist da leider sehr vernachlässigt und wird nur überarbeitet wenn es brennt, oder wenn mal wieder was ganz oben gelandet ist.
Ich sage nicht, dass es überall wie bei mir ist, aber ich glaube auch nicht, dass es überall einfach nur die Kaffeebeamtenproblematik ist und vor allem würde ich den wenigsten Sachbearbeitern böse Absicht unterstellen wollen. Die machen auch oft nur, was dann von oben bestimmt wurde und wenn da die z.B. "Angst vor zu unrecht erbrachten Leistungen" vorherrschend ist, dann leiden wir alle darunter. Bei uns gab es mal eine interne Prüfung, wo wir in einem Fall wenige Euro fälschlicherweise gezahlt hatten. Daraus wurde dann die Prüfung ALLER Akten und es musste sich für alles gerechtfertigt werden. Ihr wollt nicht wissen, wie viel Zeit sowas dann kostet und wie dumm man sich dann vorkommt und so eine Aktenprüfung hat dann Priorität vor der laufenden Sachbearbeitung, was absolute Vollkatastrophe für die Leistungsberechtigten ist.
Das mal so bisschen aus dem Nähkästchen geplaudert. Es ist natürlich keine Rechtfertigung, dass wir so Probleme haben zu unserem Recht zu kommen, aber tatsächlich liegt das Problem da seeeehr weit oben, beginnend schon bei fehlenden und bundesweit oder zumindest auch mal landesweit anwendbaren Handlungsrichtlinien.
Das Problem ist eher, dass es nicht nur einen Punkt bei den meisten Leistungen gibt, bei dem es zum Leistungsausschluss kommen kann. Nehmen wir mal den BSA als Beispiel:
1. Grundentscheidung ob eine relevante Schädigung i.S.d. OEG bzw. jetzt SGB XIV stattgefunden hat - wenn es keine entsprechenden Verfahren gab müssen eigene Ermittlungen angestellt werden und bei allen Ermittlungen das Ergebnis abgewartet werden.
Liegt keine solche Schädigung vor? > kein BSA
2. Relevante Schädigung liegt vor? Dann kann geschaut werden zu welchen Schädigungsfolgen es gekommen ist. Man könnte ja meinen, dass es reicht, wenn wir sagen, was wir für Probleme haben aber nein - das muss natürlich ein Versorgungsmediziner feststellen (von denen gibt es noch weniger als Sachbearbeiter
). Der kann aber auch zu dem Ergebnis kommen, dass die von uns angeführten Probleme gar nicht wegen der Schädigung sind, sondern genetisch bedingt, aufgrund anderer Erlebnisse die keine relevante Schädigung darstellen etc..
Liegt keine Schädigungsfolge die zu der Schädigung passt vor? > kein BSA
3. Liegt eine Schädigungsfolge vor, die zur relevanten Schädigung passt? Dann wird ein GdS zugeordnet, der irgendwie ausdrücken soll, wie beinträchtigt man ist und daran knüpft sich dann auch, ob man Zahlungen oder/und andere Leistungen dem Grunde nach erhalten kann. Ist dieser GdS unter 30? > kein BSA
4. GdS mindestens 30: Ok, dann kann jetzt mal geschaut werden, ob die Person einen Einkommensverlust hat, der infolge der Schädigungsfolgen aufgetreten ist. Oh oh, schon wieder so eine komplizierte Sache, wieso denn das? Es gibt da wieder verschiedene Konstellationen, die ich mal an einem Beispiel festmache: Jemand hat GdS 30 aufgrund psychischer Schädigungsfolgen.
Variante 1: Die Person geht jahrelang Vollzeit arbeiten ohne Probleme im Erwerbsleben und kann ihren Lebensunterhalt voll selbst bestreiten. Dann wird sie schwer körperlich krank und dadurch erwerbsgemindert.
Variante 2: Die Person geht jahrelang Vollzeit arbeiten ohne Probleme im Erwerbsleben und kann ihren Lebensunterhalt voll selbst bestreiten. Dann werden ihre anerkannten psychischen Schädigungsfolgen so viel schlimmer, dass sie deswegen nicht mehr arbeiten kann und deswegen erwerbsgemindert ist.
Bei Variante 1 wäre die Schädigungsfolge nicht Grund für den BSA Bedarf > kein BSA
Bei Variante 2 ist die Schädigung vermutlich Grund für den BSA Bedarf > weiterprüfen
5. Jetzt ist noch zu prüfen ob zuerst noch andere Maßnahmen getroffen werden können, damit die Person ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten kann, also ob eine Reha oder eine Umschulung o.ä. die Person Vollzeit im Erwerbsleben halten können.
Ist so eine Maßnahme erfolgsversprechend, absehbar und zumutbar (alles einzelne Prüfschritte)? > kein BSA
6. Ist alles oben geprüft besteht grundsätzlich Anspruch auf BSA. Bis hierhin könnte der SB aber schon an mindestens 5 Stellen (auch teils fälschlicherweise aufgrund anderslautender medizinischer Gutachten) zu dem Ergebnis gekommen sein, dass kein Anspruch auf BSA besteht.
Es ist also tatsächlich ein gesetzlicher Anspruch mit gaaaanz vielen "aber wenn xyz zutrifft, dann kein Anspruch" oder "nur wenn xyz zutrifft besteht der Anspruch", obwohl es sich erstmal viel offener und zugänglicher liest.
Wohlgemerkt kommt dann auch erst DANACH noch die Prüfung wie hoch der BSA ist, welches Vergleichseinkommen relevant ist etc. - da sind auch nochmal einige Sachen, die falsch entschieden werden können.
Die einzelnen Prüfschritte geben also quasi bereits vor, an welchen Stellen ein Leistungsbezug ausscheidet und teils ist man da leider auch sehr gebunden. Wenn der Gutachter z.B. sagt, dass die gesundheitliche Beeinträchtigung nicht auf die Schädigung zurückzuführen ist, dann kann man als Sachbearbeiter nur wenig bis gar nichts dagegen tun. Man wehrt sich dann auch nicht dagegen, weil man ist ja kein Mediziner. Man lehnt dann halt ab, weil man nix anderes tun kann und teilweise HOFFT man sogar, dass die Person Widerspruch einlegt. So ging es mir zumindest in wenigen Fällen, bei denen ich ablehnen musste. Dann kommt es nämlich oft auch zu Zweit- oder Drittgutachten, die dann anders lauten (das verzögert nur leider auch die Bearbeitung).
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