[QUOTE="Kannja, post: 2061550, member: 23888"]
Essstörungen sind zweifellos sehr schwerwiegende Suchterkrankungen - allerdings welche die mit fast noch höheren Vorurteilen belastet sind als andere Süchte...
Beispiel: Unter "ernsthaft" essgestört, im Sinne von Mitleids-/Hilfs-/Therapiebedürftig versteht unsere Gesellschaft in der Regel die bereits sichtbaren Magersüchtigen. Erste Frage wenn ich erzähle wie schlimm meine Esstörung früher war "Wie wenig hast Du denn an Deinem tiefsten Punkt gewogen?"... ich habe nicht selten den Eindruck, dass da auch eine Art Bewunderung hintersteht. Denn in unserer Gesellschaft ist dünn sein ja eigentlich äußerst erstrebenswert. Wer sich also auf ein lebensgefährlich niedriges Gewicht gehungert hat, der wird eher als übertrieben selbstdiszipliniert gesehen. Nimmt er/sie nach einer Therapie dann bis zu einem (fast) normalen Gewicht zu, kann er ohne weiteres im Nachhinein von seiner ehemaligen Erkrankung erzählen und voll akzeptiertes, "normales" mitglied dieser Gesellschaft sein.
Was jedoch Bulimie angeht gibt es mehr abwertende, böse Witze, Hohn, Spott und Ekel als gegen jede andere Suchterkrankung. Bulimiker werden in Medienberichten als rücksichtslose Ekelpakete dargestellt die ihrer Familie alle Vorräte "wegfressen" und dann hemmungslos, und eigentlich den halben Tag lang, über der Kloschüssel hängen. Die Fressattacken werden nur als undiszipliniertes "Sich alles erlauben" gesehen, das Kotzen nur als billiger Ausweg diese vergnüglich gefutterten Kalorien nicht auf die Figur gehen zu lassen. Also alles eine Frage von Faulheit, ekelig sein und mangelnder Disziplin. Betroffene könnten auch im Nachhinein niemals offen über ihre Erkrankung reden ohne dafür abgestempelt zu werden und als psychisch gestört zu gelten.
Beim Binge-Eating hingegen hat keiner Verständnis. Diese Menschen gelten einfach als fett, faul und undiszipliniert. Man ekelt sich vor ihnen, macht fiese Sprüche, möchte sie als "Beleidigung der Augen" am liebsten aus dem öffentlichen leben verbannen und gönnt ihnen auch keine Therapie. "Die sollen sich einfach mal selbst in ihren A**** treten, Sport machen und nicht die ganze Zeit fressen" Kurz: Diese Art Essstörung ist überhaupt nicht anerkannt und wird von der Allgemeinheit als nicht wirklich existent gesehen.
Zusammengefasst kann man also folgendes sagen: Menschen reagieren nur auf Krankheiten die sie äußerlich eindeutig sehen und demnach ganz einfach zuordnen und identifizieren können verständnisvoll bis positiv. Also ist die Magersucht die einzige unter den Essstörungen die gesellschaftlich Akzeptanz und Aufmerksamkeit bekommt. Vielleicht auch, weil man die psychisch-erkrankte Komponente hierbei so schön verdrängen kann, bzw. als Außenstehender nicht unbedingt sehen MUSS. Wie gesagt, dünn sein ist ja eigentlich gewollt, gilt als schön, zeugt von toller Disziplin... wenn da jemand also äußerlich bloß zu streng mit sich selbst war, ist das irgendwo immer noch positiv zu bewerten. Zumal dünne Menschen ja auch zerbrechlich wirken und bei vielen durch diesen rein oberflächlichen Eindruck Schutz- und Hilfsbedürftigkeit ausstrahlen. Eine normalgewichtige Bulimikerin die ÄUßERLICH ja gesund wirkt, tut das nicht. Und schon gar nicht die ach so kräftig aussehenden Binge-Eating Erkrankten.
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