Ich finds furchtbar schade, dass selbst kleine Anzeichen von Punk schon für Kontroversen sorgen, wie man wohl drauf sei und was man für eine sei usw..
Lange Zeit hatte ich einen Undercut und es war zum Schreien. Haare offen, alles okay, da steht ein liebes, nettes, junges Mädchen.
Haare zusammengebunden, entsetzte Ausrufe der Kollegen: Was haben SIE denn gemacht? Was ist denn mit Ihren Haaren los?
Vorurteile usw., die ganze Packung. Lustigerweise mochten mich selbst die schlimmsten Kopfrasurgegner, nachdem sie mich kennenlernten, und wurden auf einmal sehr tolerant.
Dann rasierte ich mir einen Iro. Wollte ich schon immer haben, gefällt mir einfach saugut. Aber es war ein harmloser Iro, relativ kurz und bürstig und ungefärbt. Mittlerweile ist es ein Fauxhawk, der wieder ein Iro wird, wenn ich einen Studien- oder Ausbildungsplatz habe
Seitdem ich diesen Iro hatte, grüßten mich Männer auf meiner Arbeit, die vorher hinterhersabberten und sich vor "Guten Tag" nur so überschlugen, nicht mehr. Hinter mir Getuschel: "Schau mal, die Haare, die Haare".
Ja, am Anfang war ich etwas schockiert und demoralisiert, es ist hart, zu erkennen, wie dumm und oberflächlich viele sind, wenn man eine Zeit lang sehr normal und harmlos aussah.
Ich beschwerte mich bei meiner Arbeitskollegin und ärgerte mich...tja und dann dacht ich, sollen diese Typen doch echt denken, was sie wollen. Mir gefällt mein Iro und ich zieh mich nicht abgewrackt an, ich will arbeiten gehen bzw. studieren, ich finde es extrem praktisch, solche Haare zu haben und wenn die Leute DAS als Grund nehmen, mich abschätzig zu behandeln, dann sollen sie. Aber wichtig sind die restlichen Leute....egal wie krass ich herumrannte (gab auch ne Zeit mit vielen Aufnähern, Springern und Nieten), es gab immer Leute, die zu mir hielten und mich einfach als "interessante Anregung" sahen, mal mit anderen Bereichen in Berührung zu kommen, oder mich einfach als Menschen mochten.
Oftmals waren es die größten Tussis, die mich am liebsten mochten und tapfer mit in ihre komischen Tussibars schleppten
In der Zeit hab ich gelernt, meine eigenen Vorurteile abzulegen. Eine sagte gar zu mir, wir seien uns trotz äußerlicher Verschiedenheiten extrem ähnlich und sie könnte genau nachvollziehen, wie es sei, als Punk herumzulaufen. Sie war so ein verwöhntes reiches Mädel mit teuren Designerklamotten, ein bisschen wie Paris Hilton, sehr auffällige Farben und Kleidung, viel Rosa und so. Aufgrund ihres Äußeren wurde sie oft genauso zögerlich und verächtlich behandelt wie ich eben.
Naja und Leute, werdet erwachsen. Wer sich einen Iro rasiert oder extrem herumläuft, der wird eben mit Vorurteilen bedacht. Nicht immer, aber oft. Das weiß man vorher. Man braucht nicht erwarten, so einen Bombenjob nachgeschmissen zu bekommen und wer als Punk zum Vorstellungsgespräch geht, soll hinterher nicht heulen, weil die nette Dame von der Personalabteilung Vorurteile hatte und einen ablehnte.
Man braucht gar nicht äußerlich bunt zu sein und krampfhaft seinen Status als etwas Besonderes zu demonstrieren, es reicht, wenn man innen bunt ist, sich Gedanken macht, die Klappe aufkriegt und kein duckmäuserischer Mitläufer ist, von denen es so viele eigentlich gar nicht gibt.
Ich muss sagen, dass ich bei bemerkenswert wenigen Leuten angeeckt bin, bzw. nicht von denen, von denen ich es am meisten erwartete.
Meine Heulerei, wie oberflächlich die Menschen doch seien, stellte ich kurz nach der Rasur wieder ein, weil ich einsah, wie inkonsequent und lächerlich dieses Verhalten ist. Auch trage ich keine Nietensachen und Stiefel mehr, sondern normale Jeans und gar mal Dinge, die "in" sind, sogar einen Nadelstreifenanzug habe ich im Schrank hängen. Und warum auch nicht? Ich würd mich als dem OI zugehörig bezeichnen, sympathisiere mit Punks und OI-Skins, liebe diese Musik, habe einige Freunde in diesen "Schubladen", habe aber selber die Erfahrung gemacht, am besten zu fahren, wenn ich andere Dinge, Richtungen und Menschen nicht kategorisch ablehne, sondern mir von allem das mitnehme, was mir am besten gefällt. Ich weiß, dass ich kritisch denke und dass ich intelligent bin, ich weiß, dass ich was kann, und ich weiß, dass ich als Mensch liebenswert bin, egal was für ne Matte auf meinem Kopf liegt...aber mir gefällt Iro eben und es ist praktisch. Ich finde, es widerspricht dem Punk komplett, Leute und Dinge abzulehnen...ist nicht Toleranz eine wichtige Grundlage für dieses Konzept?
Ich trag lieber Turnschuhe als Stiefel, weil bequemer und femininer. Mich nerven Nietengürtel und Armbänder. Und mir gefallen manche Trends sehr gut.
Für mich ist Punk (und OI) nicht zwingend Rebellion, eher Nächstenliebe, Toleranz, Rücksicht, sein eigenes Ding durchziehen, hinzuschauen wo andere wegschauen, Engagement, politisch und sozial, Lockerheit, Offenheit. Ist doch egal, was man da für Klamotten anhat.