Liebe Suzana,
ich les hier deine Zeilen und denke mir so, eben habe ich doch gelesen, dass sie ihr Kind verloren hat. Und nun sorgt sie sich darum, dass sie nicht mehr lächeln kann?
Ja geht's noch?
Tyras Beitrag ist so ganz typisch für unsere Gesellschaft. Wir müssen immer lustig fallera sein, haben zu funktionieren und wehe, wehe, wenn wir zeigen, wie es uns wirklich geht. Das ist dann "unwürdig".
Ist es so?
Du hast dein Kind verloren. Es gibt kaum einen Verlust, der schlimmer sein könnte. Und das ist, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, noch nicht mal ein Jahr her. Früher trug man nach dem Tod eines Menschen für ein Jahr schwarz. Schade, dass es diesen sehr sinnvollen Brauch kaum mehr gibt.
Es dauert tatsächlich etwa ein Jahr, einen Zyklus, bis man bei einer Trauer in eine neue Phase eintritt. Und die Menschen trugen schwarz, damit jeder sehen konnte, dass sich diese Person im Ausnahmezustand befand. Ganz viele ältere Frauen, deren Mann gestorben war, trugen schwarz bis zu ihrem eigenen Tod. Für sie war das Leben mit dem Tod des geliebten Menschen zuende. Sie haben sich ein Stück zurückgezogen. Das ist doch ihr gutes Recht!
Nein, du musst nicht lächeln. Du musst nicht fröhlich sein. Und auch die Selbstmordgedanken sind normal und gehören dazu. Dir wurde der Sinn des Lebens geraubt. Da stellt man sich selbst und das Leben in Frage.
Man darf alles verlieren, nur die Hoffnung nicht. Daran musst du festhalten. Es ist egal, wie tief du fällst, solange du nur daran glaubst, dass es irgendwann auch wieder nach oben geht. So schlecht es dir jetzt geht, wenn du erst durch dieses sehr tiefe Tal gewandert bist, kommen wieder bessere Zeiten. Du musst dich nicht dafür verurteilen, dass du sie jetzt noch nicht spüren kannst.
Jetzt ist erst einmal Trauer angesagt. Du darfst dich schlecht fühlen, dich das Wochenende auf der Couch unter einer Decke verkriechen. Das Telefon ausstöpseln und du darfst ganze Großpackungen von Papiertaschentüchern mit deinen Tränen vernichten. Du musst für niemanden lächeln.
Der Schmerz und die Trauer wollen ausgelebt werden. DAS ist der richtige Weg zu neuem Glück.
Darum habe ich dir an anderer Stelle auch den Vorschlag einer Trauergruppe gemacht. Dort sind Menschen, die wissen, was gerade in deiner Seele vor sich geht und die wie du keine Kraft und keine Veranlassung zum Lächeln haben. Du wirst sehen, wie stark die anderen sind trotz ihrer Trauer und so deine eigene Stärke wiederfinden, die immer noch da ist.
Niemand hat das Recht, dir zu sagen, dass du lächeln sollst. Du hast dein Kind verloren. Es muss doch erlaubt sein, darum zu weinen. Du bist ein Mensch und keine Marionette, die sich in irgendein gesellschaftliches Leben einzugliedern hat. Und wenn das deine Umgebung nicht versteht, dann geh auf Abstand.
Natürlich kannst du dich nicht fürs nächste Jahr auf die Couch legen und heulen. Das ist es auch nicht. Es ist schon gut, dass du Verpflichtungen hast, die dich im Leben halten. Da solltest du auch drum kämpfen. Aber nimm dir die Zeit für deine Trauer und sortier an Verpflichtungen aus, was nicht unbedingt nötig ist.
Tatsächlich kann ein Psychologe, der sich mit Trauersituationen auskennt, eine große Hilfe sein. Und wenn es nur die eine Stunde in der Woche ist, wo du ungehemmt weinen kannst. Ich hab manchmal Klienten, da tue ich nichts weiter als die Leute in eine kuschelige Decke einzupacken, einen Tee zu kochen, Taschentücher zu reichen und ansonsten den Mund zu halten, sie nicht in ihrer Trauer zu stören. Ich wünsche dir, dass du einen solchen Ort findest.
Und was ist mit deinem Partner? Kann er richtig trauern? Könnt ihr gemeinsam trauern? Oft ist in einer solchen Situation eine Paartherapie ganz wichtig, weil man sich leicht verlieren kann in solchen Momenten. Jeder Mensch trauert anders und man fühlt sich da vom Partner schnell im Stich gelassen und dann scheitern Beziehungen. Achtet aufeinander.
Du meisterst dein Schicksal schon sehr, sehr gut. Du trauerst, du lässt den Schmerz zu und du redest darüber, suchst Kontakt. Du verweigerst dich nicht ganz deinem beruflichen, gesellschaftlichen und familiären Leben . Mehr kann man von dir nicht erwarten. Du bist eine sehr tapfere Frau! Das Lächeln kommt irgendwann von ganz allein zurück.
Tuesday