Oh je, das tut mir Leid!
Mit Standardsätzen wie "es gibt immer einen Ausweg" kannst Du in Deiner Gemütslage wohl nicht viel anfangen.
Was die praktischen Aspekte anbelangt, ist dem, was mein Vorredner schrieb, nicht viel hinzuzufügen, glaube ich.
Ich (w,38) habe selber einen krassen gesellschaftlichen Absturz erlebt: von glamourösen Empfängen mit VIPs (teils richtigen Promis) in eine Welt von Hartz IV und der Gesellschaft von Menschen, die diejenigen, die ganz oben stehen, oft meiden würden. In meinen 20ern war ich sehr ehrgeizig, habe im Grunde nichts anderes getan als auf der Uni zu büffeln, damit ich bloß besser und schneller war als alle anderen. Wenn mir jemand erzählt hat, dass sich eines Tages vielleicht doch noch ein Wunsch nach Kids und Familie bei mir einstellen könnte, wurde ich wütend. Mein Tunnelblick war extrem: ich war nicht mehr als meine Unidiplome und meine Karriere, die aus drei Gründen ein jähes Ende nahm:
-ich wurde krank (eine schwere Immunkrankheit)
-eine Person, auf deren Loyalität ich mich verließ, brach mir karrieremässig das Genick
-ich musste erkennen, dass Karriere bei mir zum Selbstzweck geworden war. Im Grunde hatte ich mich für all die harten Fakten, all das BWL & co nie wirklich interessiert. Vielleicht wurde ich unter anderem auch deshalb krank.
Tja, nach meinem abrupten Karriereende ging es recht schnell in die Arbeitslosigkeit und einige Zeit später in Hartz IV. Zuvor hatte ich mein Geld mit vollen Händen verprasst.
Meine Gesellschaft bestand nun nicht mehr aus gesellschaftlichen Überfliegern, sondern aus anderen Hartz IVlern, zum Beispiel in vom Arbeitsamt gesponserten Computerkursen.
Drei Jahre lang litt ich unter heftigsten Depressionen. Ich ging durch Shopping Malls und konnte mir nichts kaufen. Ich fühlte mich wie eine Versagerin und konnte nicht aufhören mich mit anderen zu vergleichen: die Person, die Ehe und Familie aus Karrieregründen immer abgelehnt hatte, hatte nun weder das eine (Karriere) noch das andere (Familie). Fast alle meine alten Schulfreunde, die sich nicht so sehr angestrengt hatten, standen nun besser da: als Sekretärin, kaufmännische Angestellte oder eben als "Nur"-Hausfrau. Alle wurden gebraucht, nur ich nicht.
Ich bekam Panik-Attacken wegen meiner finanziellen Zukunft und meiner Rente. Denn schnell (so nach 200 Bewerbungen als ich wieder gesund war) wurde mir klar, dass ich in den Arbeitsmarkt nicht mehr so einfach hineinkommen würde (Lücke im Lebenslauf, zu alt...die üblichen Argumente halt).
Entweder fehlte es mir an Erfahrung für die Jobs um die ich mich bewarb, oder ich war überqualifiziert.
Nun ja. In den Hartz IV Kursen (wie ich die Kurse vom JobCenter gerne nenne) traf ich auf Leidensgenossen.
Einige dieser Menschen hatten von ihrer Art und Arbeitseinstellung zu ihrer Misere sicherlich beigetragen, doch bei weitem nicht alle. Ich traf auch auf Menschen, die dem Klischee des persönlichkeitsgestörten Arbeitslosen so gar nicht entsprachen: auf Menschen mit Einsatzbereitschaft, Intelligenz und einem tollen Charakter. Menschen, die in ihrem Leben einfach Pech gehabt hatten. Ja, ich fand im Laufe der Zeit neue Freunde.
Tolle Freunde.
Und ich habe erkannt, dass es wirklich schön (!) sein kann, sich abends bei "armen" Freunden auf einen DVD Abend zu treffen oder ein Picknick mit ihnen zu machen. Zwar würde ich lügen, wenn ich sagen würde, dass ich mein Leben mit Geld und Prestige nicht manchmal vermisse. Doch ich habe gelernt die Welt mit anderen Augen zu sehen.
Ich kann nun an einer Blumenwiese vorbei gehen und mich daran erfreuen. Früher dachte ich in solchen schönen Momenten nur an meine Projekte. Für das Hier und Jetzt war mein Kopf nie frei.
Wie gesagt: meinem veränderten Bewusstsein gingen drei Jahre lang Depressionen voraus. Es war eine hammer-schwere Zeit. Doch wie Du siehst, lieber Fragesteller, es lohnt sich an sein Leben und seine Zukunft zu glauben!
Mittlerweile bin ich an einem Punkt angelangt, an dem ich mich entschlossen habe, Bücher zu schreiben. Ich arbeite gerade an Buch Nummer 1. Das wäre eventuell auch für Dich eine Idee? Vielleicht nicht jetzt, doch in ein paar Jahren, wenn Du das emotionale Tal durchquert hast? Leute wie wir, denen das Schicksal Knüppel zwischen die Beine wirft, haben meist viel zu erzählen.
Wegen meiner Rente und der finanziellen Lage von morgen mache ich mir nicht mehr so viele Sorgen wie früher. Entweder komme ich eines Tages doch noch finanziell auf einen grünen Zweig und gehe als Seniorin auf Kreuzfahrten. Oder ich teile das Schicksal einer endlosen Anzahl gebildeter Menschen, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren, und die es nicht schafften auf den Zug in Richtung sicherer Rente aufzuspringen. Dann gibt es eben Pizza statt Kaviar (worauf ich eh nicht stehe) und Picknicks statt Kreuzfahrten. Letzten Endes ermöglicht beides Momente des Glücks.
Wenn der Arbeitsmarkt rosig aussehen würde, müsste man sich vielleicht Sorgen machen, dass man als armer Mensch in einer Sozialwohnung nur von Menschen umgeben sein wird, die dem Image des persönlichkeitsgestörten Arbeitslosen entsprechen. Doch dem ist bei Weitem nicht so. Da gibt es alles: ehrgeizige Ex-Angestellte, Ex-Manager, Freiberufler, und und und.
Und leider wird das noch krasser, denn die von den zukünftigen Generationen werden nur noch wenige Leute eine Rente bekommen.
Deshalb kann es sehr vorteilhaft sein, wenn man versucht sich eine Qualifikation anzueignen, die man im Alter 60+ zu Brot und Geld machen kann. Ein Bekannter von mir lässt sich gerade zum Heilpraktiker ausbilden (auch als Absicherung fürs Alter), eine andere Bekannte möchte sich im Bereich Coaching selbständig machen.
Und ich möchte schreiben, schreiben und schreiben, eine Sache, der man auch als vielleicht etwas tatterige Person mit 70+ ausüben kann.
Früher waren Rentenansprüche die Ressourcen fürs Alter, heute sind es Fähigkeiten und Wissen.
Ob Dir das Folgende hilft, weiß ich nicht: ich habe mich viel mit den Lehrern von Elizabeth Kübler-Ross und anderen spirituellen Lehrern befasst. Der Entschluss, zu dem ich gekommen bin, ist dass das Leben eine spirituelle Reise ist, auf der die Seele positive Eigenschaften entwickeln soll, mit dem Ziel zu lernen Liebe zu geben und zu empfangen. Schicksalsschläge helfen einem dabei langfristig oft mehr als Geld oder Karriere.
Religiösität oder Spiritualität ist nicht für jedermann, doch manchen hilft es extrem.
So...das war nun, was ich beisteuern konnte. Aus meiner eigenen Erfahrung.
Alles Gute an Dich!