Es zeigt sich darin die schädlichen Auswirkungen dieses Systems:
Ohne den ausgebauten Sozialstaat würde es wahrscheinlich deutlich weniger Langzeitarbeitslose geben, da diese sich viel früher und viel intensiver um Arbeit bemühen müssten und dadurch gar nicht in Verlegenheit kommen würden, langzeitarbeitslos zu werden.
Und das wollen wir wirklich? Menschen, die gezwungen sind, jeden Job für jedes Geld anzunehmen? Warum sollte ein Arbeitgeber dann deinen Lohn noch zahlen, wenn vor der Tür drei stehen, die Deinen Job für die Hälfte machen?
Außerdem, können wir uns das wirklich leisten, im unteren Lohnbereich noch weiter runter zu gehen? Damit die Leute sich dann endgültig keine Wohnungen mehr leisten können? Wollen wir Zeltstädte am Straßenrand wie in den USA?
Zum Thema "Arbeit lohnt sich nicht mehr" kann ich was beitragen.
Ich habe lange Zeit Grundsicherung bekommen, weil ich krank war und meine Ärztin gesagt hat, ich kann nicht mehr arbeiten.
Sobald ich konnte, habe ich mich ehrenamtlich betätigt. Da haben wir zu Weihnachten einen Gutschein über 20 Euro bekommen. Das hat für mich den Unterschied gemacht zwischen "ich kann mir an Weihnachten auch mal ein besonderes Essen leisten" und "es gibt halt Kartoffelsalat und Würstchen". Auch kein schlechtes Essen. Ich will mich nicht beklagen. Aber die 20 Euro waren für mich schon eine Verbesserung meiner Lebensqualität.
Dann habe ich irgendwann angefangen ehrenamtlich zu arbeiten, wo wir 70 Euro Ehrenamtspauschale bekommen. Übrigens für einen Job, der locker eine hoch qualifizierte Vollzeit-plus Verwaltungsfachkraft tragen würde. Aber der Staat ist nicht bereit, diese Stellen zu finanzieren. Lieber zahlt er Rente oder Bürgergeld, Grundsicherung.
Diese 70 Euro waren ein massiver Anstieg meiner Lebensqualität. Das habe ich gemerkt. Ich konnte auch mal mit Freunden einen Kaffee trinken gehen, ohne darüber nachdenken zu müssen, hab ich noch genug Brot zuhause, wann kommt das nächste Geld, schaffe ich das oder muss ich eher was zu essen kaufen.
Heute arbeite ich. 12 Stunden die Woche. Ich bekomme tarflichen Lohn und muss natürlich aufstocken. Bin aber derzeit nicht in der Lage mehr zu arbeiten, sonst werde ich wieder krank. Bzw. ich würde das auch gar nicht schaffen und müsste mich ständig krank melden.
Da ich in einem Staat lebe, der mich unterstützt, bekomme ich massig Geld (für meine Verhältnisse). Und das heißt, ich kann mir Kleidung leisten. Ich kann mir ein belegtes Brötchen leisten in der Mittagspause. Ich kann spontan mich mit Freunden verabreden, ins kino gehen, essen gehen. Ich kann in meiner Wohnung mal ein paar Projekte angehen. Noc h viel besser, als ich jetzt so krank war, musste ich nicht darüber nachdenken, sondern habe mir einfach eine Großpackung Schmerzmittel gekauft. Was mich angeht, ich lebe gerade im puren Luxus.
Ich kann mir kein Auto leisten, fliege auch nicht dreimal im Jahr in den Urlaub. Aber hey, genau, ich kann mir mal zwei Tage in einem Hotel leisten. Ich kann mir leisten, Weiterbildungen zu machen.
Ich frage mich, wenn sich Arbeit nicht mehr lohnt, warum genau die Leute, die solche Sprüche von sich geben, dann überhaupt noch arbeiten. Weil sie halt doch nicht auf ihren Morgenlatte verzichten wollen vor der Arbeit. Weil sie 3 x im Jahr unbedingt ins Ausland fliegen müssen. Weil sie auf keinen Fall auf ihren großen Schlitten verzichten und das gefälligst ohne Geschwindigkeitsbegrenzung. (Na die stelle ich mir lustig vor auf dem Arbeitsamt, wenn es heißt, ist mir egal, dass sie angeblich schon fünfmal die Unterlagen eingereicht haben. Die sind nicht da, also haben sie die nicht eingereicht. Und bevor das nicht passiert, sperren wir ihr Geld. Mir egal, dass sie dann kein Fahrgeld mehr haben, um zum Jobcenter zu kommen. Dann laufen sie halt.)
Ich habe mich nie bequem auf die Couch gelegt, schon gar nicht für Monate oder gar Jahre. Und vielleicht unterstelle ich das genau deshalb auch nicht anderen.