Unlängst stand in unserer Zeitung, dass Lehrer sich vor Unterrichtskontrollen fürchten. Zum Wochenende stand ergänzend darin, dass die überwältigende Mehrheit aller Mathelehrer vom Pisa-Schiefstand nichts mitbekommen habe. Dieselben Lehrer, die sich davor fürchten, ihre eigenen Leistungen vorführen und testen lassen zu müssen, aber täglich junge Menschen - "Schülermaterial", wie man mir sagte - prüfen und testen und bewerten bzw. als Versager abwerten und mit Zeugnissen ins gesellschaftliche Abseits schieben, die in der Wirtschaft wertlos sind.
Es sind dieselben Lehrer, die Kinderschicksale wie das der jungen Amokläufer begünstigen, die von ihnen abgefertigt werden, bis sie "weg sind". Entweder weg von der Schule oder furchtbarerweise weg aus dem Leben.
Es ist entsetzlich, dass auch dieser junge Mensch keine andere Möglichkeit zur Selbstbestimmung oder Selbstverwirklichung mehr sah, als mit seinem Suizid zu beweisen, dass zumindest sein Leben ihm allein gehöre. Grausam, dass sein Hilfeschrei im Internet nicht wirklich gehört und ihm nicht wirksam geholfen wurde. Worte für den Schmerz fehlen, dass er auf diesem Weg andere mitriss, die ihm nicht freiwillig folgen wollten und denen er durch Gewalt genau das antat, wogegen er sich wehrte.
Trotzdem wird auch sein Fanal nicht die Veränderungen bringen, die nötig wären, um Kindern und Jugendlichen (auch) in der Schule das Gefühl zu geben, willkommen zu sein und tatsächlich sinnvoll für das Leben zu lernen. Die Angst, am Ende ohne Ausbildungsplatz, ohne Arbeitsplatz, ohne Chance auf die eigenständige, unabhängige Verwirklichung eigener Lebensträume und Ziele als gesellschaftlich überflüssig aussortiert zu werden, wird bleiben. Und sie wird mit jedem weiteren Betrieb, der massenhaft Arbeitsplätze abbaut, um sie ins Ausland zu verlagern oder einzusparen, wachsen. Ebenso mit jeder neuen Schieflage-Studie, die nun schon so lange ohne erfolgreiche Gegenmaßnahme für Schlagzeilen sorgt und danach in der großen Ablage P verschwindet.
Dieser junge Mann hier hat sich als Versager missachtet gefühlt. Er hat gelitten und sich immer wieder aufgerappelt, hat den Frust und die Angst geschluckt, in der ihm bloß die scheinbare Stärke der Waffengewalt geholfen hat. Er hat via Internet in die ganze Welt um Hilfe gebrüllt. Und keiner hat's gesehen, keiner hat's gehört. Ich auch nicht. In meinem Kummerkasten hat er sich nicht gemeldet. Leider.
Sein Gesicht soll die Welt nicht vergessen, hat er sich gewünscht und sich mit seinem finalen Schuss so zugerichtet, wie es in seiner Seele wohl lange schon aussah. Blutige Tränen seien es, schrieb mir ein junges Mädchen, das sich durch Ritzen selbst verletzte.
Wann, frage ich mich, werden die Verantwortlichen, die Eltern, die Politiker, die Wirtschaftsbosse endlich aufwachen und erkennen, warum junge Menschen heute sich zwar Kinder wünschen, aber in den herrschenden Zeiten der Angst und Verunsicherung lieber keine bekommen al szu riskieren, dass irgendwann andere kommen und sie als überflüssig in die Gosse drängen. Oder ins frühe, viel zu frühe Grab.
Karin Jäckel
Autorin
