Hallo Katharina,
die schmerzhaftesten Fehler sind die, die man weder damals noch heute verändern konnte. Auch Kindern geht es um Loyalität. Dein Mann ist gegangen und schlussendlich Du auch. Ihr habt euren Sohn beide verlassen. Das kann einen verdammt hart treffen und auf Jahre in der Seele zeichnen. Ihr wart wohl beide von eurer Familiensituation überfordert und habt euch für Auswege entschieden, die euren Sohn weggestoßen haben. Wahrscheinlich hat auch euer Sohn seinen Anteil daran, denn auch Kinder können ohne Einsicht und sehr rücksichtslos sein. Aber sie sind eben Kinder.
Ihr habt offenbar einiges versucht, die Risse wieder zu kitten, aber (vergib mir) für mich lesen sich Deine Worte wie eine Rechtfertigung und eine Bitte um Verständnis, dass es Dir leider nicht anders möglich war. Ich glaube Dir sofort, dass auch Dich das sehr hart trifft. Für Kinder ist es oft nur schwer verständlich, dass auch Eltern ihre Grenzen haben und über manches nicht hinweg kommen. Deine Trauer und auch Deine Wut darüber kann ich gut verstehen. Es tut mir leid, dass es für euch so gelaufen ist.
Ob er Dir und euch irgendwann vergeben kann? Möglich ist es, vor allem, wenn er einen wachen Blick auf sich selbst hat und ziemlich sicher auch an sich feststellen muss, dass "Wollen" und "Vollbringen" kein Automatismus ist. Manches kann man lernen, einiges bleibt einem immer verschlossen. Das sollte ein wenig für Demut und Verständnis sorgen. Bei manchen schürt es aber nur die Wut auf sich und andere. Aber das ist dann sein Part und seine Verantwortung.
Du hast getan, was Dir möglich war. So einiges davon hat funktioniert, sonst wäre er nicht mehr am Leben. Nein, das ist weder eine Absolution, noch eine Rechtfertigung. Er ist jetzt über 20 und muss seine Wege finden. Wut kann eine gute Triebfeder sein, wenn man von einem drohenden Magengeschwür und so vielem anderen Schexxxs einmal absieht. In den kommenden Jahren nimmt Dein Anteil an diesen Dingen immer mehr ab und er sollte dafür immer mehr Verantwortung übernehmen, wer und wie er ist und sein will. Will und kann er damit nicht abschließen und nicht umgehen, dann ist das zwar sehr traurig und wirklich schade, aber Du kannst dann nur noch wenig helfen.
Ein schlechtes Gewissen ist auf Dauer nur zu einem gut: sich selbst das Leben zur Hölle zu machen. Ja, da ging einiges schief und einiges ist gut gelaufen. Wie sehr das auf Dein künftiges Leben Einfluss haben sollte und darf, musst DU entscheiden. Steh zu Deinen Versäumnissen und wenn er will, kannst Du ihm Deine Sicht der Dinge verständlicher machen. Pass auf, dass Du keine Mauer aus Wut aufbaust, um den Schmerz darüber nicht mehr so sehr fühlen zu müssen. Auch Du darfst und solltest Dir und euch vergeben. Was Du und ihr in Zukunft tut, kann zu einer Heilung in euch führen und auf diesem Weg gibt es viele Stolpersteine. Deswegen ist es wichtig, nicht mit gesenktem Kopf und einem Sack über dem Kopf und Asche auf dem Haupt durch die Gegend zu torkeln und zu verlangen, dass das zu etwas Gutem führt.
Du scheinst dazu lernen zu können und kannst sehen, dass Du so einiges nicht ignorieren kannst und solltest. Das ist eine gute und leider schmerzhafte Erkenntnis. Aber deswegen scheint morgen die Sonne nicht weniger schön und eine Rose ist noch immer eine tolle Blume in Deiner Hand. Leb Dein Leben, trotz alledem. Das darfst Du und solltest Du. Du musstest Deine Verantwortung und Deine Grenzen auf die harte Tour lernen, aber wer muss das nicht? Lass Dich nicht unterkriegen. Dein Sohn kann auch jetzt noch von Dir lernen, wie man mit Fehlern verantwortungsvoll und mitfühlend umgehen kann.