Hallo leongant,
möglicherweise gibt es doch noch eine Hoffnung für euch zwei. Denn du schreibst, dass ihr viele gemeinsame Werte und Interessen habt, ihr konntet zusammen lachen, es hat ganz viel gepasst, offenbar war oder ist es bei euch beiden wirklich ernst - zu großen Teilen.
Wenn man frisch verliebt ist, zeigt man sich erstmal eine ganze Weile von der Schokoladenseite. Deine Partnerin scheint außerdem ein großes Problem damit zu haben, Nein zu sagen, wenn sie Nein meint. Für dich war fast alles o. k. (fast deswegen, weil du sie deinen Eltern erst später vorstellen wolltest, wenn du dir ganz sicher bist, dass es hält; du hattest also noch Zweifel). Sie hat offenbar vieles geschluckt. D. h. die Beziehung war ganz offensichtlich nicht "perfekt". Eine perfekte Beziehung gibt es eh nicht, zwei Menschen sind immer unterschiedlich. Als gut würde ich eine Beziehung ansehen, wenn beide sich wirklich lieben und auch schon die negativen Seiten des anderen kennengelernt haben - und vor allem gehört dazu, dass man mit Wünschen, Absichten, Verletzlichkeit, Enttäuschung und Ärger oder Wut offen umgeht. Wenn man nicht gewöhnt ist, Konflikte so auszutragen, dass man weder sich selbst verleugnet noch den anderen dabei fertigmacht, dann kann gar keine gute, lange Beziehung entstehen. Denn dann staut sich auf jeden Fall mindestens bei einem von beiden eine Menge Schmerz und Wut an. Das heißt, deine Partnerin müsste bereit sein, ihre Anliegen viel schneller und angemessener zur Sprache zu bringen - was sie bis jetzt nicht gelernt hat. Da sie ihren Vater nicht respektiert, muss er ihr oder anderen Menschen einiges angetan haben. Vielleicht war er sehr dominant oder auf irgendeine Art "abwesend", das würde dazu passen, dass sie ein eingeschüchterter Mensch ist.
Ich kann nachvollziehen, dass du sie deinen Eltern noch nicht vorstellen wolltest. Ich würde das auch nicht tun, bevor nicht so viel Zeit vergangen ist, dass ich auch die negativen Seiten des Partners kenne, außerdem seine Bereitschaft, psychisch und sozial dazuzulernen - und auf jeden Fall nicht, bevor man sich nicht ein paar Mal gestritten und versöhnt hat. Aber da sind die Bedürfnisse offensichtlich unterschiedlich, man bräuchte einen Kompromiss oder zumindest ein sehr offenes Gespräch ohne gegenseitige Vorwürfe.
Dasselbe gilt für unterschiedliche Bedürfnisse nach Nähe und Distanz. Schafft man es, sich auf einen Kompromiss zu einigen?
Was ich bei dir als sehr schwierig ansehe, ist, dass du offensichtlich ihr Gefühlsleben sehr viel weniger wichtig als dein eigenes findest. Ihre Bedürfnisse (Kennenlernen deiner Eltern, mehr Nähe, finanzielle Großzügigkeit etc.) sind für dich alles nur Humbug und kein echter Grund für Schmerz und Wut. Ich habe den Eindruck, dass es für dich "perfekt" ist, wenn die Treffen mit ihr für deine Bedürfnisse toll verlaufen. Was ist mit ihren Bedürfnissen? Sie ist nicht weniger Mensch als du. Weißt du, warum sie ihren Vater nicht achtet? Hast du mal gefragt, was da los war, wie es ihr mit ihrem Vater oder in der Familie ergangen ist? Warum sie so schüchtern ist, warum sie kein Nein sagen kann - oder erst beim Explodieren? Wenn dich das alles nicht interessiert, wie es ihr geht, was sie will und was nicht, welche Meinungen sie wirklich vertritt, dann hast du kein echtes Interesse an ihr. Dann bist du nur an einer oberflächlichen Pseudo-Beziehung interessiert, in der es vor allem dir gut gehen soll. Das wäre definitiv keine echte Beziehung.
Ihr könntet eine Chance haben, wenn du den Wunsch verspüren würdest, sie richtig kennenzulernen. Mit allem, was bisher unter der Oberfläche verborgen war. Sie müsste lernen, sich selbst zu lieben und offen zu sagen, was sie wirklich will. Und ihr beide bräuchtet eine andere Streitkultur. Darüber gibts jede Menge Bücher, das sind soziale Fertigkeiten, die sich lernen lassen.
Wenn ihr beide euch nicht ändern wollt, habt ihr meiner Meinung nach absolut keine Chance auf eine gute Beziehung.