Mach ich ja. Aber irgendwie tut er mir auch leid, weil er immer so verloren wirkt. Und ich bin den ganzen Tag mit ihm zusammen. Bin es halt einfach nicht gewohnt, meine Mitmenschen zu ignorieren.
Ich halte Mitleid für ziemlich daneben und eine denkbar schlechte Voraussetzung für einen entspannten Umgang.
Du musst niemanden ignorieren, um ihn in Ruhe zu lassen. Dir scheint etwas Feingefühl zu fehlen.
In meiner entfernteren Familie gibt es eine junge Frau mit scheinbar ähnlicher Ausprägung.
Gerade das gemeinsame Arbeiten erleichtert die Situation doch ungemein. Mit ihr ging ich gerne mit ihrem Hund spazieren, da man auch dabei leicht eine Atmosphäre schaffen kann, in der man auf angenehme Weise schweigen kann. Und kein Blickkontakt nötig ist, was für sie ein große Hilfe war.
Anfangs fragte ich kaum etwas, da sie nur mit Nicken oder Kopfschütteln antwortete und sichtlich angespannt und unsicher war. Sie war immer in einem Kapuzenpulli versteckt und hatte den Kopf gesenkt.
Ich sagte wenig, in ruhigem Ton, Pausen dazwischen. Über ihren Hund, was mir in der Umgebung auffiel, ob sie Lust hätte, hier zu xyz abzubiegen, dass ich es toll finde, wie sie mit dem Hund umgeht.
Ihr wurde spürbar klar, ich erwarte nichts, sie muss nicht reden, ich mag sie, wie sie ist. Ihre ganze Haltung wurde entspannter, die hochgezogenen Schultern lockerten sich z. B., sie ging lockerer.
Die Kapuze wurde unnötig.
Und sie begann mit kurzen Sätzen zu antworten.
So ging das weiter, bis zu ruhigen, kleinen Gesprächen, gemeinsamem Grinsen über den Hund.
Wir reden hier aber von einer Entwicklung über Wochen.
Vergiss deine Erwartungen.
Vergiss deine Ungeduld.
Überlege, was DU tun kannst, um dem Kollegen die Arbeitszeit mit DIR zu erleichtern. Denn du bist ein Stressfaktor für ihn, den nicht er, sondern nur du beeinflussen kannst.
Kein aufgedrehtes Gequassel wie im Freundeskreis, kein Smalltalk wie im restlichen Kollegenkreis.
Dein Job: eine leichte, entspannte Atmosphäre erschaffen, in der er entspannen kann, weil klar wird, dass er sein kann wie er ist.
Du bist freundlich, interessiert, mit einsilbigen Antworten völlig zufrieden und fängst nicht an, ihn wegen seiner Art zu ignorieren. Aber lernst, deine Erwartungshaltung abzulegen.
Kennst du das eigentlich, entspannt miteinander schweigen? Das kann ein schöne Erfahrung sein.
Ich frage, weil bei mir der Gedanke aufkam, ob du vielleicht Angst vor Stille hast.
Die muss nicht riesig, unüberwindbar zwischen einem im Raum stehen.
Die kann man miteinander genießen, in lockerer Verbundenheit.