Da nur das Universum ebenso grenzenlos ist wie der Mensch in Sachen Dummheit, ist dieses Jahr wohl noch mehr mit Unfällen an Sylvester zu rechnen wie sonst, weil einige offenbar meinen, das Feuerwerksverkaufsverbot aushebeln zu müssen:
Ein Mann will sich seine Silvester-Böller selber basteln. Dann kommt es zu einer Explosion. Der 19-Jährige schwebt in Lebensgefahr.
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Etwas erschrocken war ich aber schon, als ich heute früh auf FB die überaus hämischen Kommentare dazu las. Es dürfte dem jungen Mann auch ohne solche Sprüche eine Lehre fürs Leben gewesen sein, da muß man nicht noch nachtreten.
Mein erster Gedanke war ein ehemaliger Klassenkamerad, dessen Chemie-Heimexperiment (nicht für Sylvester) ebenfalls total daneben gegangen war - auch nach dem Krankenstand lief er noch monatelang mit hochroten Stellen im Gesicht herum. Irgendwann waren sie weg, aber er kann von Glück sagen, keine dauerhaften Entstellungen davongetragen zu haben oder ganz drauf gegangen zu sein dabei. Soviel Jahre habe ich da nicht mehr dran gedacht, doch angesichts dieser Meldung kam das nun doch stantepede wieder hoch.
Es ist für mich kaum nachvollziehbar, wie wenig einige sich darauf einstellen können, daß es dieses Jahr eben mal anders läuft: Daß man (vielleicht) allein ist, daß es (weitgehend) ruhig bleibt - meine Güte, es ist doch nicht für ewig! Die Impfungen sind bereits unterwegs - in ein paar Jahren kann man auf das morgige Sylvester zurückblicken und sich sagen:
"Es mußte aus äußeren Gründen heraus anders verlaufen als sonst, aber ich habe das als Chance gesehen, es ganz bewußt auch völlig anders zu erleben, indem ich ganz bei mir blieb und die Ruhe intensiv nutzte, mich, meine Gedanken, meine Gefühle und auch meine körperlichen Empfindungen gezielt wahrzunehmen. Im Geiste konnte ich mich auf eine Metaebene heben und - frei wie ein Vogel - durch die Zeit fliegen: Über das alte Jahr hinweg und voll Fantasie ins neue hinein.
Statt wie sonst mit Dritten abzutanzen, rumzuböllern und einen zu heben, habe ich diesmal einen letzten Nachmittagsspaziergang gemacht, noch ehe die Sonne zum letzten Mal über 2020 unterging. Und ich bin im Morgengrauen des 1.1. erneut rausgegangen, um sie 2021 wieder zu begrüßen - oder zumindest das, was an Lichtflecken zwischen den Wolken erkennbar war.
Ich habe das alte Jahr revue passieren lassen und jener gedacht, die es nicht überlebt haben - u.a. auch wegen Corona. Ich habe mir klargemacht, daß ich zu den ganz wenigen Menschen auf dieser Welt gehöre, die schon deshalb unendlich privilegiert sind, weil sie Zugang zum westlichen Gesundheitssystem haben, ein Dach überm Kopf, mit sauberem Wasser, das sie jederzeit aus dem Kran in ihrer Wohnung holen können und einem Kühlschrank, der stets hinreichend gefüllt ist. Mal ganz zu schweigen davon, daß sie einen Internetzugang besitzen und damit auch jederzeit nicht nur an jedwede Information, sondern auch an virtuelle Kontakte kommen können, wenn ihnen nach Austausch zumute ist.
Dies alles nicht etwa, weil sie talentierter, fleißiger, fähiger sind als jene, die beispielsweise gerade im Jemen zu Tode gebombt werden - nein, ihr Hauptverdienst ist zunächst mal einfach nur, hier und nicht dort geboren worden zu sein. Das ist ein Privileg erster Güte - so wie es einst eines war, adelige Eltern zu haben.
IMO ist es eine moralische Verpflichtung, sich dieses Privileg zumindest nachträglich zu verdienen. Also wie kommt man - auf so einem hohen Roß sitzend - dazu, sich ein "Problem" daraus zu machen, daß man die kommenden ein (oder vielleicht auch zwei) Sylvester mal ohne Party oder Böllern verbringen soll? Ich meine: Wie ignorant und versnobt kann man sein?"
Tja - so und nicht anders wird es für mich morgen und übermorgen wohl gedanklich ablaufen.
Meine verstorbenenen Eltern haben beide noch den WW2 von A-Z erlebt. Schon ihretwillen würde ich nicht mal im Traum daran denken, mich zu beklagen. Denn bislang bin ich ohne Jobverlust und mit viel Heimarbeit verhältnismäßig gut durch die Krise gekommen. Da ich eh seit Jahren Single und sehr karriereorientiert bin, kann ich über das Gejammer in Sachen "'Einsamkeit" nur müde die Achseln zucken: Alles im Leben hat seinen Preis, ich zahle ihn schon lange - mit dem Alleinsein, aber sicher nicht in Form von Einsamkeit, denn die empfinde ich seit jeher nur, wenn ich in einem mit Menschen gefüllten Raum bin.
Insofern betrachte ich mich als privilegiert und danke meinem Schöpfer täglich auf Knien dafür, daß ich morgen ruhig, entspannt und ganz für mich allein ins neue Jahr hinüberrutschen darf. Nicht nur vermisse ich das Böllern nicht, ich werde die Stille diesmal sogar ganz besonders genießen, aber hallo!
Und dem 19jährigen wünsche ich, daß er bald wieder gesund wird und künftig auch ohne Böller mit sich selbst was anzufangen weiß.
Bleibt gesund!
Vielleicht liest man sich morgen oder übermorgen ja nochmal. Ich mag diesen Thread schon seit 2010, er gehört mittlerweile für mich alljährlich fast ebenso dazu wie Dinner for One. Danke,
@spamburger!