Liebe Vögelin,
es tut mir leid, daß es so schwierig für dich ist.
Du wirst weder den Chef noch sonst wen ändern. Was Du aber tun kannst, ist gut auf Dich achten. Dir Deine Arbeitszeit gut einteilen und nur so viel zu arbeiten, daß es Dir noch gut geht.
Ja, das wird wahrscheinlich bedeuten, daß einiges liegen bleibt; einiges einfach nicht erledigt wird.
Aber du bist keine Chirurgin. Dir verblutet keiner auf dem OP-Tisch.
Es ist Sache Deines Chefs das auszubügeln, nicht Deine. Er muß entweder die Arbeit reduzieren oder das Personal erhöhen. Einen anderen Weg gibt es nicht für ihn. Tätig werden Chefs aber üblicherweise nur, wenn tatsächlich ein Berg unerledigter Arbeit entsteht. Es muß Probleme geben, damit er Lösungen findet. so lange Du die Probleme für ihn aus dem Weg räumst, wird er nicht tätig werden. Also mußt Du aushalten lernen, daß Probleme entstehen, Kunden unzufrieden sind, Fristen nicht eingehalten werden... Ohne Problemdruck kein Lösungsdruck für den Chef.
Deine Aufgabe ist es, in Deiner regulären Arbeitszeit eine durchschnittliche Arbeitsleistung zu erbringen. Der Durchschnitt liegt irgendwo zwischen Deinem bisherigen Arbeitspensum und dem Deiner Kolleginnen.
Und dann gilt es freundlich und bestimmt zu sagen: "Lieber Chef, ich gehe jetzt nachhause, meine Arbeitszeit ist für heute um. Ja, stimmt, da liegt noch unerledigte Arbeit, aber das schaffe ich nicht mehr. Ja, stimmt, da ich auch morgen pünktlich gehen werde, wird noch mehr liegen bleiben und das wird sich Tag für Tag verstärken. Ich habe da leider auch keine Lösung. Aber das ist ja auch gar nicht meine Aufgabe, eine Lösung dafür zu finden."
Zum Thema Telefon würde ich folgendermaßen vorgehen:
Wenn Telefon, dann nicht mehr 1000 andere Sachen. Wenn dich das Telefon so schlaucht und belastet, dann zeige es. Dann bleibt eben alles andere liegen, weil Du Kopfschmerzen bekommst und Dich immer schlechter neu konzentrieren kannst auf die Arbeit aus der Dich das Telefonat herausgerissen hat. Dann brauchst du für alles andere eben gaaaaanz lange. Oder es geht gar nicht mehr, daneben noch andere Aufgaben zu bewältigen.
Wenn Dein Chef kein völliger Idiot ist, wird er seine erfahrendste Kraft nicht mit Telefonaten verheizen, wenn dann alles andere liegenbleibt.
Abgesehen von all dem, würde ich dir auch raten, Dich evtl. bei einem Therapeuten vorzustellen. Du leidest und Du brauchst vielleicht professionelle Unterstützung. Auch Rückenprobleme haben oft eine psychische Ursache. "Sich zu viel aufladen", "sich zu stark beugen"... Manchmal sucht der Körper eine Escape-Möglichkeit, um aus einer zu belastenden Situation herauszukommen und dann manifestieren sich körperliche Krankheiten. Vielleicht kann das auch bei Dir der Fall sein? Ein Profi an Deiner Seite könnte Dir helfen aufzuarbeiten, warum es Dir so schwer fällt, für dich einzustehen, Erwartungen des Chefs zu enttäuschen, warum dein Pflichtbewußtsein anderen (Chef, Firma) gegenüber höher ist als Dir selbst gegenüber. Und er könnte Dich begleiten auf dem Weg, Dich selbst in den Fokus zu stellen und Dich stärken im Konflikt mit Deinem Chef. Außerdem könnte er einen Blick darauf haben, wann Deine Situation so gesundheitsgefährdend wird oder vielleicht schon ist, daß Du dich rausziehen und krankschreiben lassen mußt.
Ich wünsche Dir den Mut und die Kraft, die Arbeit nicht aus den Augen Deiner Firma und Deines Chefs zu betrachten, sondern auf Dich zu schauen und darauf, was Du als durchschnittliche Angestellte nur leisten mußt und kannst. Und bis zu welcher Arbeitsbelastung es Dir gut geht und ab wann Du Mehrbelastungen abwehren mußt.
Und mach Dir nicht so schlimme Sorgen, welche schlimmen Konsequenzen das haben könnte. Mal dir da nichts Schlimmes aus. Der Arbeitsmarkt ist quasi leergefegt, du erlebst ja selbst wie schwer es ist, Personal zu finden und dann auch noch gut qualifiziertes, leistungsbereites Personal. Dein Chef hat sicher keine Lust, noch eine weitere Personallücke zu reißen, indem er Dich verliert. Und gleichzeitig steigen Deine Chancen woanders gute Arbeit zu finden. Vielleicht bewirbst Du Dich auch einfach mal woanders, um zu schauen, ob es was Besseres gäbe.