Nu muss ich doch mal etwas mehr zum Thema schreiben, da es bei mir zu Hause ja z.Zt. auch höchst aktuell ist:
Ich bin in Köln und Umgebung aufgewachsen, das heißt, manchmal hab ich mittendrin gewohnt und manchmal in Dörfern am Stadtrand. In 2 Monaten ziehe ich aufs Land. Ganz aufs Land, wie ich auf Seite 1 ja schon schrieb.
Ich ziehe da nicht aus beruflichen Gründen oder so hin, sondern weil es etwas mit Lebensstil und Wertevorstellung zu tun hat. Ich bin kein " Dorf ist halt nur für Leute nett, die sich selbst gerne im Norm-bereich aufhalten", ganz und gar nicht, aber genau genommen zieh ich ja auch nicht aufs Dorf, sondern in die totale Einsamkeit. Die Stadt ätzt mich einfach an. Es geht ausschließlich nur um gutes Aussehen, tolle Autos, dicke Mucke, schniecke Vorgärten und Fun, Fun, Fun... hauptsache so weit wie möglich weg von sich selbst. Aller Lug und Trug dieser Gesellschaft spiegelt sich mir in der Stadt tagtäglich wider - in allem, was ich sehe. Besonders sehe ich es an meiner Tochter. 9 Jahre alt, die Schulkameradinnen hatten ihre ersten Diäten schon in der 2. Klasse hinter sich, schon die Kinder müssen immer toll aussehen und werden angeflenzt, wenn sie auf einen Baum klettern, weil das ja die Hose beschädigen könnte. Bei diesen Kindern wird in der Schule null, aber wirklich null wert darauf gelegt, soziale Kompetenzen zu entwickeln (so, wie ich sie verstehe), eher im Gegenteil. Und glaubt mir, das liegt hier nicht an dem Einzelfall dieser verhältnismäßig noch sehr guten Schule, auf die sie geht. Eine Mutter sagte mal zu mir "In dem Alter ist doch das wichtigste, dass die Kinder die meisten Freunde haben", ja es war nur eine Mutter und doch ist dies das Gesetz das hier herrscht, es haben tatsächlich die Kinder die meisten Freunde, die das trendigste Spielzeug haben. Zuverlässigkeit gibt es schon unter den Kleinsten nicht mehr, da werden Verabredungen kurzerhand abgesagt, weil jemand "Tolleres" nun doch kurzfristig Zeit hat und genau so wird es auch gesagt. Schade nur, dass ich meine Tochter immer anders erzog - damit meine ich: schade für meine Tochter, denn sie kommt mit ihren mitgegebenen Werten hier nicht klar. Fragt Euch mal welche Kinder mehr fernsehen? Städter oder Landkinder? Pst, Kind, es ist Mittagsruhe, nein Kind, nimm den Stock vom Fußabtreter des Nachbarhundes, hey, Kind, da darfst Du nicht hin, die Straße ist zu gefährlich...
Stadt ökonomischer? Was nutzt es wenn es 300 freie Stellen in der Stadt gibt, auf dem Land dagegen nur 15, in der Stadt darauf aber 2000 Bewerber kommen, auf dem Land hingegen 20? Ich brat mir ein Ei darauf, dass der nächste Aldi hier nur 800 Meter weg ist - ich fahr ja doch mit dem Auto hin, da kann ich auch 3km fahren. Auf dem Land sehe ich Leute, wenn ich das will und nicht weil wir zufälligerweise morgens um die gleiche Zeit aus dem Haus gehen. Stadt ist offener, individueller? Klar, deswegen schob man mich auch als ich mit 16 schwanger wurde von der Schule mit den Worten "sie hinterlassen hier nur einen schlechten Eindruck", das ich nicht lache. ich glaube kaum, dass ich damals auf dem Land mit meiner Situation so einsam gewesen wäre wie ich es in er Stadt war - eben weil in der Stadt nur dieser verdammicht blöde "Eindruck" zählt. Egal was Du bist und wer Du bist, hauptsache Du machst Eindruck.
Land ist für mich heute Herausforderung. Herausforderung der Stille. Weg von all dem Zeug, das nur ablenkt und ablenken soll. Weg von Werbeplakaten, die bald größer werden als die Häuser, an denen sie hängen, weg von Dudel-Beschallung in dem flughafengroßen Kaufhaus, das genau zwischen 12:00 Uhr und 13:00 gerammelt voll ist, weil der ach so individuelle Städter dann Mittagspause hat, weg von dem ganzen Scheiß, der Dich schöner, besser, toller, reicher machen soll, weg zu dem, was wirklich wichtig ist - unter Menschen, die noch lachen, wenn sie Deine Uschi-Glas-Haut-Pflegecreme im Bad sehen würden.
Aber ich betone, dass ich von LANDleben und nicht von DORFleben spreche.
Gel06