Es mag Gründe geben, warum ein Mensch Antidepressiva nehmen muss. Das kann allein schon deshalb erforderlich sein, weil eine umfassende therapeutische Betreuung nicht sichergestellt werden kann, etwa Therapien nur noch sehr restriktiv genehmigt werden. Ohnehin, so meine Erfahrung, sind gute Therapeuten rettungslos überlaufen und die Wartezeiten können einem Patienten im Grunde nicht zugemutet werden.
Ich rede hier von mir und aus meiner Perspektive. Unabhängig davon, welches Medikament ich nahm, spielte immer auch mein Umfeld eine Rolle, hatte meine psycho-soziale Situation eine große Bedeutung, wie ich mit meinen depressiven Phasen leben und umgehen konnte.
Waren meine Beziehungen halbwegs intakt, fühlte ich mich einbezogen in soziale Kontakte, spielten meine Depressionen eine untergeordnete Rolle. An anderer Stelle schrieb ich mal, dass ich meine depressiven Phasen dann durchaus betrachten konnte wie einen Freund, den ich kannte, der neben mir herging und der irgendwie auch zu mir gehörte. Ohne meine Depressionen wäre ich nicht der Mensch gewesen, der ich war. Mit Sicherheit wäre ich weniger empfindsam gewesen, empfindsam mir gegenüber und auch den Mitmenschen.
Mein Beruf forderte mich viele Jahre und sehr heftig, und dennoch halte ich es bis heute absolut für absolut logisch, dass ich nach meinem Ausscheiden aus meinem Beruf in das tiefste Loch meines Lebens fiel. Mein Kollegium hatte mich noch in einer großen Feier verabschiedet, unsere Schüler legten sich dabei ins Zeug, wie ich es nicht erwartet hätte.
Dann saß ich von einem Tag auf den anderen morgens zu Hause, in Gedanken aber war ich in der Schule, stellte mir vor, wie sie im Lehrerzimmer saßen, frühstückten, sich auch in den Konferenzen mal an die Köpfe gerieten. Und ich war nicht mehr dabei.
Freunde, die es immer gab, hatten Familien und sie hatten Partner/innen. Da war ich eher Anhängsel, als dass ich wirklich dazugehörte. Vor allem aber wollte ich nicht Objekt ihrer Sorge sein. Auch der liebste Mensch, der sympathischste Zeitgenosse wird zur Last, wenn er uns als lebender Anspruch gegenübertritt.
Eine Zeit lang versuchte ich in meiner Kirchengemeinde einen Platz zu finden, wollte mich engagieren. Die Erfahrungen war wenig begeisternd. Das brachte mich durchaus kurz wieder an die Grenze.
Heute weiß ich, dass es bei solchen Engagements auch eine große Abhängigkeit gibt. Das Wohlwollen einer Gruppe, die Akzeptanz, die man in ihr erfährt, ist nicht immer gleichbleibend. Menschen sind Menschen, egal, woran sie glauben, gleichgültig, welche Idee sie auf die Fahnen geschrieben haben.
Ich bin auch ein Mensch, und ich kenne auch die Gründe in mir, die es mir in Gruppen, in Beziehungen schwer machen. "Ich bin nicht dazu da, um dich glücklich zu machen!", hörte ich die Frau sagen, mit der ich fast Silberhochzeit gefeiert hätte. Ich wandte noch ein, dass es gleichwohl nicht ihre Rolle sei, mich unglücklich zu machen.
Im Grunde aber hatte ihre (brutale) Feststellung eine tiefe Wahrheit.
Was ich in mir selbst nicht finde, kann mir ein anderer Mensch nicht ersetzen. Ein anderer Mensch kann mir Gesellschaft leisten, meine Einsamkeit kann er mir nicht nehmen. Einsam bin ich, wenn ich es bin, in mir selbst.
Kurz hatte ich noch die Idee von einer Beziehung, lernte auch einige Frauen kennen, die mir sehr sympathisch schienen. Nein, einige waren es auch.
Vor wenigen Tagen meldete sich meine Schulfreundin wieder, von der ich schon erzählt habe. Das war wieder höchst vertraut und sehr beglückend. Wir sind nie ein Paar geworden, uns aber dennoch so nahe wie damals in den 60iger Jahren.
Ich bin mal mittendrin, und ich bin mal draußen, fühle mich auch mal allein, um im nächsten Moment mittendrin zu sein. Ich schmettere gelegentlich meine Lieblingssongs vor mich hin, wie ich schweige.
Auf was ich gerne verzichten möchte, kann ich nicht sagen, was ich gerne erreichen möchte, weiß ich eigentlich nicht.
Es ist gut. Und daran halte ich fest.
Burbacher