kiki_08
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Süddeutsche Zeitung
AUS *HEFT 50/2015* FAMILIE
hier nochmal der Link:
Versagen im Jugendamt - der große Report - Familie
...und für alle, die keine Links anklicken möchten, kopiere ich diese -wie ich finde, SEHR interessanten- Zitate als Auszüge raus :
● Thomas Mörsberger — Vorsitzender des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht:
*Ich werde zunehmend konfrontiert mit Fällen, bei denen in haarsträubender Weise Familien belastet werden durch völlig unberechtigte Interventionen, etwa in Form einer Fremdplatzierung per Inobhutnahme. Und ich spreche nur von Fällen, bei denen das Jugendamt dies auch – natürlich nicht öffentlich – zugegeben hat. Den Optimismus, dass durch massives Eingreifen per se das Gute passiere, kann ich nicht teilen.*
● Lore Peschel-Gutzeit — Familienrechtsanwältin, ehemalige Justizsenatorin in Hamburg und Berlin:
*Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt festgestellt, dass sowohl Familiengerichte als auch Jugendämter Kinder oft zu schnell und ohne notwendige Ermittlung von Alternativen in Obhut nehmen beziehungsweise von den Eltern trennen. Und dass sie sich auch bei der Rückgabe von fremd-untergebrachten Kindern an die Eltern zögerlich und damit pflicht- und verfassungswidrig verhalten.*
● Johannes Streif — Kinder- und Jugendpsychologe, Gerichtsgutachter:
*Viele Eltern erleben das Jugendamt als Kontrolle und nicht als Hilfe. Das hängt viel mit dem Verhalten der Jugendamtsmitarbeiter zusammen und ist bedauerlich: Die meisten Eltern sind in Situationen, in denen sie ihre Kinder vernachlässigen oder misshandeln, einfach überfordert. Erleben diese Eltern das Jugendamt nur als Kontrolle und Machtfaktor, werden sie sich in der Not nicht mehr an dessen Mitarbeiter wenden. So wird wirkungsvolle Hilfe verhindert, die viel Leid und Misshandlung in den Familien vermeiden könnte.*
● Hans-Christian Prestien — ehemaliger Familienrichter:
*Das Jugendamt sieht sich einer Gemengelage von Aufgaben gegenüber, die für die Mitarbeiter kaum unter einen Hut zu bringen ist. Die Behörde soll einerseits Eltern beraten und ihnen helfen. Andererseits soll sie gegebenfalls Kind und Eltern durch eine Inobhutnahme ohne vorherige richterliche Überprüfung oder Anordnung voneinander trennen. Dafür reicht, dass die Mitarbeiter in quasi richterlicher Funktion eine Situation als »Gefahr« für das Kind einschätzen. Eine richterliche Kontrolle findet auch im Nachhinein dann nicht statt, wenn die betroffenen Eltern gegen dieses Verfahren keinen Einspruch erheben – was sie oft nicht tun, weil sie ohnehin keine Chance sehen.*
● Klaus-Uwe Kirchhoff — Sozialpädagoge, Verfahrensbeistand:
*In manchen Städten, zum Beispiel in Hamburg und Bremen, hat ein Jugendamtsmitarbeiter hundert Fälle gleichzeitig zu bearbeiten. Dieser Notstand führt dazu, dass viele Jugendamtsmitarbeiter nicht mehr ihr Büro verlassen und in ihren Berichten Defizite von Leuten – also meistens Eltern – beschreiben, die sie noch nie gesehen haben.*
● Uwe Jopt — Professor für Psychologie, Gutachter:
*Tragödien wie der Fall Kevin in Bremen oder der Fall Chantal in Hamburg, die massive Kritik an den Behörden nach sich zogen, haben natürlich dazu beigetragen, dass die Jugendämter heute lieber zu früh eingreifen als zu spät. Das Problem ist allerdings, dass viele Ämter äußerst zurückhaltend sind, eine Herausnahme von Kindern wieder rückgängig zu machen. Obwohl die höchsten Gerichte herausgestellt haben, dass die Rückführung der Kinder in ihre Familien das oberste Ziel amtlichen Handelns sein sollte.
● Reinhard Wiesner — Rechtswissenschaftler, langjähriger Ministerialrat im Bundesfamilienministerium:
*Das Recht hat hohe Hürden errichtet, bevor der Staat in das Sorgerecht der Eltern eingreifen darf. Zum einen muss das Kindeswohl gefährdet sein. Das ist aber schon die erste Schwierigkeit: Was bedeutet Gefährdung des Kindeswohls? Das lässt sich ja nicht wie mit einem Fieberthermometer messen. Die Kindeswohlgefährdung allein reicht aber noch nicht. Gericht und Behörden müssen auch nachweisen, dass die Eltern aller Voraussicht nach nicht in der Lage sind, diese Gefährdung abzustellen. Die Gerichte und Behörden müssen also zusätzlich eine Prognose abgeben. Das birgt die Gefahr, dass Entscheidungen getroffen werden können, die sich im Nachhinein als falsch erweisen.*
●●● Klaus-Uwe Kirchhoff — Sozialpädagoge, Verfahrensbeistand:
*Oft habe ich in Sorgerechtsverfahren den Eindruck: Hier sitzt ein Dutzend Experten, deren einziges Ziel es ist, herauszuarbeiten, wie schlecht die jeweiligen Eltern für ihr Kind sind. Das gilt besonders, wenn die Inobhutnahme bereits erfolgt ist: Das Jugendamt wie auch das Gericht haben dann ja ein großes Interesse, wirklich etwas zu finden, was sie den Eltern vorwerfen können. Sonst hätten sie ein Kind zu Unrecht aus der Familie genommen und quasi eine Menschenrechtsverletzung begangen.*
● Johannes Streif — Kinder- und Jugendpsychologe, Gerichtsgutachter:
*Leider ist es gängige Praxis, Kinder nach einer Inobhutnahme für mehrere Tage oder Wochen von ihren Eltern zu isolieren. Es heißt dann, sie sollen sich erst mal auf ihr neues Leben einstellen. In Wirklichkeit hilft diese Praxis nur den Mitarbeitern der Jugendhilfe, indem sie es Pflegefamilien und Heimen leichter macht, da sie sich zunächst einmal nicht mit den leiblichen Eltern auseinandersetzen müssen. Oft fürchtet man, Kontakte zu den Eltern machten die Kinder rebellisch oder traurig und verhinderten die Akzeptanz der Fremdunterbringung. Diese Praxis ist ein Unding! Die Kinder sollen sich mit den Gründen der Fremdunterbringung auseinandersetzen. Sie sollen wissen, dass es ihre Eltern noch gibt, dass die Eltern sich für die Kinder interessieren, auch, dass sie darum kämpfen, die Kinder wieder zu sich zu holen. Pflegeeltern und Betreuer müssen das aushalten.*
● Lore Peschel-Gutzeit — Familienrechtsanwältin, frühere Justizsenatorin:
*Im Paragraf 42 des Achten Sozialgesetzbuches ist klipp und klar festgehalten, dass dem Kind bei einer Inobhutnahme unverzüglich die Möglichkeit zu geben ist, einen Menschen seines Vertrauens zu benachrichtigen. Aber die Jugendamtsmit-arbeiter haben leider oft große Mühe, den gesetzlichen Vorgaben zu folgen.*
● Ursula Kodjoe — Psychologin, Mediatorin:
*Der Wille des Kindes sollte erhört werden – je älter die Kinder sind, umso mehr. Sie haben das Recht, sich zu äußern – oder sich auch nicht zu äußern.*
● Klaus-Uwe Kirchhoff — Sozialpädagoge, Verfahrensbeistand:
*Wer garantiert eigentlich, dass eine Heimunterbringung wirklich besser ist als das angeblich defizitäre Zuhause? Niemand.*
● Johannes Streif — Kinder- und Jugendpsychologe, Gerichtsgutachter:
*Im Selbstverständnis mancher Mitarbeiter der Jugendhilfe, sei es in Heimen oder im Jugendamt, ist die Ursache der Fremdunterbringung stets das Versagen der Eltern. Diese Sichtweise verleitet dazu, die eigene Funktion und Rolle pauschal gegen die Eltern abzugrenzen, als sei für das Kind alles besser als seine Eltern. Zum Wohl des Kindes ist es jedoch wichtig, tatsächlich anzuerkennen und zu würdigen, dass es leibliche Eltern hat.*
● Pajam Rokni-Yazdi — Familienrechtsanwalt:
*Eltern, die sich in Sorgerechtsverfahren befinden, werden sogar für die Ausübung einfachster Grundrechte bestraft. Wenn sie etwa in ihrer Verzweiflung ihren Fall in den Medien öffentlich machen, haben sie sofort mit Sanktionen durch das Gericht oder das Jugendamt zu rechnen.*
●●● Hans-Christian Prestien — ehemaliger Familienrichter:
*Wird nicht dem mit Kindern und Jugendlichen befassten Richter seine Unabhängigkeit gerade dadurch genommen, dass ihm die für ein verantwortliches Handeln und Beurteilen notwendige Ausbildung über Kindesentwicklung, medizinische Grundkenntnisse wie Konfliktverläufe und Möglichkeiten der Befriedung vorenthalten bleibt? Obwohl für seine Entscheidungen voll verantwortlich, befindet er sich dadurch in der Situation, mehr oder weniger blindlings die Bewertungen von Dritten wie Jugendamtsmitarbeitern, psychologischen und anderen Sachverständigen oder sogar Verfahrensbeiständen übernehmen zu müssen. Der Richter muss deren subjektiven Meinungen und Bewertungen folgen, ohne zumeist im Ansatz die Möglichkeit zu haben, die jeweiligen Beiträge auf ihre wissenschaftliche Belastbarkeit prüfen zu können.*
● Uwe Jopt — Professor für Psychologie, Gutachter:
*Bei manchen Jugendamtsmitarbeitern herrscht die Ansicht vor, dass es eine Mutter, die es einmal nicht hin- gekriegt hat, möglicherweise auch beim nächsten Mal nicht hinkriegt. Die Bereitschaft, ihr das Kind nicht zurückzugeben, ist dann erheblich. Dabei fehlt jede Empathie, jedes Grundgefühl, was Kinder ihren Eltern bedeuten.*
● Ursula Kodjoe — Psychologin, Mediatorin:
*Wir wissen, wie verheerend sich Beziehungsabbrüche zwischen Eltern und Kindern auswirken können. Ein geschwächtes Selbstwertgefühl – »Ich bin es nicht wert, dass sich mein Vater oder meine Mutter um mich kümmert« – führt zu fundamentalem Verlust von Selbstvertrauen, Vertrauen in menschliche Beziehungen und deren Dauerhaftigkeit. Eigene anklammernde oder unverbindliche, häufig wechselnde Beziehungen sind oft die Folge.*
Bei Eltern führt der Verlust der Beziehung zum eigenen Kind nahezu immer zu einem Bruch in der eigenen Biografie. Väter wie Mütter leiden. Oft ein Leben lang. Ein Vater schilderte mir das einmal so: »Seit ich begriffen habe, dass ich meinen Sohn durch die Manipulation der Mutter und durch die Mitwirkung von Familiengericht und Jugendamt nie mehr sehen werde, hat sich über mein ganzes Leben eine dicke, graue, staubige Decke gelegt.«*
●●● Hans-Christian Prestien — ehemaliger Familienrichter:
*Ich habe große Probleme mit dem Begriff »Kindeswohl«, der ja im Zentrum des Kindschaftsrechts steht. Der Begriff eröffnet in einem Verfahren über die Rechte des Kindes ein Lottospiel. Die konkrete Ausfüllung des Begriffs durch Sozialarbeiter, Richter oder Sachverständige ist für große wie kleine Bürger schlicht nicht voraussehbar. Wer »Kindeswohl« verwendet, wird immer seinen eigenen Wertmaßstab, seine subjektiven Vorstellungen zugrunde legen. Die Gefahr ist groß, dass es dem Kind und seiner Familie nach solchen Entscheidungen schlechter geht als vorher. Damit verschwindet aus dem Blick, mit welcher konkreten Unterstützung die für das Kind Verantwortlichen ihre Aufgabe künftig meistern können.*
● Thomas Saschenbrecker — Familienrechtsanwalt:
*Das System gibt vor, sich um das Wohl der Kinder zu kümmern, und treibt deren Eltern oft in den Wahnsinn. So als ob es nicht im ureigensten Interesse der Kinder wäre, dass es auch ihren Eltern gut geht. Die Zahl der Inobhutnahmen steigt und steigt. Aber die Politik scheint es nicht groß zu interessieren.*
● Lore Peschel-Gutzeit — Familienrechtsanwältin, frühere Justizsenatorin:
*Es macht den Eindruck, als dränge der Staat zusehends in die Familien. Wegen der Zwangserziehung von Kindern während des Nationalsozialismus besteht in Deutschland verfassungsrechtlicher Konsens, dass wir eben keinen staatlichen Erzieher wollen, auch keine Jugendhilfe als graue Eminenz. Ein Kind hat das Recht auf seine Eltern – aber eben nicht auf die besten Eltern. Eltern sind immer auch Schicksal.*
● Uwe Jopt — Professor für Psychologie, Gutachter:
*Für mich stellt sich die Frage: Wer schützt das Kind vor seinen Beschützern? Außer einer Dienstaufsichtsbeschwerde gibt es keine Form der Kontrolle des Jugendamts. Die Jugendämter sagen immer: Wir werden doch von den Gerichten kontrolliert. Aber wie soll das Gericht seinen wichtigsten Gehilfen kontrollieren?*
geschrieben von :
KATRIN LANGHANS UND RAINER STADLER
...haben in den vergangenen Monaten deutschlandweit mit Eltern, Kindern und Experten gesprochen. Die Autoren beschäftigten nicht nur die beschriebenen Geschichten - sondern auch die Frage, wie viele solcher Fälle es wohl noch gibt, die nie öffentlich werden.
Es sind dort 6 Fall-Beispiele ...darunter auch eine Pflegemutter
AUS *HEFT 50/2015* FAMILIE
hier nochmal der Link:
Versagen im Jugendamt - der große Report - Familie
...und für alle, die keine Links anklicken möchten, kopiere ich diese -wie ich finde, SEHR interessanten- Zitate als Auszüge raus :
● Thomas Mörsberger — Vorsitzender des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht:
*Ich werde zunehmend konfrontiert mit Fällen, bei denen in haarsträubender Weise Familien belastet werden durch völlig unberechtigte Interventionen, etwa in Form einer Fremdplatzierung per Inobhutnahme. Und ich spreche nur von Fällen, bei denen das Jugendamt dies auch – natürlich nicht öffentlich – zugegeben hat. Den Optimismus, dass durch massives Eingreifen per se das Gute passiere, kann ich nicht teilen.*
● Lore Peschel-Gutzeit — Familienrechtsanwältin, ehemalige Justizsenatorin in Hamburg und Berlin:
*Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt festgestellt, dass sowohl Familiengerichte als auch Jugendämter Kinder oft zu schnell und ohne notwendige Ermittlung von Alternativen in Obhut nehmen beziehungsweise von den Eltern trennen. Und dass sie sich auch bei der Rückgabe von fremd-untergebrachten Kindern an die Eltern zögerlich und damit pflicht- und verfassungswidrig verhalten.*
● Johannes Streif — Kinder- und Jugendpsychologe, Gerichtsgutachter:
*Viele Eltern erleben das Jugendamt als Kontrolle und nicht als Hilfe. Das hängt viel mit dem Verhalten der Jugendamtsmitarbeiter zusammen und ist bedauerlich: Die meisten Eltern sind in Situationen, in denen sie ihre Kinder vernachlässigen oder misshandeln, einfach überfordert. Erleben diese Eltern das Jugendamt nur als Kontrolle und Machtfaktor, werden sie sich in der Not nicht mehr an dessen Mitarbeiter wenden. So wird wirkungsvolle Hilfe verhindert, die viel Leid und Misshandlung in den Familien vermeiden könnte.*
● Hans-Christian Prestien — ehemaliger Familienrichter:
*Das Jugendamt sieht sich einer Gemengelage von Aufgaben gegenüber, die für die Mitarbeiter kaum unter einen Hut zu bringen ist. Die Behörde soll einerseits Eltern beraten und ihnen helfen. Andererseits soll sie gegebenfalls Kind und Eltern durch eine Inobhutnahme ohne vorherige richterliche Überprüfung oder Anordnung voneinander trennen. Dafür reicht, dass die Mitarbeiter in quasi richterlicher Funktion eine Situation als »Gefahr« für das Kind einschätzen. Eine richterliche Kontrolle findet auch im Nachhinein dann nicht statt, wenn die betroffenen Eltern gegen dieses Verfahren keinen Einspruch erheben – was sie oft nicht tun, weil sie ohnehin keine Chance sehen.*
● Klaus-Uwe Kirchhoff — Sozialpädagoge, Verfahrensbeistand:
*In manchen Städten, zum Beispiel in Hamburg und Bremen, hat ein Jugendamtsmitarbeiter hundert Fälle gleichzeitig zu bearbeiten. Dieser Notstand führt dazu, dass viele Jugendamtsmitarbeiter nicht mehr ihr Büro verlassen und in ihren Berichten Defizite von Leuten – also meistens Eltern – beschreiben, die sie noch nie gesehen haben.*
● Uwe Jopt — Professor für Psychologie, Gutachter:
*Tragödien wie der Fall Kevin in Bremen oder der Fall Chantal in Hamburg, die massive Kritik an den Behörden nach sich zogen, haben natürlich dazu beigetragen, dass die Jugendämter heute lieber zu früh eingreifen als zu spät. Das Problem ist allerdings, dass viele Ämter äußerst zurückhaltend sind, eine Herausnahme von Kindern wieder rückgängig zu machen. Obwohl die höchsten Gerichte herausgestellt haben, dass die Rückführung der Kinder in ihre Familien das oberste Ziel amtlichen Handelns sein sollte.
● Reinhard Wiesner — Rechtswissenschaftler, langjähriger Ministerialrat im Bundesfamilienministerium:
*Das Recht hat hohe Hürden errichtet, bevor der Staat in das Sorgerecht der Eltern eingreifen darf. Zum einen muss das Kindeswohl gefährdet sein. Das ist aber schon die erste Schwierigkeit: Was bedeutet Gefährdung des Kindeswohls? Das lässt sich ja nicht wie mit einem Fieberthermometer messen. Die Kindeswohlgefährdung allein reicht aber noch nicht. Gericht und Behörden müssen auch nachweisen, dass die Eltern aller Voraussicht nach nicht in der Lage sind, diese Gefährdung abzustellen. Die Gerichte und Behörden müssen also zusätzlich eine Prognose abgeben. Das birgt die Gefahr, dass Entscheidungen getroffen werden können, die sich im Nachhinein als falsch erweisen.*
●●● Klaus-Uwe Kirchhoff — Sozialpädagoge, Verfahrensbeistand:
*Oft habe ich in Sorgerechtsverfahren den Eindruck: Hier sitzt ein Dutzend Experten, deren einziges Ziel es ist, herauszuarbeiten, wie schlecht die jeweiligen Eltern für ihr Kind sind. Das gilt besonders, wenn die Inobhutnahme bereits erfolgt ist: Das Jugendamt wie auch das Gericht haben dann ja ein großes Interesse, wirklich etwas zu finden, was sie den Eltern vorwerfen können. Sonst hätten sie ein Kind zu Unrecht aus der Familie genommen und quasi eine Menschenrechtsverletzung begangen.*
● Johannes Streif — Kinder- und Jugendpsychologe, Gerichtsgutachter:
*Leider ist es gängige Praxis, Kinder nach einer Inobhutnahme für mehrere Tage oder Wochen von ihren Eltern zu isolieren. Es heißt dann, sie sollen sich erst mal auf ihr neues Leben einstellen. In Wirklichkeit hilft diese Praxis nur den Mitarbeitern der Jugendhilfe, indem sie es Pflegefamilien und Heimen leichter macht, da sie sich zunächst einmal nicht mit den leiblichen Eltern auseinandersetzen müssen. Oft fürchtet man, Kontakte zu den Eltern machten die Kinder rebellisch oder traurig und verhinderten die Akzeptanz der Fremdunterbringung. Diese Praxis ist ein Unding! Die Kinder sollen sich mit den Gründen der Fremdunterbringung auseinandersetzen. Sie sollen wissen, dass es ihre Eltern noch gibt, dass die Eltern sich für die Kinder interessieren, auch, dass sie darum kämpfen, die Kinder wieder zu sich zu holen. Pflegeeltern und Betreuer müssen das aushalten.*
● Lore Peschel-Gutzeit — Familienrechtsanwältin, frühere Justizsenatorin:
*Im Paragraf 42 des Achten Sozialgesetzbuches ist klipp und klar festgehalten, dass dem Kind bei einer Inobhutnahme unverzüglich die Möglichkeit zu geben ist, einen Menschen seines Vertrauens zu benachrichtigen. Aber die Jugendamtsmit-arbeiter haben leider oft große Mühe, den gesetzlichen Vorgaben zu folgen.*
● Ursula Kodjoe — Psychologin, Mediatorin:
*Der Wille des Kindes sollte erhört werden – je älter die Kinder sind, umso mehr. Sie haben das Recht, sich zu äußern – oder sich auch nicht zu äußern.*
● Klaus-Uwe Kirchhoff — Sozialpädagoge, Verfahrensbeistand:
*Wer garantiert eigentlich, dass eine Heimunterbringung wirklich besser ist als das angeblich defizitäre Zuhause? Niemand.*
● Johannes Streif — Kinder- und Jugendpsychologe, Gerichtsgutachter:
*Im Selbstverständnis mancher Mitarbeiter der Jugendhilfe, sei es in Heimen oder im Jugendamt, ist die Ursache der Fremdunterbringung stets das Versagen der Eltern. Diese Sichtweise verleitet dazu, die eigene Funktion und Rolle pauschal gegen die Eltern abzugrenzen, als sei für das Kind alles besser als seine Eltern. Zum Wohl des Kindes ist es jedoch wichtig, tatsächlich anzuerkennen und zu würdigen, dass es leibliche Eltern hat.*
● Pajam Rokni-Yazdi — Familienrechtsanwalt:
*Eltern, die sich in Sorgerechtsverfahren befinden, werden sogar für die Ausübung einfachster Grundrechte bestraft. Wenn sie etwa in ihrer Verzweiflung ihren Fall in den Medien öffentlich machen, haben sie sofort mit Sanktionen durch das Gericht oder das Jugendamt zu rechnen.*
●●● Hans-Christian Prestien — ehemaliger Familienrichter:
*Wird nicht dem mit Kindern und Jugendlichen befassten Richter seine Unabhängigkeit gerade dadurch genommen, dass ihm die für ein verantwortliches Handeln und Beurteilen notwendige Ausbildung über Kindesentwicklung, medizinische Grundkenntnisse wie Konfliktverläufe und Möglichkeiten der Befriedung vorenthalten bleibt? Obwohl für seine Entscheidungen voll verantwortlich, befindet er sich dadurch in der Situation, mehr oder weniger blindlings die Bewertungen von Dritten wie Jugendamtsmitarbeitern, psychologischen und anderen Sachverständigen oder sogar Verfahrensbeiständen übernehmen zu müssen. Der Richter muss deren subjektiven Meinungen und Bewertungen folgen, ohne zumeist im Ansatz die Möglichkeit zu haben, die jeweiligen Beiträge auf ihre wissenschaftliche Belastbarkeit prüfen zu können.*
● Uwe Jopt — Professor für Psychologie, Gutachter:
*Bei manchen Jugendamtsmitarbeitern herrscht die Ansicht vor, dass es eine Mutter, die es einmal nicht hin- gekriegt hat, möglicherweise auch beim nächsten Mal nicht hinkriegt. Die Bereitschaft, ihr das Kind nicht zurückzugeben, ist dann erheblich. Dabei fehlt jede Empathie, jedes Grundgefühl, was Kinder ihren Eltern bedeuten.*
● Ursula Kodjoe — Psychologin, Mediatorin:
*Wir wissen, wie verheerend sich Beziehungsabbrüche zwischen Eltern und Kindern auswirken können. Ein geschwächtes Selbstwertgefühl – »Ich bin es nicht wert, dass sich mein Vater oder meine Mutter um mich kümmert« – führt zu fundamentalem Verlust von Selbstvertrauen, Vertrauen in menschliche Beziehungen und deren Dauerhaftigkeit. Eigene anklammernde oder unverbindliche, häufig wechselnde Beziehungen sind oft die Folge.*
Bei Eltern führt der Verlust der Beziehung zum eigenen Kind nahezu immer zu einem Bruch in der eigenen Biografie. Väter wie Mütter leiden. Oft ein Leben lang. Ein Vater schilderte mir das einmal so: »Seit ich begriffen habe, dass ich meinen Sohn durch die Manipulation der Mutter und durch die Mitwirkung von Familiengericht und Jugendamt nie mehr sehen werde, hat sich über mein ganzes Leben eine dicke, graue, staubige Decke gelegt.«*
●●● Hans-Christian Prestien — ehemaliger Familienrichter:
*Ich habe große Probleme mit dem Begriff »Kindeswohl«, der ja im Zentrum des Kindschaftsrechts steht. Der Begriff eröffnet in einem Verfahren über die Rechte des Kindes ein Lottospiel. Die konkrete Ausfüllung des Begriffs durch Sozialarbeiter, Richter oder Sachverständige ist für große wie kleine Bürger schlicht nicht voraussehbar. Wer »Kindeswohl« verwendet, wird immer seinen eigenen Wertmaßstab, seine subjektiven Vorstellungen zugrunde legen. Die Gefahr ist groß, dass es dem Kind und seiner Familie nach solchen Entscheidungen schlechter geht als vorher. Damit verschwindet aus dem Blick, mit welcher konkreten Unterstützung die für das Kind Verantwortlichen ihre Aufgabe künftig meistern können.*
● Thomas Saschenbrecker — Familienrechtsanwalt:
*Das System gibt vor, sich um das Wohl der Kinder zu kümmern, und treibt deren Eltern oft in den Wahnsinn. So als ob es nicht im ureigensten Interesse der Kinder wäre, dass es auch ihren Eltern gut geht. Die Zahl der Inobhutnahmen steigt und steigt. Aber die Politik scheint es nicht groß zu interessieren.*
● Lore Peschel-Gutzeit — Familienrechtsanwältin, frühere Justizsenatorin:
*Es macht den Eindruck, als dränge der Staat zusehends in die Familien. Wegen der Zwangserziehung von Kindern während des Nationalsozialismus besteht in Deutschland verfassungsrechtlicher Konsens, dass wir eben keinen staatlichen Erzieher wollen, auch keine Jugendhilfe als graue Eminenz. Ein Kind hat das Recht auf seine Eltern – aber eben nicht auf die besten Eltern. Eltern sind immer auch Schicksal.*
● Uwe Jopt — Professor für Psychologie, Gutachter:
*Für mich stellt sich die Frage: Wer schützt das Kind vor seinen Beschützern? Außer einer Dienstaufsichtsbeschwerde gibt es keine Form der Kontrolle des Jugendamts. Die Jugendämter sagen immer: Wir werden doch von den Gerichten kontrolliert. Aber wie soll das Gericht seinen wichtigsten Gehilfen kontrollieren?*
geschrieben von :
KATRIN LANGHANS UND RAINER STADLER
...haben in den vergangenen Monaten deutschlandweit mit Eltern, Kindern und Experten gesprochen. Die Autoren beschäftigten nicht nur die beschriebenen Geschichten - sondern auch die Frage, wie viele solcher Fälle es wohl noch gibt, die nie öffentlich werden.
Es sind dort 6 Fall-Beispiele ...darunter auch eine Pflegemutter
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