Ein philosophisch anmutender Text. Ich hadere allerdings mit den Prämissen, die der Frage inhärent sind.
Ich wüsste gern, was für dich "Liebe" und was für dich "Mut" ist? Ich glaube, dass es Liebe ohne Mut gibt, allerdings glaube ich auch, dass es Liebe ohne Liebe gibt... bin gespannt.
Ein guter Hinweis. Da der Ausdruck Liebe für alles Mögliche verwendet wird, ganz unterschiedliche und auch widersprüchliche Bedeutungen möglich macht, ist es tatsächlich hilfreich, wenn wir über den Begriff nachdenken.
Liebe - wie ich den Ausdruck verstehe
In meinen Augen lässt sich Liebe umgangssprachlich als eine Einstellung verstehen, die sowohl konkrete als auch unkonkrete "Objekte" zum Ziel hat und hauptsächlich mit den eigenen Gefühlen zu tun hat. Wenn also jemand behauptet "ich liebe X" dann wird diese Behauptung als richtig akzeptiert.
Von diesem allgemeinen Verständnis rücke ich ab.
Wenn wir z.B. sagen: "Ich könnte vor Freude die ganze Welt umarmen, weil ich sie liebe" dann ist das für mich kein Ausdruck von Liebe, sondern Ausdruck eines Lebensgefühls.
Liebe ist in meinen Augen immer dann gegeben, wenn sie ein Lebewesen mit eigenem Entscheidungsvermögen zum Ziel Wohl wollender und nach Möglichkeit auch Wohl tuender Aktivitäten macht. Liebe tut einem lebendigen Wesen Gutes.
Liebe basiert auf Verstand. Liebe benötigt das Erkennen von Zusammenhängen. Wenn Menschen in einer direkten Beziehung zueinander stehen, diese Beziehung pflegen und den Zusammenhang pflegen und verstärken, dann erfüllt sie das mit Sinn. Die Mutter empfindet es als sinnvoll, das Baby zu ernähren und zu wickeln. Der Junge empfindet es als sinnvoll, der Freundin eine Blume zu schenken. Das Ehepaar plant den gemeinsamen Urlaub. Das macht Sinn.
Ist das Tun jedoch nicht aufeinander abgestimmt, wird also zusammenhanglos agiert, ist dies für mich sinnlos und nicht sinnvoll.
Liebe macht Sinn. Liebe basiert darauf, dass Zusammenhänge erkannt werden und nutzt die Erkenntnis, um Gutes zu wollen und weit möglichst auch zu tun.
Es gibt viele Grenzfälle bei denen wir überlegen müssen, ob es sich um Liebe handelt, wie Liebe hier aussieht.
Ist ein Mensch z.B. auf der Straße ohnmächtig geworden, hat er dadurch auch kein Entscheidungsvermögen. Der Helfer, der den Ohnmächtigen auf den Bürgersteig zieht, handelt im Sinne der Liebe. Dabei unterstellt er, dass der jetzt ohnmächtige Mensch dies gewollt hätte. Er leiht sozusagen dem Ohnmächtigen sein Entscheidungsvermögen und dann auch seine körperlichen Fähigkeiten.
Oben habe ich von Wohl wollend und Gutes tun geschrieben. Diese Ausdrücke will ich erklären:
Gut: Respekt, Harmonie, Frieden, Wahrheit, Freude, Klarheit, Glück, Loyalität, Standhaftigkeit, Vielseitigkeit, Fleiss, Freiheit, Entfaltung der Talente, Gesundheit und Leben sowie das Ausschließen der jeweiligen Gegensätze, die ich mit dem entgegengesetzten Ausdruck als böse bezeichne. (z.B. Hass, Hochmut, Gier, Verachtung, Disharmonie, Lüge, Verwirrung, Gewalt, Zerstörung, Krankheit, Faulheit, Feigheit, Illoyalität, Angst und Tod...)
Dabei schließt das Wohl Wollende aus, dass die Verfolgungen der einzelnen Ziele sich gegenseitig unnötig behindern.
Beispiel: Die Entfaltung der Talente ist gut, die Entfaltung der Talente zum Schaden von Menschen ist lieblos, weil das Wohl einseitig gesehen wird, wie wir das z.B. von Triebtätern her kennen. Wir kommen also oft in die Situation von Grenzfällen, in denen von vorneherein eben nicht immer klar ist, ob eine Handlung oder ein Unterlassen mit Liebe bezeichnet werden kann. Wir denken erst nach und stimmen unser Wollen und Handeln auf die spezielle Situation ab, stellen einen Zusammenhang her, der sinnvolles Handeln ermöglicht.
Mut
Du hast gefragt, was (für mich) Mut bedeutet. Hier meine Antwort:
Mut ist ein wertneutraler Begriff. Er besagt lediglich, dass Wollen und Tun, gegenläufige Impulse zu überwinden.
Um das besser nachzuvollziehen, verweise ich auf Erich Fromm, der dem Durchschnittsmenschen gute und böse Charakteranteile zuspricht. Der Durchschnittsmensch hat die größtmögliche Freiheit, sich für Gut oder Böse zu entscheiden. Dabei genügt es nicht, sich z.B. 1x im Leben zu entscheiden "Ich will ein guter Mensch sein", sondern immer und immer wieder diese Einstellung durch neue Entscheidungen zu manifestieren. Dabei hat er gute Impulse zu überwinden, wenn er Böses beabsichtigt und er hat böse Impulse zu überwinden, wenn er Gutes beabsichtigt.
Je öfter er sich in eine Richtung entscheidet, je leichter fällt es ihm, diese Richtung beizubehalten. Er braucht immer weniger Mut, diese Richtung beizubehalten, jedoch immer mehr Mut, die Richtung zu wechseln. Der gute braucht immer mehr Mut, böse zu handeln und der Böse braucht immer mehr Mut, gut zu handeln. Kommt er an seinen Punkt "of no return", hilft ihm auch kein Mut mehr. Er kann nicht mehr anders, selbst wenn er wollte.
Wir kennen das aus der Geschichte von Martin Luther, der vor dem Kaiser in Worms stand und aufgefordert wurde, den lebensbedrohenden Konflikt mit der kath. Kirche zu beenden, in dem er seine Anschuldigungen gegen die kath. Kirche zurücknimmt. Martin Luther soll geantwortet haben: "Das kann ich nicht machen. Ich kann nicht anders." Was man hier als mutig bezeichnen könnte, bezeichne ich als Ausdruck seiner Standhaftigkeit, was für mich eine sehr wichtige Tugend ist. Martin Luther war nicht mehr mutig, brauchte zumindest in dieser lebensbedrohlichen Situation auch keinen Mut. Er war an seinem Punkt "of no return" angelangt.
So sehe ich das.
LG; Nordrheiner