["Was denkst du, bist du für Tioni und was denkst du, bin ich für Tioni", fragte Schnubbel Emo.]
Etwa drei Monate waren vergangen und Schnubbel wusste angeblich von Emo. Aber wieviel wusste er? Tioni hatte ein wunderschönes Doppelbett, aber dort zu übernachten war nicht möglich. Das würde Schnubbel verletzen...
Schnubbel - das wusste Emo mittlerweile - war mehr für Tioni, als sie anfänglich zugegeben hatte. Schnubbel liebte Sie und Schnubbel hatte mehr mit dem Einzug verbunden, als mit einer Freundin eine WG zu gründen. Schnubbel bezahlte fast 2/3 drittel der Miete, Schnubbel hatte einen Großteil des Umzugs bezahlt, Schnubbel übernahm den größten Teil des Haushalts (Putzen, Waschen, Bügeln, Einkaufen), so dass Tioni den Rücken frei hatte für ihren Job bei der Bank und ihr Studium.
Tioni beteiligte sich daran, wie sie konnte, doch im Moment war sie kaum noch zuhause, sondern mehr bei Emo; Schnubbel bekam sie kaum noch zu Gesicht.
Alles schien seinen Lauf zu gehen, aber Emo empfand immer wieder einen kleinen Stich, wenn er Tioni von Schnubbel sprechen hört: Schnubbel sei ganz anders als er. Schnubbel interessiert sich nicht für Kultur, spricht kaum über seine Gefühle, sieht mehr fern als er liest und hat erst durch Tioni angefangen etwas gegen sein Übergewicht zu unternehmen. Keine Konkurrenz könnte man meinen.
Wären da nicht Schnubbels ganz besondere Qualitäten. Schnubbel war tatsächlich ein ganzes Stück anders als Emo. Schnubbel senkte den Kopf, wenn Tioni in seine Richtung stichelte, wenn sie sich über ihn lustig machte, lachte er mit. In Diskussionen war er ihr hoffnungslos unterlegen. Tioni war schlagfertig, intelligent und wortgewandt. Schnubbel ordnete sich gerne unter; eigentlich hatte er nur Chancen, wenn er ein gutes Druckmittel hatte... und welches Druckmittel ist besser als Abhängigkeit? Welche Position ist schöner, als die als Opfer einer aggressiven Freundin? Bei Kritik den Kopf senken, ein betroffener Hundeblick und das Mitleid der Anwesenden auf sich ziehen, das konnte Schnubbel. Emo konnte sich an Situationen erinnern, da ermahnten sogar Tionis Mutter und ihr Bruder sie, bezüglich ihres Verhaltens gegenüber Schnubbel.
Nein, Schnubbel musste sie nicht in ihre Schranken weisen, Schnubbel musste sich nicht mit ihr vor anderen auseinandersetzen (eine Auseinandersetzung, die er sicher verloren hätte). Schnubbel schien seine Opferrolle zu genießen. Es schien ihm nichts auszumachen, dass er Tioni damit ins Messer laufen ließ oder es mochte seine einzige Möglichkeit sein, eine solche Behandlung auszuhalten.
Fragte Emo Tioni danach, warum er das machte, so antwortete sie ihm: "Weil er mich liebt, weil ihm am wichtigesten ist, dass es mir gut geht, egal mit wem ich zusammen bin". Aber was hat es mit Liebe zu tun, wenn man permanent zurücksteckt? Wenn man dem anderen keine Grenzen setzt und stattdessen in Kauf nimmt, dass seine Partnerin als egoistisch und herabwertend gegenüber ihrem Partner da steht?
Zugegeben, Tioni besaß eine hohe emotionale Intelligenz, sie war sehr höflich; Spitzen in Richtung Schnubbel waren meistens so geschickt angelegt, dass es oft eher ein Schmunzeln bei den Anwesenden hervorrief, als dass ihnen eine Aggression dahinter bewusst wurde. Aber gute Beobachter oder langjährigen Freunden blieb es kaum verborgen.
Plötzlich klingelte Emo's Telefon. Es war Tioni und sie weinte: "Darf ich zu dir kommen?"
Emo: "Natürlich, was ist denn passiert?"
Tioni: "Sag ich dir später, ich habe was getrunken, kannst du mich abholen?"
Emo setzte sich ins Auto und nahm Tioni mit nachhause. Was er dann zuhören bekam gefiel ihm garnicht: Schnubbel hatte sich in Tioni Email Account eingehackt und ihre intimen Email mitgelesen und das Ganze anscheinend schon seit einigen Wochen.
Zuerst dachte Emo: "Oh nein, wie unverschämt ist das denn? Hat er all unsere intimen Gespräche, über Liebe, Vertrauen, Sex, unsere Unternehmungen und Gedanken mitgelesen?"
Dann berichtete Tioni ihm, wie wütend er war, wie er sie deswegen angeschrieen hätte. Aber warum jemanden anbrüllen, der seinem Partner intime Emails schreibt? Und warum Vorwürfe machen, wenn man doch eigentlich die Rolle des besten Freundes inne hatte?
Emo war klar, dass sie etwas zu klären hatten. Am nächsten Tag sprach er Tioni an. Beide saßen auf seinem Bett und er fragte sie nochmal, was sie mit Schnubbel gehabt hatte, es war nicht einfach, er musste sehr böse werden, bevor sie überhaupt zu reden begann. Er kam sich vor wie bei einem Verhör, verdammt, er wollte das nicht, aber er musste Wissen, was hier los war, als fragte er weiter: "Warst du mit Schubbel zusammen?"
Tioni: "Ja, aber ich habe ihn nie geliebt. Wir wollten es versuchen, ich habe es alleine nicht mehr ausgehalten. Wir wollten einfach ein gemeinsames Leben aufbauen, uns gegenseitig helfen: Er unterstützt mich im Haushalt, wenn ich alleine bin und ich helfe ihm abnehmen, bei seinen Problemen. Ich bin der einzige Mensch, dem er sich bisher geöffnet hat!"
Emo: "Das ist ja wunderbar, du wirft mir vor, dass ich ein Auslandssemster nicht bei Beziehungsbeginn ankündige und stellst mir deinen Exfreund als besten Freund vor? Geht's noch??"
Tioni: "Ich wollte unsere Beziehung nicht gefährden und ich wollte nicht, dass du ihm wehtust."
Emo: "Was meinst du denn, was eine Beziehung mehr gefährdet: Ehrlichkeit oder Lügen?" Aber ehrlich gesagt wußte er nicht, ob er sich auf jemand eingelassen haben könnte, der gerade mit seinem Exfreund zusammen gezogen ist. Aber diese Lüge schmerzte, sie schmerzte, obwohl er wusste, dass Tioni die vergangenen Monate fast nur bei ihm war. Es brannte einfach in seinem Herzen.
Emo: "Du hast mit ihm eine Beziehung geführt, aber nicht mit ihm geschlafen?"
Tioni: "Nein, ich habe ihm das von Anfang an gesagt."
Emo: "Was war an dem abend der Party, als Stöhnen in eurer Wohnung zu hören war?"
Tioni: "Das waren die Leute unter uns, ich das niemals machen, wenn meine Mutter nebenan schläft. Außerdem schläft Schnubbel seit wir zusammen sind in dem anderen Zimmer!"
Das andere Zimmer war 11m² groß und lag direkt neben dem Treppenhaus. Im Vergleich dazu war Tionis Schlafzimmer ein Paradies: 28m², Balkon, Doppelbett. Auch in dieser Hinsicht steckte Schnubbel viel zurück und sein Verhalten war für Emo zu diesem Zeitpunkt schwer nachvollziehbar.
Jetzt hätte sie es beinahe geschafft ihn abzulenken. Wer wollte sich nicht besänftigen lassen von dem Gedanken, dass Schnubbel in einem anderen Zimmer schlief, dass sie an dem Abend keinen Sex hatten, er wollte die Wahrheit wissen!
Emo: "Was war an Silvester? Die Geschichte mit dem Kusskontest??"
Tioni: "Wir waren betrunken und ja, wir haben uns geküsst. Na und?!"
Emo: "Mir ist es völlig egal, wen du in deinem Leben schon alles geküsst hast, nur lüg mich diesbezüglich bitte nie mehr an!
Wielange wart ihr zusammen?"
Tioni: "Ich bin schon vorher bei ihm in seiner alten Wohnung eingezogen, als ich nicht mehr alleine seine konnte. Einige Zeit, irgendwan haben wir gesagt, wir versuchen es"
Emo zunehmend wütender: "Und während der ganzen Zeit habt ihr nicht mit einander geschlafen? Das kannst du mir nicht erzählen... oder hat der Mensch eine Krankheit?"
Tioni: "Nein, ich habe dich nicht angelogen, wir haben nie miteinander geschlafen, aber wir haben es einmal versucht, ging nicht!"
Emo: "Wie bitte? Was heißt versucht? War er drin oder nicht?"
Tioni: "Ja drin war er, ganz kurz, aber ich habe mich so geekelt, dass wir es sofort abgebrochen haben."
Emo: "Oh mann. Und wo war das?"
Tioni: "Silvester an der Ostsee, wir waren beide betrunken und es war grauenvoll. Und jetzt hör auf mich zu verhören. Du machst mich fertig wie vor einem Tribunal."
Emo: "Entschuldige bitte, dass das anscheinend der einzige Weg ist, hier Licht ins Dunkel zu bringen!"
Tioni: "Du spinnst doch!"
Dann sprang Tioni auf, lief zum Schrank und griff sich die Vodka Flasche. Emo wollte ihr hinterher, aber da hatte sie sich schon im Bad eingeschlossen.
Plötzlich war wieder alles umgedreht. Er, das Opfer, derjeniger der angelogen und verletzt wurde, war plötzlich der Täter. Er war der Richter, der Härte gegenüber seiner Partnerin walten ließ, der gefühllos weiterbohrte. Bemerkte sie seine Gefühle? Alles was er an diesem Tag noch zu hören bekam waren Vorwürfe, er sei kalt wie ein Eisberg.
Vermutlich war er das auch, auch er fühlte die Kälte der Enttäuschung. Er wusste, dass Tioni viel Angst hatte, Angst Menschen zu verlieren und Angst davor Kontrolle zu verlieren. Er merkte, wie er immer mehr begann, über ihr Verhalten nachzudenken, er ersann sich Erklärungen, warum sie so handeln musste, er dachte über ihre schwierige Vergangenheit nach. Und plötzlich rückten seine eigenen Gefühle in den Hintergrund, sämtliche Gedanken beschäftigten sich mit Tionis Verhalten. Er musste einfach eine Erklärung finden, warum sie so gehandelt hatte. Er musst die Widersprüchlichkeit ihres Verhaltens für sich zusammenfügen. Es war eigenartig, je länger er sich mit ihr beschäftigte, desto mehr vergaß er seine eigenen Gefühle.
Und in diesem Moment war er froh darüber, er wollte ihr verzeihen, er wollte mit ihr eine Beziehung führen und er wollte sich selbst damit auch die eigenen Wunden schließen. Und trotzdem wollte er Klarheit haben, am liebsten wäre es ihm, selbst ein Gespräch mit Schnubbel zu führen. Nur das wollte Tioni auf keinen Fall. Sie argumentierte damit, dass er Schnubbel verletzen würde, dass er kein Recht hätte, sich in ihre Freundschaft einzumischen.
Aber Emo liebte es, sich in fremde Freundschaften einzumischen. Er machte es manchmal völlig grundlos und führte dann Gespräche über Dritte. Nein! Was sollte das? Hätte er das Gefühl, dass es hier so etwas wie Offenheit gab, dann hätte er sicher besseres vor, als mit Schnubbel intellektuelle Gespräche zu führen!
Eines Tages war es soweit: Emo sollte Tioni zuhause abholen, eigentlich sollte sie wie üblich runter zum Auto kommen, aber Emo hatte ein dringendes Anliegen, das sich nicht weiter aufschieben ließ. So machte er sich Richtung Wohnung auf dem Weg. Er klingelte und Tioni öffnete ihm die Tür und in diesem Moment kam Schnubbel, mit einem gut gefüllten Wäschekorb die Treppe vom Speicher herab. Emo bemerkte, wie Tionis Gesicht noch bleicher als sonst wurde.
Und spontan schoss es aus ihm raus: "Hallo Schnubble, ich würde gerne etwas mit dir besprechen, hast du etwas dagegen, wenn wir kurz spazieren gehen?"
In diesem Moment bekam Tioni einen Schreianfall. Sie war unglaublich wütend, drohte damit die Beziehung zu beenden, weinte, brüllte und stampfte mit den Füßen auf.
Mit einer solchen Reaktion hatte Emo nicht gerechnet...
[...]