Meine Tochter hat mal zu mir gesagt: Ohne meine Freunde würde ich nicht mehr leben. Sie sind die die mich am Leben halten und mich verstehen.....
Solche Aussagen finde ich dann doch sehr bedenklich.
Deine Tochter erinnert mich gerade ein wenig an meinen ehemaligen Klassenkameraden, auch, wenn die Umstände der beiden total unterschiedlich sind.
Mein Klassenkamerad war 15 als sich seine Eltern (getrennt lebend) innerhalb von drei Wochen das Leben nahmen. Er war daraufhin jeweils eine Woche krankgeschrieben. Dann kam er wieder in die Schule, als wäre nichts gewesen. Er wirkte wie sonst auch. Nur etwas ruhiger und in sich gekehrt. Die Lehrer wurden aus seinem Verhalten nicht schlau.
Da ich einen recht guten Draht zu ihm hatte, bat man mich, ein Auge auf ihn zu werfen, und ich solle es melden, wenn mir was ungewöhnliches auffällt.
Im Grunde konnte ich mich anfangs ganz normal mit ihm unterhalten. Er hat mich nur darum gebeten, mich nicht über seine Eltern zu unterhalten und ich solle mir keine Sorgen machen, ihm ginge es gut. Ich bekam zumindest heraus, dass er seit den Tod seiner Eltern bei seiner Tante lebt und nicht in ein Heim gekommen ist.
Es hat jedoch nicht lange gedauert, dann fing er plötzlich selbst an von seinen Eltern und ihren Todesumständen zu erzählen. Seine Mutter hatte er ja selbst hängend auf dem Dachboden gefunden. Das hat er mir alles bis ins kleinste Detail erzählt und das, ohne dabei traurig zu wirken. Und immer wieder hat er betont, dass es ihm gut ginge.
Dann gab es eine Zeit, da wude er plötzlich melancholisch. Da sagte er dann so Dinge wie, wenn er die Schule nicht hätte, dann wüsste er wahrscheinlich nicht, ob er noch leben würde. Die Schule würde ihm Halt geben. Er hat sich auch schon Gedanken darüber gemacht, wie er sich umbringen würde, wenn er doch nicht mehr leben wolle. Er hat mir sogar bis ins Detail erzählt, wie er sich töten würde. Aber ich solle mir keine Sorgen machen, ihm geht es ja zurzeit gut.
Seine Worte verunsicherten mich. Die Alarmglocken schrillten aber nicht, weil er es eben immer wieder schaffte mich so zu beeinflussen, dass ich mir keine weiteren Sorgen um ihn machte. Davon abgesehen, wurde ich das erste Mal mit solchen Dingen konfrontiert, dass ich nicht so richtig wusste, damit umzugehen. Den Lehrern sagte ich auch nichts, weil ich ihm versprach, niemanden von unseren Gesprächen zu erzählen und ich wollte nicht sein Vertrauen verletzen.
Mit 16 gingen wir von der Schule ab und unsere Wege trennten sich. Nach acht Jahren fand ich ihn zufällig im Internet wieder. Ich dachte, ich schreib ihn mal an. Er hat sich gefreut, dass ich Kontakt zu ihm aufnahm. Wir kamen recht schnell auf früher zu sprechen. Um es kurz zu fassen: Kaum war er von der Schule runter, hatte er sich das erste Mal versucht das Leben zu nehmen! Die Schule, der Halt den er hatte, brach plötzlich weg und ich als Gesprächspartner auch. Sein Leben geriet völlig aus den Fugen. Es hat im Grunde nur eine Veränderung in seinem Leben gereicht, um ihn vollkommen zu destabilisieren.
Nun stellt dir vor, Marie71, das würde deiner Tochter passieren. Stell dir vor, ihr einziger Halt die Freunde, würde wegbrechen. Gerade in jungen Jahren ist das nicht so ungewöhnlich, dass man sich wegen verschiedener Lebenswege, spätestens nach der Schulzeit, aus den Augen verliert. In dem Fall wäre wohl tatsächlich besser, sie in therapeutische Obhut zu zwingen, damit es gar nicht erst soweit kommt, dass ihr Leben entgleitet.
Ich gehe mal davon aus, dass du das deiner Therapeutin bereits erzählt hast, dass deine Tochter am liebsten nicht mehr leben würde und ihre Freunde der einzige Halt im Leben sind, oder? Was hat deine Therapeutin dazu gesagt?