Wow, das ist echt interessant zu lesen. Alle paar Monate oder Jahre, wenns mir nicht gut geht, frag ich mich: was habe ich für eine Macke? Dabei lernt man halt, was es so für Verhaltensstörungen gibt (bzw. Ursachen dafür), vor allem wenn man sich mit etwas identifizieren kann. Ich bin fern davon mir irgendwelche Selbstdiagnosen zu verpassen, will ich auch gar nicht, ich "glaube" quasi nicht an das Psychiatriesystem. Trotzdem steckt in allem so ein bisschen Wahrheit drin und eine annäherungsweise Erklärung für sein eigenes Dasein will man sich schon entwickeln, oder?
Mir hat als Kind schon immer mein Vater gesagt "Du hast ein Kommunikationsproblem." Ich hab das allerdings nie verstanden. Gemerkt hab ichs dann erst so mit etwa 14, als ich halt bewusst irgendwelche emotionalen oder sozialen Beschwerden mit meiner Persönlichkeit in Verbindung gebracht habe. Ich war schon als Kind nicht ganz normal, hab halt öfter mal Stress gemacht bis ich eine "Sonderbehandlung" bekommen hab, weil ich irgendwie auf die Standardsituation nicht klarkam. Später war ich dann öfter mal in Ärger verwickelt, entweder weil ich Spaß dran hatte oder weil ich mich bedroht fühlte. Bin dann fast sitzengeblieben und unabhängig davon von der Schule geflogen und hab mich daraufhin quasi "gebessert". Noten gut, kein Ärger mehr bekommen, dafür musste ich mich zum ersten mal wirklich anpassen und das hat mir dann seelisch schon zugesetzt. Weil ich nicht mehr zu den Lautesten und Aggressivsten gehörte, haben die Leute halt angefangen mich unterzubuttern. Ich hatte immer so ein paar Leute mich denen ich mich gut verstand und die mir quasi auch sozialen Schutz boten, aber wirklich dazu gehört hab ich nirgendwo, war in jeder Gruppe halt so der Komische, der zwar akzeptiert wird, aber auch nicht zum harten Kern gehört. Das hat mir schon auch zugesetzt, weil man halt öfter mal eine abkriegt (verbal oder sozial eben), kurz gesagt: man findet einfach seinen Platz nicht. Und das hat sich auch bis heute nicht geändert. So mit Anfang 20 hatte ich deshalb auch ziemlich mit Depressionen und Schlafstörungen zu kämpfen.
Irgendwann hab ich dann die Idee entwickelt: die Leute dürfen mich einfach nicht richtig kennenlernen, dann gehts mir besser. Das ist aber leichter gedacht als getan, weil man halt automatisch nach engen menschlichen Beziehungen strebt, ist ja menschlich. Das funktioniert erst jetzt, so mit Ende 20 einigermaßen. Allerdings auch nicht überall: Auf der Arbeit bin ich ja auf Chef und Kollegen angewiesen, nach nem halben Jahr etwa merken die schon, dass man etwas seltsam ist, sozial unbeholfen sozusagen. Da kommt dann öfter mal die Situation vor, dass das schauspielerische soziale Repertoire nicht mehr ausreicht und man quasi spontan ausgeliefert ist. Außerdem entwickle ich schnell den Gedanken, dass mir jemand schaden will, wenn er sich ungewöhnlich mir gegenüber erhält. Da werde ich dann ganz bewusst kaltschnäuzig um nicht mehr von mir, Schwachstellen, preiszugeben. Darum hab ich auch ein sehr schlechtes Verhältnis zum Chef und hab mir den Plan B aufgebaut, nochmal zu studieren (technischer Studiengang). Dieses irrsinnige Doppelleben ist sehr anstrengend und wird mir irgendwann um die Ohren fliegen, aber ich muss aus der Situation raus, andererseits muss ein Studium auch finanziert werden. Aber irgendwie machts Spaß, da ich mich überall nur kurz aufhalte, viele Leute treffe und nur oberflächlich mit ihnen in Kontakt treten muss, auf sachlicher Ebene. Das klappt super, sie schätzen mich für meine Kompetenz, da ich mich wirklich reinhänge und alles sehr ernstnehme, aber sie lernen mich nicht richtig kennen. Und immer wenns brenzlig wird "Kommst du noch mit ein Bier trinken?" kann ich sagen "Ne, tut mir leid, ich muss noch arbeiten, wir sehen uns morgen!". Das fühlt sich sogar fast an wie "echte" soziale Kontakte, auch wenns eigentlich nur ein billliges Surrogat ist. Ja, manchmal kann ich auch mit ein Bier zu trinken, aber solange dass nicht öfter als ein paar mal im Jahr vorkommt, lernen die mich auch nicht wirklich kennen und alles ist in Ordnung. Ich hoffe, dass ich damit durchkomm und irgendwann eine Stelle findet, die mich intellektuell fordert und emotional in Ruhe lässt.
Ihr kennt das bestimmt auch, ihr stellt etwa in einer Vorlesung eine Frage, der Dozent schaut einen nur komisch an und frägt "nochmal bitte, ich habs jetzt nicht verstanden". Rede ich jetzt zu leise? Oder die falsche Sprache? Man wiederholt dasselbe nochmal etwas lauter und deutlicher, keine Reaktion. Manchmal schafft man es mit einer Umformulierung, aber das geht meistens nicht schnell genug. Minuten später erkennt man manchmal, dass man Begriffe falsch verwendet hat oder gar neue Begriffe erfunden hat oder gar unsinnige Grammatik angewandt hat. Schreiben geht viel besser, man kann seinen Satz nochmal lesen und nochmal, bis er perfekt ist (ok, das mach ich hier jetzt nicht, weil es einfach zu viel Text ist).
Ich hatte auch lange Leute, die ich als "Freunde" bezeichnet hab. Ich hab mich nur immer missachtet gefühlt von denen, aber dachte eben ich brauch die, man braucht doch Freunde. Irgendwann wurde es mir zu bunt und ich hab die Kontakte auf ein Minimum eingeschränkt, seh die vielleicht alle paar Monate mal. Dann kann man sich ein paar Stunden oberflächlich unterhalten und muss sich keine Gedanken über die "Freundschaft" machen, es ist halt einfach soziale Interaktion, man weiss man ist nicht ganz allein.
So eine allgemeine Abneigung gegen Menschen hab ich aber auch, ich denk mir dann immer "Du bist mir zwar sympathisch, aber ich glaub, wenn wir uns besser kennen würden, könnte ich dich wohl auch nicht mehr leiden". Das will ich dann nicht kaputt machen und zieh halt irgendwo eine scharfe Grenze. Ich weiss auch nicht warum das funktioniert, aber offenbar gibt man den Leute auch nichts wo sie ansetzen könnten um eine engere Bindung zu etablieren.
Ich hab sogar irgendwann eine Freundin gefunden, mit der ich mich ziemlich gut verstehe. Irgendwann hab ich einfach so ein paar Tricks rausgefunden, um mit Frauen in Kontakt zu treten. Das war dann wirklich wie ein mechanische Aktio-Reaktio-Spiel, wie Schach. Man macht eine Geste und wartet was zurück kommt, am besten auf Distanz, dann hat man Zeit sich die nächste Aktion zu überlegen. Wenn man das eine Weile geschickt macht, verknallt man sich und dann wird alles einfacher. Allerdings hält das auch nur eine Weile an und danach ist der "Turbo" weg, dann wird man wieder ein Sonderling und entfremdet sich. Das hat auch ein paar wirklich wehgetan. Aber war eine gute Übung um irgendwann die richtige zu finden. Die bezeichnet mich selbst als "Sonderling zweiten Grades" und die hat mich schon in recht vielen realistischen Situationen erlebt. Ich hab sie auch mal angeschrien, weil ich irgendwie den Wahn hatte, sie will mich verärgern. Das hab ich ausnahmesweise mal selbst realisiert, mich entschuldigt und mit ihr den ganzen Tag drüber geredet. Es ist nicht immer einfach, manchmal muss ich allein sein und meine Ruhe haben, ein Bier trinken... aber insgesamt kann ich mit ihr wirklich sehr viel Zeit verbringen, mich dabei sogar noch entspannen und eigentlich wirklich eine relative enge menschliche Bindung eingehen mit viel Interaktion, Lachen, Necken, Lieb zueinander sein, alles was dazugehört.
Trotdem hab ich bei fast allem oft das Gefühl "Irgendwann fliegt mir alles um die Ohren", eine ewige Maskerade. In der Jugend hat mal einer zu mir gesagt "Du bist der einzige, den ich kenne, der keine Maske trägt." Ich weiss nicht ob ich das heute tu, oder ob ich einfach einen gewissen Teil meiner Persönlichkeit nicht nach außen lasse.
Nach allem in der Vergangenheit hab ich heute trotzdem sowas wie eine Perspektive. Wie oft hatte ich schon daran gedacht mir einfach das Leben zu nehmen, einfach aus dem Grund "Warum eigentlich nicht? Schlechter kanns nicht werden.", mir konkrete Pläne ausgedacht, wie ich mir am besten ohne große Schmerzen das Leben nehmen kann? Einen zynischen Abschiedsbrief zu schrieben wie "because Fu** you, that's why". Allerdings muss mich sich irgendwann entscheiden, sonst wirds zur Qual. Ich hab mich dagegen entschieden. Auch hab ich versucht mit Medikamenten (Opi.) dagegen anzukämpfen, was zeitweise auch sehr gut funktioniert, allerdings kommt auch da irgendwann der Punkt wo man sich entscheiden muss, ob man Lahm im Kopf sein und mit den Folgen der Sucht kämpfen will. Ich kann auch nicht genau sagen, wie ichs da raus geschafft hab, was mir heute allerdings wichtig ist, ist ständig in Bewegung zu bleiben, es laufen zu lassen, nie stehen zu bleiben, mehrere Dinge gleichzeitig verfolgen. Ich bin jeden Tag mindestens 12 Stunden unterwegs. Lücken kann man mit Sport auffüllen oder gesunder Ernährung (ja, ist ne Wisschenschaft für sich und benötigt viel Zeit). Die ständige bringt mir irgendwie die nötige Zuversicht, Entschlossenheit und Energie, auch wenn man abends um 8 mal direkt mit Klamotten ins Bett fällt und bis morgens um 7 durchschläft. Jetzt Anfang Dezember den ersten Anflug von Winterdepression zu kriegen, ist quasi ein sehr gutes Ergebnis, so spät im Jahr erst. Ich werde jetzt versuchen blos nicht in Stillstand zu fallen, aber ich hab genug zu tun, dass ichs mir eigentlich eh nicht leisten kann. Wenn ich allerdings versage würde mir das glaub seelisch sehr schaden.
Ich seh mich so ein bisschen als extremer Spätzündern. Manche fühlen sich an der Schule nicht wohl und finden an der Uni plötzlich Freunde, manche nicht. Ich geh auf die 30 zu und gewinne so langsam an Selbstbewusstsein, zieh mein Ding durch und kümmere mich nicht darum was andere denken. Also falls hier Leute mit Mitte 20 oder noch älter mitlesen, lasst den Kopf nicht hängen, ist schwer zu glauben dass noch was passiert, aber andererseits: habt ihr ne andere Möglichkeit? Aufgeben bringt nichts. Ich sag mir immer ironisch wenn ich irgendeine Entscheidung rechtfertigen will "YOLO Alda", aber so blöd ist diese dumme kleine Phrase gar nicht.
Ein Gast