Hallo Lea!
Ich glaube auf keinen Fall, dass man nur lernen kann, damit zu leben. Ich sehe es an Dingen, die ich hinter mir gelassen habe. Warum also nicht auch den Rest? Aber mit "lebenslang" hast du Recht. Ich setze mich mit allem seit 17 Jahren intensiv auseinander. Und werde es auch weiterhin tun. Aber vielleicht gehen wir von unterschiedlichen Vorstellungen aus. Wenn du meinst, irgendwann sei man sozusagen das Idealbild eines Menschen und würde keine Probleme mehr haben, dann ist das nicht das Ziel, das ich habe. Aber ich möchte mich von den Prägungen befreien, die mich in meinem authentischen Selbstausdruck einschränken, die mir die Sicht verstellen und die mich in Verhaltensmuster zwingen, die nicht Selbstausdruck sind, sondern nur Konditionierung. Und das konnte ich schon in einigem. Wenn ich daran denke, wo ich angefangen habe und wie ich heute bin, liegen wirklich Welten dazwischen. Und die Einflüsse bei mir waren hart, intensiv und haben sehr lange gedauert. Ich bin zum Beispiel mit sehr viel Gewalt aufgewachsen, habe aber mein Kind kein einziges Mal geschlagen, weil ich Wege entwickelte, ihm anders die Grenzen zu setzen, die notwendig waren. Eine der schwierigsten Sache auf diesem Weg war es, zu unterscheiden, was wirklich zu mir und meinem ureigenen Wesen gehörte - und was nur Reaktion auf Altes. Da lerne ich immer noch sehr viel dazu.
Die Unsensiblen habe ich noch nie beneidet. Ich war lange Zeit voller Abwehr und man hätte mich auch für unsensibel halten können. Doch das war ich nie, ganz im Gegenteil. Ich finde, jeder Mensch sollte sein wie er ist. Ob hochsensibel oder weniger sensibel ist überhaupt nicht ausschlaggebend. Schlimm wird's nur, wenn sich fühlende Menschen in Mustern bewegen, die ihre Gefühle abtöten. Und davon gibt's viele. Aber sie wissen das nicht. Doch glücklich sind sie dabei mit Sicherheit nicht. Ich glaube sogar, dass es gar keine seelisch gesunden Menschen gibt, die sehr unsensibel sind. Die wirklich Unsensiblen haben nur einen Weg gefunden, sich ihren Verhärtungen nicht stellen zu müssen und verlassen diesen Weg nie. Das beziehe ich jetzt nicht auf das Auftreten. Wenn jemand immer sanft und lieb ist, heißt das noch lange nicht, dass er nicht darauf dressiert wurde und dahinter oft genug ein harter Kern steckt. Umgekehrt ist es aber auch so, dass wenn jemand burschikoser und polternder auftritt, nicht eine ganz feinfühlige Seele haben kann. Das alles sind nur Äußerlichkeiten, sozusagen die Verpackung, aber nicht unbedingt der Inhalt. Man kann "Sensibilität" auch leicht mit Überempfindlichkeit verwechseln - die Gründe haben kann, die nichts damit zu tun haben, etwa übermäßige Verwöhnung, Unselbständigkeit u.dgl. Ein sensibler Mensch ist für mich aber einer, der sich in andere Menschen einfühlen kann und in dem das Leid anderer echtes Mitgefühl hervorruft. Wieviele sind nicht weit davon entfernt? Sie denken nur an sich und auch wenn es oft so aussieht, als wären sie nur übermäßig gut und menschlich, kann der Grund dafür sein, dass sie Angst haben, zu sich selbst zu stehen. Ich hab schon erlebt, dass man, wenn man an so einer Fassade kratzt, oft ganz was anderes dabei sichtbar wird. Die Gier nach Selbstbestätigung und die Angst vor Ablehnung.
Viele sehen das gar nicht, sie halten sich an den Schein. Aber so war ich nie, nicht mal als Kind. Schon da konnte ich echt von unecht unterscheiden - und das hat mir viele Schwierigkeiten eingebracht. Denn wer will das schon hören? Ich wurde unterdrückt und bestraft dafür - aber ich hab das dennoch nie verloren. Nur mir lange Zeit schon nicht mehr selber geglaubt. Aber das löst sich immer mehr auf und ich bin sicher, es wird sich weiter auflösen. Ich werde mich niemals damit abfinden, mit meinen Schwierigkeiten leben zu lernen. Ich werde mich davon befreien und hab es auch schon zu einem großen Teil gemacht.
Aber das Leben ist nicht einfach. Sieh dich um und schau dir die Welt an! Sensible Menschen werden niemals ständig nur auf dem Glückstripp sein, das ist unmöglich bei all dem Leid ringsherum. Und auch man selber wird nie gänzlich davon verschont bleiben, denn zum Leben gehört eben alles, nicht nur das Schöne. Wirklich schlimm ist nur, wenn man seine Lebensenergie ewig dafür vergeudet, in der Pseudowelt zurecht zu kommen, die uns als Kinder eingeredet wurde. Und es gibt so viele, die das tun. Deshalb glaube ich auch, dass die, bei denen der Leidensdruck zu groß wird, um das noch durch zu ziehen, diejenigen sind, die die größten Chancen darauf haben, da einmal auszusteigen. Man kann wirklich alles von verschiedenen Seiten betrachten. Was aber nicht heißt, dass - wenn man selber gerade leidet - das nicht total schmerzhaft ist und man nicht verzweifelt oder nicht die Hilfe anderer braucht. Aber gerade die ärgsten Leidenszeiten können uns am meisten weiter bringen. So sehe ich das jedenfalls.
Liebe Grüße
Mona