Mein Chef und ich hatten heute ein Gespräch über die Sache mit den Stunden. Mit Corona hat sein Sinneswandel nichts zu tun, es sieht eher nach einem Missverständnis aus. In den letzten Wochen kamen die ersten Aufträge gegen 9 Uhr rein, zwischen 12 und 14 Uhr war ich mit der Arbeit fertig. Als er mir sagte, dass ich nur bleiben muss, solange es Arbeit gibt, dachte ich es reicht wenn ich so von ca. 9 bis 14 Uhr im Büro bin. Mein Chef ist aber davon ausgegangen, dass ich wie bisher morgens zwischen 6 und 7 anfange - für den Fall, dass schon um diese Uhrzeit Aufträge reinkommen und notfalls die Zeit bis 9 absitze. Ich hatte es so verstanden, dass er uns die sinnlose Rumsitzerei ersparen wollte.
Das Buch kann ich nicht einfach so auf dem Tisch liegen lassen. Ich habe es als eBook gekauft und lese es auf dem Smartphone.
Mir ist schon klar, dass manche karrieregeile Menschen sehr skrupellos vorgehen, wenn es um das Erreichen ihrer Ziele und ihren beruflichen Aufstieg geht. Habe solche Menschen auch schon im Berufsleben kennengelernt. Wenn ein junger Kerl im Business-Outfit ständig die Nähe des Chefs sucht, ihn zu allen Meetings und Dienstreisen begleitet, usw. bin ich automatisch vorsichtig.
In meiner jetzigen Abteilung gibt es aber niemanden, der Karriere machen will oder in der Vergangenheit gemacht hat. Meine Abteilung besteht ausnahmslos aus Frauen zwischen Anfang 50 und kurz vor der Pensionierung. Keine von ihnen hat Abitur, die meisten Kolleginnen waren auf der Hauptschule. Meine Teamleiterin und eine andere Kollegin haben nicht einmal eine Ausbildung abgeschlossen. Die wollen sicher keine Karriere machen, sonst würden sie nicht so oft durch Abwesenheit glänzen und ihre Arbeitszeit eher mit Arbeit füllen als mit langen Privatgesprächen. Ihre Jobs sind definitiv nicht gefährdet. Wie gesagt, stehen einige kurz vor der Pensionierung und andere haben das Glück, dass der Chef generell keine Mitarbeiter kündigt. Deshalb habe ich bei uns nicht mit dieser Ellbogenmentalität gerechnet. So ein Verhalten kannte ich bisher nur von Menschen, die ihren beruflichen Aufstieg beschleunigen wollten.
Heute hat schon wieder jemand jemanden verpetzt. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass die Leute das (fast) alle machen, weil sie es seit Jahren so gewohnt sind und gar nicht mehr anders können. Auf mich wirkt es so, als ob die das alle ganz normal finden, gleich zum Chef zu rennen, wenn sie sich über jemanden aufregen. Auch wenn mit Ausnahme der Leihkräfte niemand rausfliegen kann. Ich habe sowas früher nie gemacht, auch dann nicht, wenn jemand wirklich gemein zu mir war und eine Abreibung verdient hatte. Das hat mein schlechtes Gewissen nicht zugelassen. Seit ein paar Jahren ist das anders. Wenn sich jemand mir gegenüber so richtig daneben benimmt, kann ich durchaus auch mal den Vorgesetzten kontaktieren. Allerdings bin ich immer noch so fair und versuche, die Sache erst mit der besagten Person unter 4 Augen zu klären. Und nur wenn das nicht funktioniert, rede ich mit dem Chef. Ob ich damit auch noch zu nett bin?
Was mich wohl auch dazu verleitet hat, Persönliches von mir zu erzählen, ist die Tatsache, dass die Kolleginnen als Erste sehr viel Privates von sich berichtet haben. Deshalb wollte ich mich nicht zu distanziert geben und etwas "kollegialer" wirken. War ein Fehler. Mache ich ab sofort nicht mehr, egal wie die nächsten Kollegen so sind. Ich weiß aber nicht ob ich jemanden ausbooten könnte, wenn ich wüsste, dass er finanzielle Probleme hat. Andererseits bin ich mir bewusst, dass anderen meine persönliche Situation egal ist und sie keine Skrupel haben, mir einen Job wegzuschnappen. Das versuche ich mir immer wieder ins Gedächtnis zu rufen.
Meine Mutter war mal als Berufstätige mal in einer ganz speziellen Situation. Sie fand eine tolle Arbeitsstelle und hatte große Freude daran. Eine ihrer Kolleginnen wünschte sich seit Jahren nichts mehr, als die Stellvertreterin des Chefs zu werden. Nach ca. einem Jahr bot der Chef meiner Mutter an, seine Stellvertreterin zu werden. Sie lehnte sein Angebot dankend ab mit der Begründung, dass ihre Kollegin schon viel länger dort war als sie und seit Jahren auf ihre Beförderung wartete. Sie konnte das Angebot nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren und überließ ihrer Kollegin freiwillig den Posten, den sie sich schon so lange wünschte. Damals war ich ganz ihrer Meinung. Heute sehe ich das kritischer und denke, dass man ich-bezogene Leute im Berufsleben weiterkommen als ehrliche Menschen.