_vogelfrei
Sehr aktives Mitglied
Hallo EnemyMine,
ich bin ja eine dieser jungen Sozialarbeiter:innen und dass wir die Welt und das Hilfesystem aus völlig verschiedenen Perspektiven betrachten, ist uns beiden wohl schon aufgefallen. Ich selbst bin von eigenen psychischen Krisen betroffen, gehe damit offen um & engagiere mich in Entstigmatisierungsprojekten, also könnte ich wohlsagen: Hi, it's me, dein Feindbild.
Es ist ein Vorurteil, dass eigene Erfahrungen verunmöglichen halbwegs objektiv auf Fälle zu schauen. Im Gegenteil. Viele Menschen, die Therapie gemacht haben, kennen sich, eigene Trigger, Grenzen und Übertragungen auf andere Menschen sehr viel besser als andere.
Was eine "rationalere Herangehensweise" ist, bewertet wohl jeder anders. Menschen verwalten, anstatt mit ihnen in Beziehung zu gehen entspricht nicht meiner Vorstellung von einer guten professionellen Beziehung.
ich bin ja eine dieser jungen Sozialarbeiter:innen und dass wir die Welt und das Hilfesystem aus völlig verschiedenen Perspektiven betrachten, ist uns beiden wohl schon aufgefallen. Ich selbst bin von eigenen psychischen Krisen betroffen, gehe damit offen um & engagiere mich in Entstigmatisierungsprojekten, also könnte ich wohlsagen: Hi, it's me, dein Feindbild.
Kein Geheimnis, aber in vielen Bereichen immer noch ein Tabu. Meiner Ansicht nach verhindert gerade dieses Tabu einen reflektierten (!) und entspannten Umgang mit eigener Krisenerfahrung, die durchaus hilfreich sein kann, um Menschen zu verstehen und auf ihrem Weg zu begleiten. Das Sprechen über Erfahrung erleichtert (oft, nicht immer) den Zugang zu anderen Menschen, das ist eine Erfahrung die ich auch umgekehrt als Klientin machen konnte.Es ist kein Geheimnis, dass beispielsweise viele Psychologen und Studenten der Psychologie zumindest früher einmal selber mit psychischen Krankheiten zu kämpfen hatten.
Es ist ein Vorurteil, dass eigene Erfahrungen verunmöglichen halbwegs objektiv auf Fälle zu schauen. Im Gegenteil. Viele Menschen, die Therapie gemacht haben, kennen sich, eigene Trigger, Grenzen und Übertragungen auf andere Menschen sehr viel besser als andere.
Die meisten Sozialarbeiter:innen entstammen der Mittelschicht, was meiner Ansicht nach durchaus problematisch ist, weil sie dadurch eben oft NICHT sehr nah an den Erfahrungen dran sind, die Klient:innen machen.Viele Sozialarbeiter entstammen selber einem eher sozial schwachen Milieu und nicht selten liegen verzerrte, selektive Wahrnehmungen vor, die dann auf die Klientel übertragen werden.
Die Tendenz geht zu immer mehr Struktur, immer mehr Dokumentation & Verwaltung und immer weniger direktem Kontakt mit dem Menschen.Ich plädiere seit Jahren für eine rationalere Herangehensweise an die Thematiken soziale Hilfe und psychische Gesundheit. Es fehlen gehäuft geordnete Strukturen und klare Zielsetzungen. Das ist nicht verwunderlich, da ein Großteil der Verantwortlichen derartige Tools rigoros ablehnt.
Was eine "rationalere Herangehensweise" ist, bewertet wohl jeder anders. Menschen verwalten, anstatt mit ihnen in Beziehung zu gehen entspricht nicht meiner Vorstellung von einer guten professionellen Beziehung.
Nun, es ist nicht mein oberstes Ziel Menschen in Arbeit zu bekommen, sondern Menschen zu helfen, ihr Leben bewusst und selbstbestimmt in die Hände zu nehmen. Das kann mit dem Ziel der Arbeit einhergehen, muss es aber nicht immer. Wo ich dir auf jeden Fall recht gebe ist, dass es nicht Sinn und Zweck sein kann, dass Menschen über Jahrzehnte im Hilfesystem verweilen. Einer meiner wichtigsten Schwerpunkt auf Arbeit ist deshalb, die Abhängigkeit zum psychiatrischen Hilfesystem zu verringern.Die Klientel, welche nur mit äußersten Samthandschuhen angefasst wird, bleibt der "Sozialindustrie" ja auch sehr lange erhalten. Es können sich ganze Sozialdynastien entwickeln, die bereits Generationen zuvor "Kunde" waren und ihren Lebensstil, der durch Abhängigkeit und erlernte Hilflosigkeit geprägt ist, beliebig fortpflanzen. (...) Ich wäre für ein strengeres Kontrollnetz zum einen für die Emfpänger und Nutzniesser des sozialen Systems in der BRD um Mißbrauch und auch Dauerabhängigkeit zu unterbinden.
Nun, das ist erstmal eine leere Aussage. Wie begründest du diese?Doch der "Erfolg" unseres Sozialsystems mit angeschlossenen Helferberufen spricht leider für sich. Die Bilanz ist verheerend.
Hui, na da bin ich aber froh, dass du wenig zu sagen hast. In so einem System würde ich nicht Klient sein wollen.Außerdem plädiere ich für strengere Einstellungskriterien in sozialen Berufen, speziell nah am Menschen. Private Träger solcher Berufe sollten staatlich strenger reglementiert werden. Es sollten nur gesunde, kompetente Menschen mit Sozialfällen arbeiten dürfen.
Es ist dir sicher bewusst, dass genau das in der Praxis passiert.Ich finde es bräuchte für jeden Klienten bzw. Patienten nach klarer, kompetenter Diagnose einen zeitlich gebundenden Entwicklungsplan. Erfolge in Abhängigkeit von Zeit und aufgewandten Resourcen, bemessen an standadisierten Meilensteinen.
Tatsächlich fände ich hier mal ganz spannend die tatsächlichen Studieninhalte zu vergleichen und nicht nur Phrasen zu dreschen. Deine Aussage deckt sich nämlich so gar nicht mit dem, was ich sonst über viele Jahre von älteren Kolleg:innen, Profs, etc. gehört habe. Die beklagen nämlich durchaus auch, dass sich die Inhalte ändern, allerdings genau in gegengesetzter Richtung wie von dir behauptet. Nach deren Aussage war das Studium früher wesentlich (links)politischer, solidarischer, entspannter, weniger leistungsfokussiert. Heute stünden Leistung und Effizienz deutlich mehr im Vordergrund und die SozArb entwickele sich immer mehr hin zu einer Verwaltungsindustrie. Nun, ich weiß es nicht. Ich habe vor 8 Jahren mein Studium begonnen, vor zwei Jahren den Master abgeschlossen. Ich habe keinen direkten Vergleich zum studieren in den 90ern.Meinen Abschluss, damals noch Diplom, als Sozialarbeiter machte ich Ende der 90er.
Und ich habe den Eindruck, dass die Inhalte des Studiums damals noch deutlich andere waren, als das, was meine jüngeren Kollegen lernen. (...) Neben diesem politischen Aspekt, hat sich das Studium der Sozialarbeit stark vereinfacht über die Jahre. Gut, das haben fast alle Studiengänge, könnte man sagen, aber bei der sozialen Arbeit war es extrem. Dies schlägt sich in einer Vielfalt von eigentlich nicht geeigneten Absolventen und jungen Sozialarbeitern wieder. Eben solchen Menschen, die eigentlich selber Unterstützung benötigen würden, anstelle diese zu geben. Kompetenz im Sinne von Logik und Systematik spielt eine immer geringere Rolle. Stattdessen gehäuft weltfremder Idealismus, Beschützerinstikt für die eigene Klientel und mangelnde Distanz.
Falsch. Es wird im Studium und auch in der Praxis sehr viel hinterfragt. Nur kommen viele eben zu anderen Schlüssen als du. Und genau solche Weltbilder, wie du sie propagierst werden eben nicht einfach unreflektiert weiter gegeben.Generell gilt das Hinterfragen der Situation eines Menschen und zielgerichtete Hilfe als nicht mehr en vogue.
Nein, es ist nicht meine (einzige) Aufgabe, Klient:innen an das System anzupassen. Es ist ein Auftrag unter anderen Aufträgen. Und ich vermute, das ist dir bewusst.Junge Kollegen "schützen" ihre Klinentel vor einem System, welches sie selber zunehmend verachten, statt zu erkennen, das es eigentlich ihre Aufgabe wäre, ihre Klienten wieder an das System anzunähern.
Nun, ich verstehe mich sehr gut mit meiner Chefin (Ende 50) und mit vielen Kolleg:innen in deinem Alter. Eine Haltung wie deine begegnet mir zum Glück selten. Im Gegenteil.Die älteren Kollegen, darunter auch meine Chefs, sehen dies durchaus ähnlich.