Hallo 22.xyz,
hier im Forum darf man keine Diagnosen stellen, und das ist auch richtig so. Ich glaube, ich habe aber eine Ahnung, was so ungefähr in deiner Familie und bei dir läuft ... Kenne ich so ähnlich aus meiner eigenen Familie.
Ich glaube, du bist - auch wenn es hart klingt - von deinen Eltern nicht geliebt worden. Es hört sich so an, als wären nur deine Leistungen etwas wert; wie es dir geht, hat anscheinend weder deinen Vater noch deine Mutter interessiert. Sowas ist definitiv keine Liebe.
Du hast also von deinen Eltern nicht erfahren, dass du mit allem, was dich ausmacht, liebenswert und okay bist. Daher deine Selbstzweifel und deine Ängste. Andere Leute in deinem Alter haben sozusagen 22 Jahre lang Liebe bekommen, der Krug ist bei ihnen ziemlich voll - bei dir ist kaum etwas da. Im Gegenteil: Vermutlich gibt es bei dir ganz oft Gedanken wie: Ich reiche nicht. Das ist alles nicht genug. Die anderen sind besser, fröhlicher, intelligenter, sozialkompetenter ...
Durch diese Unsicherheit und Ängste traust du dich nicht zu anderen Leuten zu gehen und bist sehr einsam. Und durch die Härte vor allem deines Vaters (und vielleicht auch, weil du in einer immer noch patriarchalen Gesellschaft aufgewachsen bist), glaubst du, du müsstest immer stark und immer gut drauf sein. Das ist eine absolut zerstörerische Falle! Da zeigt sich die totale Lieblosigkeit des Patriarchats auch gegenüber jedem Mann.
Deine Mutter und Schwester sind krank. Aber wenn dein Vater dich so behandelt hat, wie er es getan hat, ist er auch nicht gesünder. Das ist definitiv nicht normal!
Schau dir mal auf youtube Videos von liebevollen Vätern an, dann weißt du, was ich meine.
Bei mir in der Familie war es ähnlich - erst als ich in einer WG viele Wochen lang die Interaktionen zwischen einer Mitbewohnerin und ihrem Freund sehen konnte, habe ich auch gefühlsmäßig verstanden, begriffen, dass Liebe der Normalzustand ist - und kein Luxus.
Ich finde es super, dass du in Therapie bist!!
Deine Therapeutin/dein Therapeut weiß ja schon, dass es dir nicht gut geht. Und es könnte sehr gut sein, dass er oder sie nur darauf wartet zu hören, wie es dir
wirklich geht. Sie wird dich mit größter Wahrscheinlichkeit nicht in die Pfanne hauen wollen, sondern mitfühlend zuhören und sich freuen, dass du dich ein Stück weit geöffnet hast. Probiere es doch mal aus. Du kannst ja mit einer Sache, einem Gefühl rausrücken, es vielleicht ein bisschen klein reden, wenn du dich so sicherer fühlst, und schauen, wie sie reagiert. Ein Teil von dir - nicht alles! - ist wohl ein kleiner, ungeliebter Junge, der braucht unbedingt Mitgefühl, Verständnis, Trost. Einen Teil davon kannst du, je nach Therapieschule, von der Therapeutin bekommen. Und dann geht es immer auch darum zu lernen, sich selbst zu lieben, sich selbst zu trösten. Das ist das Normale. Dazu gibt es viele gute Bücher. Z. B. von Stefanie Stahl. Oder andere Bücher über das innere Kind und den inneren gesunden Erwachsenen.
Falls du dich innerlich leer fühlst, also gefühllos: Dann könnte es sein, dass du deine Emotionen schon seit Ewigkeiten unterdrückt hast. Wenn man nicht weint, seine Wut nicht rauslässt und auch alle anderen Emotionen unterdrückt, dann fühlt man sich leer, weil die positiven Gefühle erst wieder auftauchen, wenn man den ganzen "Müll" aus dem Seele-Körper-Geist-System rausgespült hat.
Ich würde dir raten zu lesen, über all deine Symptome, z. B. auch Giger-Bütler (Depressionen), dysfunktionale Familien, über sehr egoistische Menschen, über Bindungsstörungen (ganz wichtig: Karl Heinz Brisch! Seine Fachbücher lesen sich, soweit ich sie kenne, sehr gut.) Persönlichkeitsstörungen: Peter Fiedler. Familientherapie und Bindung: Jesper Juul. Der Mann war EINMALIG! Hatte ein unglaubliches Wissen und ein unglaubliches Einfühlungsvermögen. Oder lies mal Bücher wie: Erziehung ohne Schimpfen, oder: Mama, nicht schreien. Da kannst du sehen, was dir alles an Respekt, Liebe und Feinfühligkeit zugestanden hätte.
Und: Versuch, Mitgefühl mit dir selbst zu haben. Du kannst ABSOLUT nichts dafür, dass du jetzt an dem Punkt bist, an dem du bist!! Übe dieses Selbstmitgefühl, trainiere es. Das ist was anderes als Selbstmitleid!
Es ist, nach allem, was du erlebt hast, vollkommen verständlich, dass es dir jetzt schlecht geht. Es kann kaum anders sein.
Du könntest mal eine Liste deiner positiver Eigenschaften anlegen. Sie immer wieder anschauen und dich freuen, dass du sie hast. Und dich fragen, ob du nicht noch was vergessen hast!
Je mehr du weißt und erlebst, was Liebe und Selbstliebe sind, desto leichter wird dir das Zugehen auf andere Menschen fallen. Ich würde dir, was Kontakte anbelangt, raten, auf Menschen zuzugehen, die selbst ein bisschen unsicher sind. Da passt es besser als bei Leuten, die im Großen und Ganzen keine psychischen Probleme haben. Und natürlich solltest du dort unterwegs sein, wo es dich hobbymäßig hinzieht.
Alles Gute!