Hier wird es spannend. Dass die Klebeaktionen sowohl rechtlich wie auch bei der Akzeptanz drüber sind, scheint ja halbwegs Konsens zu sein.
Die Strafen sind unverhältnismäßig? 240€ für Nötigung und versuchter Erpressung ... da kostet ein Mittelfinger in Richtung eines Polizisten schon ein Vielfaches. Ich würde sagen, die sind billig davongekommen. Zu billig, denn es wird munter weitergemacht, materielle Drohungen scheinen keine Wirkungen zu haben. Soll der Rechtsstaat nun klein bei geben? Das kann's ja auch nicht sein. Vor allem nicht, wenn bereits weitere Straftaten angekündigt werden. Was macht man mit diesen Unbelehrbaren deiner Meinung nach am Besten und wie verhindert man weitere Blockaden? Es könnte sonst darauf hinauslaufen, dass jede kleine radikale Gruppe sich in den Weg klebt, bis irgendwelche Forderungen erfüllt sind. Erst kleben sich die Glatzen hin und fordern Ausländer raus, dann kleben sich die Asylanten hin und fordern die Aufnahme von mehr Brüdern und Schwestern. Ich hoffe wir sind uns einig, das ist kein erstrebenswertes Modell für die Zukunft.
Dein zweiter Punkt ist die Unverhältnismäßigkeit des Volkszorns. Also mal ganz praktisch: Angenommen ich stehe im Kleber verursachten Stau und komme deshalb 3h zu spät in die Firma. Dann kann ich entweder die 3h nacharbeiten oder mir fehlen die 3 Stunden auf der Abrechnung. Es werden also ganz konkrete und auch Quantitativ belelegbare Schäden verursacht. Wer ersetzt mir die? Es war ja eben nicht ein zufälliges Ereignis auf dem Arbeitsweg (mein Risiko) sondern eine bewußt herbeigeführte Blockade, um Schaden zu verursachen. Sonst könnte man woanders Kleben, man sucht aber eben den maximalen Schaden. Findest Du es unverhältnismäßig, wenn dann jemand anpackt und die wegräumt? Es geht ja auch darum einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr zu verhindern.
Für mich deutet das eher auf Zivilcourage hin.
Also ich bin ja eher so ein Typ "Beobachter": Ich schaue mir die Dinge an und stelle mir dabei vor, wie ich die Dinge zB sehen würde, wenn andere Gruppen betroffen wären: Gruppen, mit denen ich mhr sympatisiere, aber vor allem auch Gruppen, mit denne ich weniger sympatisiere.
Und dann vergleiche ich und dann fällt mir so einiges auf, was mich entsetzt.
Klar: 240 Euro finde ich nicht zu hart. Das ist -ohne den konkreten Fall genauer zu kennen- billig weggekommen.
Aber wie ist es zB mit dieser präventiven Haft?
DA sehe ich die Sachlage schon ganz ganz anders. Dieses Instrument wurde ja geschaffen, um größte Gefahr abzuwenden. Soweit ich weiß, wird das normalerweise angewendet, wenn es wirklich um Leben und Tod geht: Also zB bei einem vermuteten Terrorakt.
Und DA muss ich sagen ist die Spannweite doch sehr weit. OK, es gibt Menschen, die stellen die Klimaaktivisten sogar auf die gleiche Stufe mit Mördern und Terroristen, abber das ist ja nicht die Ebene, auf der sachlich diskutiert werden kann.
Also unter uns Menschen, die versuchen einigermaßen objektiv zu sein, muss mna ja schon festhalten: DAS fällt auf, dass es ausgerechnet hier mit der präventiven Haft so einfach ist.
Mir fallen da viele Beispiele ein, wo es offenbar so ganz und garnicht einfach war und wo man dann hinterher blöd aus der Wäsche geguckt hat, als doch was passiert ist: Ich denke da zB an Terrorakte oder Verbrechen, die bereits im Netz angekündigt wurden und wo sich hinterher herausgestellt hat, dass man Hinweise hatte, aber nichts getan hat, weil ja "noch nichts passiert war".
Oder zB Männer, die ihre Frauen umgebracht haben, obwohl es schon wiederholt Drohungen gab. Oder auch bei Vergewaltigungen, wo es vorher Hinweise gab. Oder Ehrenmorde oä: Immer wieder leist man doch davon, dass es zwar sehr konkrete Hinweise auf eine Gefahr gegeben hätte, aber die Justiz machtlos war, weil man ja niemanden einsperren kann, auf Verdacht. Und wenn man nicht mal bei Verdacht auf eine Gewalttat so einfach ist, wie kann es dann sein, dass es plötzlich bei Verdacht auf Straßenblockade ohne weiteres möglich ist?
Das ist für mich irgendwie blanker Hohn. Vor allem für all diejenigen, die zB von Stalkern bedroht werden und sich immer wieder anhören müssen, man könne nichts tun.
Also ich glaube, Du verstehst, was ich meine.
Da sehe ich eine Diskrepanz, die mir so noch keiner erklären konnte.
Und selbst WENN man sagt: Eine Straßenblockade rechtfertigt dies, warum war das dann zB bei rechtsradikalen Demos nie Thema? Mir wäre nicht bekannt, dass man im Vorfeld zu solchen Demos zu diesem Mittel gegriffen hätte und zB besonders auffällige Aktivisten vorher eingesackt hätte.
Diese sog. Montags"spaziergänge" waren doch auch nichts anderes als unangemeldete Demos, in deren Umfeld so einiges passiert ist (Gewalt, Sachbeschädigung usw) und man kannte die entsprechenden Akteure und TROTZDEM wurden die nicht zB an bestimmten Montagen eingesackt, weil man ja WUSSTE, dass sie wieder stunk machen würden.
Also DIESE Diskrepanz finde ich sehr schmerzhaft und habe dafür leider noch keine plausible Erklärung gefunden.
Für mich ist das unserer Justiz unwürdig.
Und genauso ist es mit der öffentlichen "Wut". Natürlich verstehe ich, dass man sauer ist, wenn man zB zu spät zur Arbeit kommt, aber WER von denen, die sich so echauffieren ist denn tatsächlich zu spät gekommen? Das dürfte die allerwenigsten wirklich persönlich betroffen haben. Wie viele Menschen sind denn WIRKLICH zu spät gekommen? Rechtfertigt das eine Wut diesen Ausmaßes?
Normalerweise scheert es die breite Masse ja auch nicht wenn der ein oder andere aufgehalten wird oder?
Also ich habe keinen derartigen Aufschrei mitbekommen, als es zB um Verkehrshindernisse "von Rechts" ging.
Und als damals die Bauern mit ihren Traktoren die Straßen blockiert haben und viele leute im Stau standen, hat sich sogar die Politik mit ihnen solidarisiert.
Aber hier?
Eine Hexenjagd.
Und das finde ich eben bemerkenswert und sehr auffällig. Und dann fängt bei mir die Alarmglocke an zu schrillen.
mal ehrlich: Eigentlich wären die paar Blockaden kaum mehr als eine Randnotiz wert. Würde in der Presse nicht so derart auffällig darüber berichtet werden und würde nicht so gezielt Stimmung gemacht werden, würde der Otto Normalo das ganze wohl kaum bemerken und mit einem Schulterzucken zur Seite legen, so wie er normalerweise weitaus dramatischere Sachen zu den Akten legt.
Kürzlich haben wir alle mitbekommen, dass Reichsbürger einen Putsch planten. Da waren Waffen im Spiel und es ging auch um Menschenleben.
Gemessen an der Schwere der geplanten Tat müsste der Aufreger viel viel größer sein als bei den Klimaaktivisten.
Aber warum ist er das nicht?
ich bin mir sicher: Hätten sich Reichsbürger, Querdenker oder Bauern auf die Straße geklebt, dann hätten wir NIEMALS den gleichen Hass in der Bevölkerung. dann würde vermutlich jeder sagen: Ach, solange niemand zu schaden konnt, sollen sie da kleben bleiben. Ist nervig, aber gibt schlimmeres.
Aber weil es Klimaaktivisten sind, klingt es plötzlich so, als gäbe es kaum ein schlimmeres vorstellbares Verbrechen.
Das IST auffällig und das ist ganz eindeutig das Ergebniss geschickter "PR". Niemand (auch niemand hier im Forum) würde sich derart aufregen, wenn die Berichterstattung das nicht entsprechend schüren würde.
Also zB der Vergleich:
"Reichsbüger planen einen Putsch" ..."Ach das sind doch nur ein paar Spinner"
und
"Klimaaktivisten behindern den Verkehr"..."Hängt die Schweine auf"
IST einfach auffällig und müsste eigentlich JEDEM auffallen (auch dem glühendsten Gegner der Klimaschutzbewegung müsste das doch bedenklich erscheinen.)
Da zündelt jemand im Hintergrund und eine große Masse Leute läuft mit ohne es zu hinterfragen.
denn eins ist klar: Genauso wie man sagen kann (und muss), dass die Klimaschutzbewegung sich doch bitte anderer Mittel bediehnen sollte, um ihren Standpunkt zu vertreten, genauso kann und MUSS man erwarten können, dass jeder einzelne Bürger sich in seiner Reaktion auf diese Aktionen wie ein vernünftiger Demokrat verhält, oder?
Und mal ehrlich: Wenn es nur um die Verspätungen im Berufsverkehr geht: um wie viel größer müsste dann der Hass gegen die Deutsche bahn sein, die täglich millionen Arbeitsstunden verbrennt? Wie viel mehr Wut müsste sich auf unvorsichtige Fahrer entladen, die Unfälle verursachen und damit so viele Arbeitsstunden kosten?
Aber eine derartige hetzjagd ist DA nicht zu finden. Also kann es nicht einfach die Wut über die Verspätung sein- erstrecht dann nicht, wenn man nicht mal selbst betroffen ist.
Unter normalen Umständen würde man sagen: OK, das ist nicht schön, aber solange es nur um Verspätungen geht, ist es lästig, aber nicht schlimm. Und man würde bei Reichsbürgern sagen: OK, hier hört der Spaß aber auf, denn es geht an die Grundfesten unserer Staates und es geht letztlich um Gewalt und Putsch.
Dass die Reaktion hier aber UMGEKEHRT ist, sagt mir: Da stimmt was gaaaanz gewaltig nicht.
Einfach weil es absolut unlogisch ist. Und das völlig unabhängig davon, wie man selber zum Thema Umweltschutz stehen mag. Es ist unlogisch.