Vor 50 Jahren habe ich Gott geliebt und versucht, alle seine Gebote zu befolgen. Gott war für mich real und der Glaube kein Widerspruch. Es ergab alles einen Sinn, sogar meine Zweifel. Aber je älter ich wurde, um so mehr beschlich mich das Gefühl, einer gut gemeinten "Gutenachtgeschichte" aufgesessen zu sein. Gott wacht über alles und jeden und nichts entgeht ihm. Die gute alte Theodizee-Frage : "Warum dann das Böse und all das Leid?" war damals kein Problem.
Bis heute habe ich viel Erfahrungen mit den Menschen und mir selbst gemacht. So vieles kommt mir wie ein Kasperletheater vor, aber ich kann den Stock im Kaspar und im Seppel sehen. Wir Menschen erschaffen unsere Welt um uns herum und verändern sie. Starrt ein Mensch in den Himmel, ist da vielleicht nichts zu erkennen. Tun das 20 am selben Ort, wird manchmal "sichtbar", was garnicht da ist. Wenn "da" etwas sein muss, dann finden sich auch Menschen, die das spüren und fühlen.
Ich habe meinen Glauben während meiner Lebensreise eingebüßt. Ich würde gerne an einen Gott glauben und wäre gerne von wunderbaren Mächten geborgen. Ich würde auch gerne glauben, dass ich meine Tochter irgendwann wiedersehen werde. Das wäre wirklich schön, denn ich lache so gerne mit ihr. Aus meiner heutigen Sicht spiegelt das Werk sehr oft den Schöpfer wider. In dieser Welt könnte also ein Funke Gottes zu finden sein. Aber für jeden vermeintlichen "Funken" aus meiner Kindheit finde ich heute eine andere und zumeist plausiblere Erklärung und die tolle Formulierung eines Herrn Leibnitz, dass wir leiden müssen, weil wir es nicht verstehen, klingt für mich inzwischen doch zu schulmeisterlich und von oben herab. Es ist eine Klatsche für Menschen, die sich einfach nicht zufrieden geben wollen, weiterhin an eine Obrigkeit zu glauben, in die sie das Vertrauen verloren haben. Ich habe mein Vertrauen verloren und lasse mich nicht mehr wie ein kleines Kind in den Schlaf singen, auch wenn mir die Liedchen bekannt und angenehm vorkommen.
Für mich steckt so sehr Menschliches in all unseren Problemen und Fragen, da braucht es keinen Gott mehr für die "weißen Flecken". Vielleicht staune ich irgendwann Bauklötze, wenn es heißt "Nach oben oder unten?", "In den Himmel oder in die Hölle?" Also echt jetzt! Gott erschafft eine Hölle, um Menschen zu quälen? Oh, ich vergaß, wir sind ja auch für die Hölle verantwortlich, weil... Ich mag diese Kasperlegeschichten, aber nun sind sie mir doch langweilig geworden. Einfach glauben und alles wird besser. Dem Seppel habe ich seinen Unsinn nie abgenommen. Ich kann nicht mehr glauben, wenn dem jede Faser meines Seins und Denkens entgegen spricht. Manchmal sind einige Dinge auf dieser Welt logisch und machen Sinn. Ich soll auch glauben, was die Bild-Zeitung erzählt, was mir Verkäufer auftischen und nun ist die richtige Zeit für Bitcoin-Käufe. Gespenster gibt es genau so, wie Außerirdische, die aber leider nur mit Kameras unscharf und verwaschen aufgenommen werden können, weil das halt so ist. Ach ja, ich bin ja sowieso vom Teufel besessen, laut einem Diakon der ev. Kirche. Nur so nebenbei.
Ich bin nicht so tapfer, dass ich meinem Ende mit stoischer Gelassenheit entgegensehen könnte. Aber ich werde es wohl müssen, denn nichts anderes ist mir geblieben, als dass ich dankbar bin, so einiges erlebt und gefühlt zu haben. Ich achte den Glauben von anderen, aber das sollte niemanden daran hindern, sich so manches Theater näher und eingehender anzuschauen. Die Pyramiden und unsere Kirchen wurden gebaut, weil Menschen glaubten. Und jetzt fressen uns die Unterhaltskosten die Haare vom Kopf und die Dinger zerfallen. Aber irgendwie auch ein schlauer Schachzug von Menschen, die sich Geltung verschafft haben. Oder ist da noch mehr?
Meine Welt ist kleiner und kälter geworden, ganz ohne Frage. Aber sollte wirklich eine gefühlte Notwendigkeit der wahre Grund eines Glaubens sein? Ich möchte das nicht.