Wir haben uns damals über eine Dating-App kennengelernt. Am Anfang war alles aufregend und neu, und ich war neugierig. Wir haben eine Weile geschrieben, und ich wusste selbst nicht genau, wohin das führen würde – ich war 22 und mir meiner eigenen Wünsche nicht sicher. Nach unserem ersten Treffen hat der Kontakt dann nie wirklich aufgehört. Hauptsächlich haben wir uns auf geistiger Ebene gut verstanden, das Körperliche kam erst später dazu. Nach etwa einem Jahr habe ich das Gespräch gesucht, weil ich mich in ihn verliebt hatte (bis dahin lief alles noch gut zwischen uns), aber er hat mir gesagt, dass er nur Freundschaft und das Körperliche will. Zu dem Zeitpunkt wollte ich eigentlich einen Schlussstrich ziehen, weil ich mir eine Beziehung gewünscht habe (ob mit ihm oder generell). Aber ich habe es nicht geschafft, und so lief alles weiter.
Irgendwann wurde es zur Routine, dass wir uns jede Woche trafen, und er wurde eine wichtige Bezugsperson für mich. Er hat mir bei vielen Dingen geholfen, zum Beispiel bei meinen zwei Umzügen. Meine Mutter und meine Familie wissen übrigens nichts von ihm, wahrscheinlich weil ich selbst weiß, dass das nichts „Richtiges“ ist. Während der Corona-Zeit fing es dann an, dass wir immer mehr Streit hatten, weil er einer von diesen „Corona-Leugnern“ ist und meinte, wir werden alle verarscht. Einmal nannte er mich dumm und unkritisch, nur weil ich beim Treffen mit meiner Oma eine Maske getragen habe. Auch da wollte ich den Kontakt öfter abbrechen.
Es gab auch öfter Streit wegen seiner Wohnung. Er hat kein richtiges Bett (schläft auf einem Futon auf dem Boden) und ich wollte deswegen nicht mehr zu ihm kommen. Er meinte dann, wenn ich die Wohnung eines Menschen wichtiger nehme als den Menschen selbst, bin ich es nicht wert, mit jemandem Zeit zu verbringen (?!). Am Ende habe ich ihn überreden können, dass ich eine Babymatratze auf den Boden legen darf, damit ich darauf schlafen kann. Wenn ich das hier so schreibe, fühle ich mich wirklich dumm und schäme mich. Er hat mich dann auch noch „Prinzessin“ genannt, nur weil ich in einem richtigen Bett schlafen wollte.
Seit einiger Zeit ist dann auch dieses Thema Weiblichkeit bei ihm immer präsenter geworden. Er meint ständig, dass Frauen heutzutage alles tun, was sie wollen, und dass das so nicht geht. Wenn ich mir die Haare kürzer schneide, sagt er, es sehe „lesbisch“ aus. Wenn ich meine Beine nicht rasiere, ist das auch „schrecklich“. Als ich dann einmal gesagt habe, dass ich es auch nicht toll finde, wenn Männer sich die Beine rasieren (was er mal gemacht hat), meinte er, Männer könnten es sich aussuchen, Frauen aber nicht – Frauen müssen sich eben rasieren. Es ist sogar schon so weit gekommen, dass ich ihm nicht mehr erzähle, wenn ich meine Periode habe, weil er alles, was ich tue oder sage, darauf schiebt: „Hast du deine Tage?“ oder „Wenn du deine Tage hast, diskutiere ich nicht mit dir.“ Ich fühle mich schon selber komplett verrückt und weiß nicht mehr, was richtig oder falsch ist. Verhalte ich mich während meiner Periode wirklich so anders? Als wäre ich plötzlich ein anderer Mensch, mit dem man nicht normal reden kann.
Ich möchte einfach keinen Kontakt mehr zu ihm haben und nichts mehr von ihm hören. Ich will mein altes Ich zurück, ohne Selbstzweifel und mit mehr Selbstbestimmung leben. Hat jemand – abgesehen von professioneller Therapie – konkrete Empfehlungen, wie ich meinen Selbstwert stärken kann? Bücher? Videos? Ich kann in dieser Situation einfach nicht weitermachen.