Hallo Niceguy,
jetzt finde ich etwas Ruhe, um dir zu antworten.
Du schreibst:
Vorneweg: Wenn diese Zustände weniger werden, dann ist das ein Anzeichen für eine erfolgreiche Therapie. Dann werden sie irgendwann auch völlig verschwinden. Die Dauer hängt maßgeblich von der Art und Dauer des Traumas ab. Die Tendenz liest sich doch schon mal sehr positiv.
Es stimmt, diese "Ausfälle" wurden in den letzten Jahren etwas weniger. Meine Therapeutin sagt mir immer, dass es Zeit braucht, bis das verschwindet. Und da fange ich an zu zweifeln. Ich schlage mich schon sechs Jahre mit diesen Symptomen herum und egal, was ich auch tue, es geht halt nicht ganz weg. Mir wird die Hoffnung seit Jahren gemacht, dass dies eines Tages wieder gut wird, diese Symptome verschwinden, aber sie sind noch immer da. Ich habe manchmal das Gefühl, dass mir da eine falsche Hoffnung gemacht wird, damit ich nicht aufgebe und das fände ich grundsätzlich unehrlich. Mich belastet das alles sehr.
Außerdem habe ich immer größere Zweifel, ob meine Therapeutin mir überhaupt noch helfen kann. Sie verfolgt einen verhaltenstherapeutischen Ansatz. Neulich erst war ich bei ihr, weil ich wieder unter massiven Schlafstörungen leide. Angefangen so schlimm zu werden hätte es mit dem Praktikum. Auf der Arbeit war mein Gehirn abgelenkt, aber all diese Intrusionen kamen Abends doppelt so heftig zurück. Egal, was ich tue, ob ich arbeite, ob ich Sport mache, in ich ein Buch lese... Sobald mein Gehirn auch nur eine winzige Lücke findet, brechen all die Erinnerungen und Gefühle wieder durch. Ich habe meine Therapeutin schon auf Knien angefleht, mich doch bitte ernst zu nehmen, dass es bei mir nicht funktioniert, mir einen Alltag zu bauen, der mich auf andere Gedanken bringt. Diese Erinnerungen und Gefühle suchen sich trotzdem einen Weg. Auch ist es für mich schwer mit dem Ansatz, sie einfach "anzunehmen" und willkommen zu heißen, wie meine Therapeutin immer sagt und sie dann zur Seite zu schieben. Diese Erinnerungen und Gefühle sind so mächtig, dass es mir nicht gelingt, sie zu kontrollieren. Aber ihr Ansatz ist es, dass ich aktiv mit meinem Verhalten, indem ich diesen Gefühl und Erinnerungen keinen Raum gebe, sie bändigen könnte. Ich wünschte mir würde das gelingen, aber das mag vielleicht doof klingen oder so, als wollte ich mir nur nicht genug Mühe geben, ich bekomme das nicht hin. Diese Gefühle und Erinnerungen suchen sich immer einen Weg, wenn nicht am Tag, dann in der Nacht. Und wenn ich sie durch Arbeit, Hobbies, Ablenkung verdränge, kommen sie umso heftiger zurück.
Dann kommt hinzu, dass meine Therapeutin sich vielleicht nicht an den Kern dessen, was mich so sehr quält heran traut. Es gibt da etwas in mir, ein Gefühl, das ich selbst mit keinem der bekannten Gefühle benennen kann. Und dieses Gefühl verfolgt mich seit Jahren und quält mich sehr. Ich erlebe es in den Träumen, wenn ich von dem Mann im Mond träume, dem Clown, oder von der Nacht, wo da dieser Übergriff passierte und auch in den Momenten, wo ich mich unsicher und bedroht fühle. Es ist dieses Fahrstuhl Gefühl von dem ich schon einmal berichtete, das so vernichtend ist, dass ich Angst davor habe. Dieses Gefühl hat sich eng mit den Erinnerungen an diesen einstigen angeblich besten Freund geknüpft und lässt mich nicht los. Egal, wie sehr ich meinen Alltag auch schaffe. Und das rallt meine Therapeutin scheinbar nicht. Dass egal was ich aktiv tue, dieses Gefühl mit samt aller traumatischen Erinnerungen sich nicht einfach in Luft auflösen, weil ich Sport mache, mir neue Ziele setze, etc. Aber genau dieses etwas in mir, nimmt mir allen Mut und alle Zuversicht und jede Lebensqualität. Ich leide wirklich sehr darunter. So sehr, dass ich manchmal lieber tot wäre als das noch länger auszuhalten. Und ich habe das Gefühl, meine Therapeutin versteht gar nicht, wie viel Mühe ich mir gebe und wie wenig es mir in dieser Sache hilft.
Ich kriege aus verhaltenstherapeutischer Sicht sicher vieles gut hin. Ich habe einen strukturierten Tag, habe mir neue Ziele geschaffen, gehe juristisch gegen den Clown vor... Es gelingt mir, meine Bedürfnisse mitzuteilen, für mich einzustehen, ich habe eine tolle Katze, ein schönes Zuhause und wenn ich es wollte, hätte ich auch Kontakte. Ich gebe mir alle Mühe nach vorne zu schauen... Aber diese beschissenen Erinnerungen und Gefühle kleben an mir, wie Parasiten. Sie einfach wegzuschieben, mit neuem zu überschreiben, das funktioniert einfach nicht. Und ich komme mir vor, wie der letzte Idiot.
Es ist, als würde ich einen Berg hinauf laufen und immer wieder durch einen Rücksack, der mit diesen Erlebnissen gefüllt ist, zurück fallen. Und meine Therapeutin steht oben auf dem Berg und ruft mir nur immer zu: du musst dich mehr anstrengen... Anstatt zu erkennen, dass ich diesen Berg niemals hoch komme mit diesem Rucksack. Denn der Rucksack ist das Hindernis. Das Gefühl, das ich bis heute nicht mit treffende Worten Benennen kann.
Und dann kommen diese "Ausfälle" dazu, die auch nicht weg gehen...
Wenn ich durch all dies keinen Leidensdruck hätte, könnte ich sicher gut damit leben. Aber ich leide wirklich sehr, weil es meine ganze Gegenwart, mein hier und jetzt, überschattet.