Reduzieren wir einfach den Sachverhalt mal auf das Wesentliche, nämlich dass deine Eltern den Kontakt zu dir abgebrochen haben, weil sie von deiner Art leben zu wollen, schockiert sind und das nicht akzeptieren möchten. Solche Situationen kenne ich auch. Bis zu Polyamorie habe ich es zwar nicht gebracht, ich hatte aber mit Mitte 20 mal eine Beziehung zu einem 25 Jahre älteren Mann und später dann eine Partnerschaft mit einem Mann, der sich sehr schnell als Luftnummer und für mein Leben als absolut katastrophal entpuppte. Letzteres hatten meine Eltern sehr schnell gemerkt, ich brauchte dann doch ein paar Jahre (!) länger und musste durch die harte Schule.
Beide Male brach unser Kontakt ab - das eine Mal so gut wie, das andere Mal komplett. Ich sah es so, dass es mein Leben ist und ich eben meine eigenen Erfahrungen machen muss. Meine Eltern wollten dies ihrerseits nicht akzeptieren und mich zwingen, obwohl ihr Einfluss nicht mehr so weit reichte. In beiden Fällen (und das weiß ich jetzt) tat es ihnen unglaublich weh zu sehen, dass ich (wahrscheinlich) nicht glücklich werden würde. Sie stießen aber mit ihrem Einfluss an ihre Grenzen und der Kontaktabbruch war der letzte und eben auch ohnmächtige Versuch, sich gegen ihr mittlerweile erwachsenes Kind durchzusetzen und es wieder auf einen "ordentlichen" Weg zurückzubringen. Ein Kind bleibt aber immer ein Kind - selbst wenn du als Kind schon graue Haare hast.
Beziehung 1 zerbrach bei mir dann aus Vernunftsgründen, da ich noch eine Familie wollte, dieser Mann schon Kinder in meinem Alter hatte und nicht mehr wirklich überzeugt war. Außerdem wollte ich eine normale Beziehung haben mit einem gleichaltrigen Partner und mit dem gemeinsam alt werden. Wir waren ein paar Jahre zusammen, meine Eltern haben ihn nie kennengelernt. Unser Kontakt ist in dieser Zeit nicht ganz abgebrochen, aber extremst reduziert worden - es fühlte sich wie ein Abbruch an. Für mich war das schon hart. Ich fühlte mich ausgestoßen und entwurzelt, hatte keinen familiären Rückhalt mehr, auf den ich zurückgreifen konnte, wenn ich mal Kummer hatte. Meine einige Jahre jüngere Schwester ergriff dann auch noch die Partei meiner Eltern - auch mit ihr verband mich in dieser Zeit nichts mehr. Rückblickend muss ich sagen, dass dieser Ex-Partner einer der feinsten Menschen war, die ich in meinem Leben und bis heute kennengelernt hatte. Wir haben schöne Jahre verlebt und wären wohl zusammengeblieben, wenn da nicht mein Wunsch nach eigener Familie gewesen wäre.
Beziehung 2 zerbrach wesentlich dramatischer mit Lug und Trug und ich war am Ende völlig allein, musste mir mein Leben komplett neu aufbauen. Regelmäßig pflasterten Dramen und schlimme Erfahrungen meinen Weg. Da war der Kontakt zu meinen Eltern wirklich abgebrochen; ich hörte immer nur, dass sie von meinem Partner als vom Hochstapler Felix Krull sprachen. Und leider war noch viel mehr als das. Ein durch und durch schrecklicher Mensch. Es dauerte ebenfalls Jahre bis ich das feststellte, am Ende hielt ich wohl auch so lange an ihm fest, damit meine Eltern nicht recht behalten sollten. Sturköpfe eben.
Beide Male war ich es dann, die den Kontakt zu meinen Eltern wieder aufgenommen hat, indem ich einfach vor ihrer Tür stand. Mein Vater hätte wohl viel früher nachgegeben, stand aber solidarisch an der Seite meiner Mutter. Und die konnte einfach nicht über ihren Schatten springen und entgegen ihren Wertvorstellungen und Erziehungsmaßstäben handeln. Als wir dann wieder zueinander fanden lagen wir uns schluchzend in den Armen. Und ja, mir fehlen ein paar kostbare Jahre mit meiner Familie. Als ich nach der 2. Beziehung vor meinem Elternhaus stand und meine Mutter die Tür öffnete traf mich richtig ein kleiner Schlag, denn meine Mutter war sichtbar gealtert. Da wurde mir klar, dass ich so etwas nie wieder aushalten würde, sondern einen anderen Weg finden, der uns einen Umgang miteinander ermöglicht.
Ich würde es heute anders machen. Weiterhin nicht meine Partner nach ihrem Willen aussuchen; das hielte ich nach wie vor für falsch, obwohl ich auch bei deiner Konstellation denke, dass das auf Dauer nicht funktionieren wird. Die Erfahrung wirst du aber selber machen müssen und ich will dazu auch gar nicht mehr sagen.
Ich würde aber nicht beleidigt abdackeln und denken, ihr könnt mich mal, sondern ich würde über meine Gefühle kommunizieren... schriftlich. Ich würde meine Gedanken und Ängste niederschreiben, mein Gefühlsleben vor ihnen offenlegen. Ich würde ihnen verdeutlichen, wie sehr mich ihre Ablehnung trifft, wie sehr mir das weh tut und ich würde sie bitten, doch zu akzeptieren, dass ich auch eventuelle Fehler selber machen müsste, aber eben in diesem Fall aus absoluter Überzeugung und mit vollstem Herzen entschieden hätte. Dass - wie in deinem Fall - mein Lebensmodell zwar außergewöhnlich sei, es doch aber am Ende doch wichtig wäre, dass es mir gut ginge - und dass sie das doch sicherlich auch wollten. Und dann würde ich ihnen den Kompromiss anbieten, zu ihnen zu kommen und über diesen Teil deines Lebens eben nicht zu sprechen. Sie sollten einfach beobachten, wie es dir ginge und ganz vielleicht würden Sie es ja auch schaffen, irgendwann über ihren Schatten zu springen.
Du hast kein Recht, die Akzeptanz deiner Situation bei ihnen einzufordern. Genauso wenig haben sie das Recht, Einfluss zu nehmen auf deine Entscheidung. Aber du kannst offenlegen, wie es dir geht. Das wäre tatsächlich das, was ich nach meinen Erfahrungen anders machen und dir empfehlen würde. Wenn sie darauf dann weiterhin nicht reagieren, dann müsstest du wohl auch das akzeptieren.
Lass dir Zeit für diesen Brief. Überlege, welche Infos du dort hinein packst. Gliedere ihn sorgfältig und schreibe, wie wichtig sie für dich sind, was du mit ihnen verbindest. Ihr scheint eine liebevolle Beziehung gehabt zu haben, auch das würde ich herausstellen, wie wichtig sie dir sind und eben den Zwiespalt, in den sie dich bringen, indem sie dich unter Druck setzen wollen dich zu entscheiden - dass das aber trotzdem kein Weg ist, der für dich akzeptabel ist und den du gehen möchtest.
Ich bin mittlerweile fast 60 Jahre. Das, was ich dir geschrieben habe, liegt schon viele Jahre, ja, Jahrzehnte zurück. Ich bin seit vielen Jahren tatsächlich glücklich verheiratet mit meinem Traummann, ganz klassisch, habe eine Tochter im jungen Erwachsenenalter.
Und weißt du was? Obwohl ich selber meine Erfahrungen gemacht habe würde ich trotzdem immer noch versuchen wollen, ihr negative Erfahrungen zu ersparen, die ich aufgrund meiner eigenen Erfahrungen kommen sehe (auch wenn man natürlich nicht 100% sicher sein kann). Wenn ein Eltern-Kind-Verhältnis normal innig ist, kommt man da glaube ich nicht umhin und legt eben die eigenen Maßstäbe an. Das hat tatsächlich mit Sorge und ganz viel Liebe zu tun, man möchte, dass es dem eigenen Kind gut geht. Und manchmal tut man dann Dinge aus reiner Verzweiflung, wählt falsche MIttel. Eltern sind nicht als Eltern geboren.. auch sie sind vor falschen Entscheidungen nicht gefeit.
Entschuldige, dass mein Text so lang geworden ist. Vielleicht kannst du daraus ja etwas für dich mitnehmen. Ich wünsch dir alles Gute!