Ich hab ein paar von deinen älteren Threads gelesen. Seitdem hat sich bei dir ja eine sehr wichtige Sache geändert: Deine Angst oder Scham, Hilfe in Anspruch zu nehmen, ist doch merklich kleiner geworden, nicht? Das ist ein Riesenschritt! Ist dir das klar? Da hat sich anscheinend eine feindliche Einstellung dir selbst gegenüber (fast) ins Gegenteil gekehrt, oder?
Die Scham beim Weinen und erstrecht, wenn man weinend gesehen wird, kenne ich übrigens auch; vor 20 Jahren dachte ich auch, die Welt geht unter, wenn mich ein paar Leute weinen sehen.
Ich wollte kein "schwaches Weibsstück" sein - wie meine Mutter ...
Tja, so neurotisch kann man eben werden, wenn man aus einem dysfunktionalen Elternhaus stammt.
Mir ist inzwischen längst klar, wie wichtig es ist zu weinen. Gerade, wenn man depressiv ist. Meiner Meinung nach sind Depressionen zu einem Großteil unbewusste und/oder zurückgehaltene, ungelebte Emotionen. Nicht nur, aber auch. Manchmal kommt bei mir auch ein Anflug von depressiver Stimmung, und dann ist klar, dass ich zu wenig geheult hab. Hilfsmittel Nr. 1.
(Muss ja nicht jeder mitbekommen.
).
Kannst du mittlerweile öfters weinen?
Und zu deinen inneren Kämpfen und dem Selbsthass - du hast mal geschrieben, dass du innerlich sehr zerrissen bist: Mir haben die Bücher von Friedemann Schulz von Thun ein gutes Stück weitergeholfen; er ist Kommunikationspsychologe. Hat ein Standardwerk über Kommunikation geschrieben, drei Bände: "Miteinander reden". Im dritten Band geht es um das "Innere Team". Manchmal hat man zu einem bestimmten Thema "mehrere Meinungen", weil es einfach mehrere innere Instanzen gibt. Da gibt es immer den inneren Leiter, der bestimmt, was letztendlich gemacht und im Bewusstsein geglaubt wird. Und dann gibt es so Figuren wie den inneren Kritiker, verschiedene laute und leise Stimmen ... ich hab inzwischen viel vergessen; jedenfalls: Was man sofort machen kann, ohne das Buch zu kennen, ist, sich mal hinzusetzen und sich bezüglich eines Themas aufzuschreiben, welche Stimmen überhaupt da sind. Vor allem sind die leisen, dünnen Stimmen wichtig, weil die verschiedenen lauten Kritikerstimmen sich sofort melden, wenn man unter Depressionen leidet, und die leisen Stimmen meist hinten runterfallen. Die Kritikerstimmen stammen natürlich ursprünglich von einem oder beiden Elternteilen oder anderen wichtigen Personen/Gruppen. Die sind oft jahrzehntelang gefüttert worden und haben daher oft extrem viel Macht. (= Verschaltungen im Gehirn). Die leisen Stimmen wurden oft sehr unterdrückt - aber sie sind da, und man kann anfangen, sie überhaupt erstmal anzuhören. Und
fühlen, ob das stimmen kann, was sie sagen. Also z. B. sagt der Kritiker öfters: "Du kannst überhaupt nichts". Dann gilt es, den anderen Stimmen Raum zu geben. Die eine sagt vielleicht leise: "Das ist nicht wahr. Ich bin in Englisch sehr gut. Außerdem habe ich originelle sprachliche Einfälle. Ich helfe gern. Ich kann Gedichte schreiben. Ich kann Dinge differenziert wahrnehmen und teile nicht alles in Weiß und Schwarz ein. Ich habe ein unglaubliches Durchhaltevermögen. Etc." Diese leise Stimme würde ich als die Realistin bezeichnen. Sie schaut genau hin und versucht, wirklich alles mal vorurteilslos anzuschauen - was der Kritiker ja nie hinkriegt. Der übertreibt immer maßlos und ist voller Hass - er kann gar nicht sachlich sein. Wenn auch manchmal wohl ein Körnchen Wahrheit in dem ist, was er von sich gibt.
Eine andere leise Stimme könnte die sein, die irgendwas eigentlich gern machen würde, sich aber nicht traut, weil der Kritiker sie gleich niederbrüllt. Z. B. weinen ... oder schreien ... oder jemanden umarmen ... oder vielleicht irgendetwas ausprobieren, wovor man Angst hat. Je öfter man sich mit den leisen Stimmen beschäftigt, in einer Teamkonferenz, desto mehr Kraft erhalten sie.
Vielleicht kannst du was damit anfangen.