Vater verstorben nach 3 Jahren ohne Kontakt - Schuldgefühle

Liebe Azursky,

erstmal meine aufrichtige Anteilnahme.
Ich kann deinen Schmerz sehr gut verstehen, da ich eine ähnliche Erfahrung gemacht habe.
Ich habe meinen Vater auch vor wenigen Monaten verloren und hatte zuvor viele Jahre keinen Kontakt mehr mit ihm.
Ich habe hier sogar Zettel und To-Do Listen liegen, auf denen steht "unbedingt bei Vater melden!".
Ich wollte mich immer mit ihm aussprechen, mich versöhnen und dann ist er verstorben.
In einer Zeit, wo ich mich um alles mögliche gekümmert hab: Arbeitszeugnisse, Klamotten, irgendwelche Bekannten aus dem Ausland... Nur nicht um das was wirklich relevant gewesen wäre.
Auch mein Vater lebte in unguten Verhältnissen. Ich habe es ausgeblendet und mich nicht dazu durchringen können, ihn zu kontaktieren, obwohl ich es mittels Coach versuchte, so tief war die Verletzung die zwischen ihm und mir.

Ich kann die Schuldgefühle also sehr gut verstehen.

5 Tage ist noch sehr frisch und in dieser Zeit stand ich tatsächlich unter Schock.
Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber bitte achte jetzt sehr gut auf Dich. Sei milde zu dir und nachsichtig. Nimm Dir Pausen zum Ruhen, zum Trauern, zum Planen der Beisetzung.
Behalte Routinen bei. Sei also bitte nicht so hart zu dir und bestrafe dich nicht auch noch mit Schuldvorwürfen.

Die Organisation um die Beisetzung ist tatsächlich etwas, mit dem man Abschied nehmen kann. Auch dadurch, dass man letzte Sachen des Verstorbenen regelt, Verträge kündigt usw.
Vom organisatorischen habe ich mich erstmal sehr überfordert gefühlt, das muss es aber nicht.
Aus meiner Erfahrung heraus kann ich sagen:
Lass Dich in dieser Zeit nicht unter Druck setzen. Halte dich in dieser Zeit unbedingt von Menschen fern, die rücksichts und verständnislos reagieren.
Umgib dich mit Menschen, die dir Halt geben und die es ehrlich mit dir meinen, denen du vertrauen kannst.

Einfach alles Stück für Stück angehen und Schritt für Schritt.

Ich wünsche dir viel Kraft für die kommende Zeit.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Die Organisation um die Beisetzung ist tatsächlich etwas, mit dem man Abschied nehmen kann.
Vielen Dank, Bluesky2022!

Deine Worte gehen mir sehr nahe und ich brauch sie gerade auch wirklich. Ich denke auch dass ich mit der Planung der Beisetzung Abschied nehmen kann. Ich denke das brauche ich gerade auch.

Aus meiner Erfahrung heraus kann ich sagen:
Lass Dich in dieser Zeit nicht unter Druck setzen. Halte dich in dieser Zeit unbedingt von Menschen fern, die rücksichts und verständnislos reagieren.
Ich war heute bei meiner Oma, die leider sehr verständnislos reagiert hat und es gar nicht verstehen kann, dass ich die Beerdingung organisieren muss und auch will.
Sie sagt er hat sich nicht gekümmert, wieso soll ich mich dann kümmern.
Ich finde es sehr anstrengend, dass sie so reagiert. Es kamen auch keine Worte der Anteilnahme.

Ich versuche natürlich mich davon nicht allzusehr beeinflussen zu lassen, aber mein Gefühl nach dem Gespräch mit ihr ist natürlich jetzt eher negativ.

Morgen haben meine Mutter und ich einen Termin mit einem Bestatter. Ich hoffe das ganze einmal durchzusprechen und Klarheit über die Abläufe zu haben hilft ein bisschen.
 
Durch seine Krankheit hat Dein Vater in einer anderen Welt gelebt, realitätsfern und vielleicht noch nicht einmal unglücklich. Vermutlich wärst Du nur ein Femdkörper in seiner Welt gewesen, mit dem er nicht umzugehen vermag. Für sich selbst hat er das all so akzeptiert wie es war und er hätte auch nichts ändern können und wollen. Deine Anwesenheit hätte nichts geändert, von daher musst Du Dir keine Vorwürfe machen. Für ihn war der Tod eine Befreiung und für Dich sollte sein Ableben ebenfalls eine Befreiung sein. Er wäre wohl sehr glücklich in Deinem Herzen einen Platz zu haben, wo er endlich zur Ruhe kommen kann und er Dir so nah sein kann, wie er es im Leben nicht sein konnte. Letztendlich ist dies der einzige Platz, der wirklich zählt - für die Lebenden und für die Verstorbenen.
 
Der Umgang mit schizophrenen nahen Angehörigen kann derart anstrengend sein, dass man den Kontakt zu seinem Selbstschutz abbrechen muss, will man nicht selber noch eher ins Gras beißen als sie. Es ist auch bekannt, dass Menschen, die an solchen Krankheiten leiden, leider eine signifikant verminderte Lebenserwartung haben.

Du brauchst dir keine Vorwürfe zu machen. Deine Anwesenheit hätte zu keiner Besserung des Zustandes deines Vaters geführt. Du hättest nichts, aber auch gar nichts ausrichten können. Das ist leider für diese tückische Krankheit typisch, dass die Betroffenen vielfach keinen Funken Krankheitseinsicht haben, sondern in ihrer eigenen bizarren Welt leben und jeden Bezug zur Realität verlieren. Sie sind auch nicht in der Lage, auf Fürsorge von nahestehenden Menschen angemessen zu reagieren. Sie interpretieren alles so, dass es in ihr geschlossenes Wahnsystem passt.

Ich weiß, wovon ich rede. Bei meiner Schwester (heute 57) beobachtete ich seit 2001 auch entsprechende Symptome. Ihr fehlt bis heute jede Krankheitseinsicht. Für mich war das anfangs ein schwerer Schock. 12 Jahre habe ich mich damit aufgerieben, sie in psychiatrische Behandlung zu bekommen, mich immer wieder an alle möglichen Stellen bis hin zu Ärzten, zum Sozialpsychiatrischen Dienst, Polizei und Ordnungsamt gewandt. Aber solange jemand nicht sich selbst oder andere massiv und akut gefährdet (dazu müssen Selbstmord oder Mord bzw. schwere Körperverletzung quasi schon unmittelbar bevorstehen), kann man niemanden zwangsweise in die Psychiatrie einweisen lassen. Als besorgte/r Angehörige/r wird man im Regen stehen gelassen, auch von diesen Profis.

Meine Schwester hat unserer Mutter, mit der sie in einer krankhaften Symbiose zusammenlebte, die letzten Lebensjahre zur Hölle gemacht, das schuldenfreie Elternhaus musste nach dem Tod der Mutter teilungsversteigert werden, meine Schwester machte am Telefon Psychoterror mit mir, egal ob während meiner Arbeitszeit oder abends. Wenn das Telefon klingelte, bekam ich schon Schweißausbrüche. Ich habe dann schließlich 2013 den Kontakt abgebrochen, weil ich es nicht mehr ausgehalten habe. Ich wäre selbst dabei zugrunde gegangen. Man wird als Angehöriger in so einer Situation von niemandem unterstützt. Auch nicht von anderen Verwandten. Die ziehen sich selber zurück. Sie wollen von dem ganzen Thema nichts hören. Man kann sich noch nicht mal von Zeit zu Zeit bei ihnen aussprechen, um ein wenig psychische Entlastung zu finden. Dann wird einfach abrupt das Thema gewechselt und obendrein mit dem eigenen Familienleben geprahlt.

Eines Tages stehst du dann zermürbt und psychisch ausgebrannt vor der Frage: "Entweder du brichst den Kontakt zu dem psychotischen Angehörigen ab, oder du brichst selber psychisch zusammen und kannst dann Jahre vor der Altersgrenze vorzeitig den Dienst quittieren, weil du einfach nicht mehr kannst. Und Lebensqualität hast du dann auch keine mehr."

Im Falle deines Vaters ist ja sogar eine Zwangseinweisung gelungen. Aber auch diese ist keine Garantie, dass jemand regelmäßig seine Medikamente nimmt und auf Dauer in der Lage ist, wieder einen normalen Alltag zu bewältigen. Ich habe einen ebenfalls schizophrenen Arbeitskollegen, der das geschafft hat. Das freut mich auch sehr für ihn persönlich. Er ist auch krankheitseinsichtig. Sobald ihm seine Umwelt wieder komisch vorkommt, geht er zum Psychiater (auch sonst regelmäßig); ihm ist dann klar, dass die Medikation angepasst werden muss. Ansonsten führt er ein "normales" Leben mit strukturiertem Alltag, Vollzeitbeschäftigung, geregeltem Einkommen, hat auch eine Partnerin, mit der er glücklich zu sein scheint. Bei deinem Vater und bei meiner Schwester ist es aber leider anders gelaufen.

Du brauchst keine Schuldgefühle zu haben. Dein Vater konnte nichts für seine Krankheit. Du aber auch nicht. Es war eine Verkettung ganz tragischer Umstände. Sein Zustand hätte sich auch nicht gebessert, wenn du mehr Kontakt zu ihm gehabt hättest. Er hätte deine Fürsorge krankheitsbedingt weder wahrnehmen noch wertschätzen können.
 
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