Der Umgang mit schizophrenen nahen Angehörigen kann derart anstrengend sein, dass man den Kontakt zu seinem Selbstschutz abbrechen muss, will man nicht selber noch eher ins Gras beißen als sie. Es ist auch bekannt, dass Menschen, die an solchen Krankheiten leiden, leider eine signifikant verminderte Lebenserwartung haben.
Du brauchst dir keine Vorwürfe zu machen. Deine Anwesenheit hätte zu keiner Besserung des Zustandes deines Vaters geführt. Du hättest nichts, aber auch gar nichts ausrichten können. Das ist leider für diese tückische Krankheit typisch, dass die Betroffenen vielfach keinen Funken Krankheitseinsicht haben, sondern in ihrer eigenen bizarren Welt leben und jeden Bezug zur Realität verlieren. Sie sind auch nicht in der Lage, auf Fürsorge von nahestehenden Menschen angemessen zu reagieren. Sie interpretieren alles so, dass es in ihr geschlossenes Wahnsystem passt.
Ich weiß, wovon ich rede. Bei meiner Schwester (heute 57) beobachtete ich seit 2001 auch entsprechende Symptome. Ihr fehlt bis heute jede Krankheitseinsicht. Für mich war das anfangs ein schwerer Schock. 12 Jahre habe ich mich damit aufgerieben, sie in psychiatrische Behandlung zu bekommen, mich immer wieder an alle möglichen Stellen bis hin zu Ärzten, zum Sozialpsychiatrischen Dienst, Polizei und Ordnungsamt gewandt. Aber solange jemand nicht sich selbst oder andere massiv und akut gefährdet (dazu müssen Selbstmord oder Mord bzw. schwere Körperverletzung quasi schon unmittelbar bevorstehen), kann man niemanden zwangsweise in die Psychiatrie einweisen lassen. Als besorgte/r Angehörige/r wird man im Regen stehen gelassen, auch von diesen Profis.
Meine Schwester hat unserer Mutter, mit der sie in einer krankhaften Symbiose zusammenlebte, die letzten Lebensjahre zur Hölle gemacht, das schuldenfreie Elternhaus musste nach dem Tod der Mutter teilungsversteigert werden, meine Schwester machte am Telefon Psychoterror mit mir, egal ob während meiner Arbeitszeit oder abends. Wenn das Telefon klingelte, bekam ich schon Schweißausbrüche. Ich habe dann schließlich 2013 den Kontakt abgebrochen, weil ich es nicht mehr ausgehalten habe. Ich wäre selbst dabei zugrunde gegangen. Man wird als Angehöriger in so einer Situation von niemandem unterstützt. Auch nicht von anderen Verwandten. Die ziehen sich selber zurück. Sie wollen von dem ganzen Thema nichts hören. Man kann sich noch nicht mal von Zeit zu Zeit bei ihnen aussprechen, um ein wenig psychische Entlastung zu finden. Dann wird einfach abrupt das Thema gewechselt und obendrein mit dem eigenen Familienleben geprahlt.
Eines Tages stehst du dann zermürbt und psychisch ausgebrannt vor der Frage: "Entweder du brichst den Kontakt zu dem psychotischen Angehörigen ab, oder du brichst selber psychisch zusammen und kannst dann Jahre vor der Altersgrenze vorzeitig den Dienst quittieren, weil du einfach nicht mehr kannst. Und Lebensqualität hast du dann auch keine mehr."
Im Falle deines Vaters ist ja sogar eine Zwangseinweisung gelungen. Aber auch diese ist keine Garantie, dass jemand regelmäßig seine Medikamente nimmt und auf Dauer in der Lage ist, wieder einen normalen Alltag zu bewältigen. Ich habe einen ebenfalls schizophrenen Arbeitskollegen, der das geschafft hat. Das freut mich auch sehr für ihn persönlich. Er ist auch krankheitseinsichtig. Sobald ihm seine Umwelt wieder komisch vorkommt, geht er zum Psychiater (auch sonst regelmäßig); ihm ist dann klar, dass die Medikation angepasst werden muss. Ansonsten führt er ein "normales" Leben mit strukturiertem Alltag, Vollzeitbeschäftigung, geregeltem Einkommen, hat auch eine Partnerin, mit der er glücklich zu sein scheint. Bei deinem Vater und bei meiner Schwester ist es aber leider anders gelaufen.
Du brauchst keine Schuldgefühle zu haben. Dein Vater konnte nichts für seine Krankheit. Du aber auch nicht. Es war eine Verkettung ganz tragischer Umstände. Sein Zustand hätte sich auch nicht gebessert, wenn du mehr Kontakt zu ihm gehabt hättest. Er hätte deine Fürsorge krankheitsbedingt weder wahrnehmen noch wertschätzen können.