Hallo Leute,
danke für die zahlreichen neuen Beiträge und Ideen. Wie gewohnt gebe ich die aus meiner Sicht zentralen Punkte und Erkenntnisse kurz wieder, bemühe mich dabei um eine Synthese der einzelnen Positionen und suche so nach neuen Fragestellungen, die sich aus dem Gesagten ergeben.
Wie wir durch Ostergesetz lernten, ist Beeinflussung ein zentraler Bestandteil der Kultur. Alles, was wir zu wissen glauben, ist bereits das Ergebnis früherer Beeinflussungen und wir werden uns dieser Mechanik durch nichts prinzipiell wiedersetzen können. Somit können wir Manipulation nicht
generell ausschließen, da alle Werkzeuge hierzu wiederum die Ergebnisse von Manipulationen sein müssen. Daraus lässt sich die Gegenidee zu meiner Eingangsfrage entwerfen: Wer
alle Manipulation durchschauen will, der muss
alles hinterfragen und ist kaum mehr überlebensfähig. Soweit, so richtig.
Dies führte aber sofort zu der Frage, in wie weit es denn konkret möglich ist, sich gegen Manipulation zu wehren. Behält man dabei im Hinterkopf, dass sowohl die aktuellen Manipulationen sowie auch die Waffen dagegen durch den prinzipiell gleichen Mechanismus entstehen, lässt sich die Frage weiter konkretisieren. Sie lautet nun:
Welche Konzepte und Ideen sollte man benutzen, um welche Konzepte und Ideen zu filtern? Was wäre das Merkmal der Unterscheidung?
Das Problem schein aber wirklich die Verteilung der Prioritäten zwischen gerichteter und ungerichteter Botschaft. Erstere soll mich bewusst ansprechen und zum Nachdenken/Überdenken bewegen, Zweitere - in American Sniper vll. extremer Patriotismus/nur ein einziger Weg zum "Frieden"/Ziele nur mit Gewalt erreichbar - schwingt unterbewusst mit - wie diese Anteile bewertet werden, ist vielleicht eine Frage des Charakters.
Dredd spricht hier den Unterschied zwischen
gerichteter und
ungerichteter Botschaft an. Dieser Unterschied kann die Beantwortung der Frage ein gutes Stück weiterbringen. Es lässt sich nämlich fragen, welche der beiden Botschaften die größeren Auswirkungen hat. An dieser Stelle können wir die Wirkung von Werbung (gerichtete Botschaft) mit der Wirkung von unbewusst kommunizierten Glaubenssätzen und Wirklichkeitsvorstellungen in Familien oder der Gesellschaft (ungerichtete Botschaft) zu vergleichen. Im Gegensatz zur Werbung, deren Wirkung genau kalkuliert ist, haben Eltern in der Regel nicht die
bewusste Absicht, ihren Kindern ein beängstigendes oder einschränkendes Bild von der Welt zu vermitteln.
Nach einigem Nachdenken kam mir hier der Gedanke, dass beide Manipulationsformen unterschiedliche Abwehrstrategien erfordern:
Wenn ich als potentiell "Manipulierter" verstehe, dass ein Kalkül hinter der Manipulation steckt, regt sich in mir eher Wut über die "feindselige" Absicht des Manipulierers (auch wenn ich die Beweggründe intelektuell verstehen kann).
Wenn ich hingegen eine Manipulation bemerke, hinter der kein Kalkül steckte, kann ich höchstens wütend auf die "Dummheit" desjenigen werden, der meine Gedankenwelt unachtsam durch "unwahre" Gedanken zumüllt. Gleichzeitig werde ich eher versuchen, den anderen logisch von meiner Sicht der Dinge zu überzeugen (was oft frustrierend sein kann). Dies würde ich vor einem Werbeplakat oder einem Verkäufer bestimmt nicht versuchen!
Dennoch hat die unbewusste Manipulation für mich einen fast gefährlicheren Beigeschmack, da die betreffende Person an die Wahrheit ihrer Aussagen existenziell
glaubt. Da man keine böse Absicht feststellen kann und die andere Person es glaubhaft "gut meint", wird man hier nicht so schnell verdacht schöpfen. Auf der anderen Seite fehlt hier natürlich die kühl kalkulierte psychologische
Geschicktheit, die der bewussten Manipulation zugrunde liegt.
Bis hierher kann man schon einige sehr wichtige Aussagen festhalten: Offenbar können nur solche Meme abgewehrt werden, die auch auf einer sprachlichen oder emotionalen Basis konkret
erfasst werden. Zweitens lassen sich die "Fragestellungen", mit denen das geistige Immunsystem die Welt abscannt, als "böse Absicht" (gegen bewusste Manipulation) und "Dummheit" (gegen unbewusste Manipulation) beschreiben.
Doch sehen wir weiter:
Die beste Grundlage für Gesundheit ist ein gutes Immunsystem.
Die Qualität des menschlichen Immunsystems wird bestimmt von einer Mischung aus drei Hauptzutaten:
1. Den Gaben unserer Ahnenreihe an deren vorläufigem Endpunkt wir zum Zeitpunkt unserer Geburt stehen.
2. Den Einflüssen des Milieus in dem wir aufwachsen, insbesondere in den frühen Entwicklungsstadien.
3. Des Lebenswandels, insbesondere in der Jugend.
Der_unter_dem_Baum_tanzt bringt den evolutiven Aspekt ins Spiel, der bisher tatsächlich kaum beachtet wurde. Denn so wie die biologische Evolution das körperliche Immunsystem geschaffen hat, so ist das Geistige vor allem ein Ergebnis der eigenen Biographie und den kollektiven Erfahrungen der Gesellschaft.
Denn der evolutive Aspekt beantwortet in der Tat die Frage, wie denn die konkreten Muster, welche zur Abwehr als "böse" oder "dumm" klassifiziert werden können, entstehen. Hier lässt sich wohl sagen, dass wir vor allem aus Erfahrungen lernen, das heißt bestimmte
Auslöser mit bestimmten
Resultaten verknüpfen. So bestimmt die Biographie ganz besonders, auf welche Bilder, Ideen und Manipulationen wir besonders empfindlich reagieren und welche ungehindert an unserer Firewall vorbeikommen. Hier sollte allerdings angemerkt werden, dass zu die so konstruierten Kausalketten oft zu vereinfachend sind oder nur unter bestimmten Bedingungen gültig sind. Viele schlechte Erfahrungen können zu einem mentalen Gefängnis werden, da irgendwann ein großer Teil der Welt vermeintlich sicher als potentiell gefährlich klassifiziert wird. Fehlurteile passieren hier fast automatisch, da die Welt viel zu komplex ist, als dass man sie tatsächlich verstehen oder vorhersagen könnte. Kauz, auf dessen Beitrag ich später noch ausführlicher eingehe, beschreibt genau diesen Aspekt ebenfalls.
Dies führt direkt zu der Erkenntnis, dass es nicht nur darum gehen darf, seine Abwehrmechanismen auszubauen, sondern auch unnötige bzw. einschränkende Aspekte (auch wenn sie mal nützlich waren) wieder abbauen zu können.
Und in dieser Frage bringt Werner schon die nächste Fragestellung ins Spiel:
Wenn ich dir z.B. "07051969" schreibe, könnte das
für dich so lange keine Bedeutung haben, bis ich dir
sage, dass das der Geburtstag meines Bruders ist
und nicht meine Telefonnummer. Ebenso ist es auch
mit Texten und Wörtern - wie etwas ankommt und
dann interpretiert wird (und ob es zu Handlungen und
Verhalten anregt), ist völlig offen.
Das heißt auch: es liegt an dir selbst, wie du mit einem
Gedanken umgehst, ob du ihn pflegst, abweist, mit
einem "schlecht" kennzeichnest usw. - wir sind ja den
Gedanken nicht passiv ausgeliefert. Ein gutes Buch
dazu ist "Veränderung des subjektiven Erlebens" von
Richard Bandler. Daraus habe ich viel gelernt, etwa,
wie man frühere Erlebnisse aktiv in ihrer Bedeutung
verändern kann.
Offenbar gibt es bei der Gestaltung dieser Bewertungsfaktoren doch einen gewissen Möglichkeitsraum. Alleine die Bewusstheit darüber, dass Bedeutungen nicht objektiv festgeschrieben, sondern stets subjektive Konstrukte oder aber kollektive Vereinbarungen sind, macht schon den Weg zu ihrer Veränderung frei. Hier haben wir einen ganz wichtigen Gedanken erkannt, der "Lebenswichtig" zu sein scheint. Wenn ich glaube, dass Bedeutungen objektiv sind, dann wird mein Denken erstarren und ich kann mich nicht anpassen. Meine Abwehr kann sich nicht lockern, sier kann höchstens noch rigider werden oder aber sich garnicht verändern. Sobald ich hingegen von der Subjektivität
weiß, steht mir ein völlig neues Feld an Möglichkeiten zur Verfügung.
Daoga, du machst nun deutlich, dass ein aktiv gesuchter und aufmerksamer Lernprozess, das ständige Sammeln und prüfen neuer Informationen sowie die Bereitschaft, sich mit Themen wirklich auseinanderzusetzen, einem ein brauchbares Instrumentarium zur Reflektion an die Hand gibt. Dies kann natürlich nur auf der Grundlage des Wissens um die eigene Subjektivität geschehen. Oft hilft auch ein Vergleich der in Filmen dargestellten Muster mit dem realen Leben, um hier urteilsfähig zu sein. Hier muss allerdings eingewendet werden, dass erstens diese Muster in
fremden Kulturen leichter zu erkennen sind als in der eigenen, und dass sich zweitens zwar nicht unbeding das Bild der Welt ändert, sondern das Bild davon, wie die Welt sein sollte!
Daraus ergibt sich die Erkenntnis, dass es offenbar zwei Ebenen gibt, auf der Manipulation wirken kann. Erstens kann unser Bild davon beeinflusst werden, wie die Welt
ist. Und zweitens kann unsere Vorstellung verändert werden, wie sie
sein sollte, das heißt welche Wertvorstellungen und Visionen gut und erstrebenswert, oder auch schlecht und gefährlich sind. Das empfinde ich als einen sehr wichtigen Punkt!
Genau auf diese Unterscheidung zwischen der offensichtlichen Fiktion und der Wirklichkeit zielt auch der Post von ABVJoGo ab. Dennoch verschmelzen Fiktion und Wirklichkeit ja in genau dem Punkt miteinander, wo es um die
Deutung der weltlichen Zahlen und Fakten geht. Denn um ein bestimmtes Deutungsmuster zu präsentieren, eignen sich fiktive Geschichten oft sehr viel besser. Der bedenkenswerten Impuls seines Gedankengangs sehe ich hingegen darin, dass die bewusste Unterscheidung beider Ebenen, so denke ich, den Unterschied macht. Wem voll bewusst ist, dass eine fiktiv vermittelte Botschaft nicht unbedingt auf die Deutung der Realität übertragen werden kann, der hat viel gewonnen. Ob man diese Fähigkeit aber als selbstverständlich voraussetzen kann, ist eine andere Frage. Ich denke viele Menschen, vor allem Kinder, können das nicht. Auf diesen Punkt komme ich gleich nochmal zurück.
Zuerst gehe ich aber noch auf die ausführliche Antwort von Kauz ein: Ein wichtiger Punkt aus diesem Beitrag, der zwar angedeutet aber so noch nicht direkt erwähnt wurde, betrifft die grundsätzliche Haltung. Generell empfiehlst du eine Haltung die sehr an Sokrates "ich weiß, dass ich nichts weiß" erinnert. Man sollte all sein Wissen immer als vorübergehende Hypothese und jederzeit darauf gefasst sein, dass ein kleines Detail alles ändern könnte. Grundsätzlich sollte man seinen Fokus immer auf die
Beziehung zwischen Außenwelt und innerer Reakton legen. Beide Ebenen gilt es im Blick zu haben, sowie ihre Abhängigkeit zueinander kennenzulernen. So wird es, denke ich, auch leichter, gezielte Manipulation zu erkennen. Denn man versteht, welche Strategien und welche Reize im Inneren was auslösen können.
Ich denke, dass eine sinnvolle Haltung wäre: "Ich weiß, dass all mein Denken nur eine Hypothese ist. Aber es ist die beste, die ich zur Zeit habe. Ich handle so, als ob sie wahr wäre, bin aber aufmerksam in Bezug auf die Ergebnisse und jederzeit bereit, sie zu korrigieren."
Ich finde, wir konnten zusammenfassend einen riesigen Berg an Fragen abarbeiten. Dafür danke ich, ich habe viel gelernt in diesem Thread
Zwei Fragen bleiben allerdings noch:
1. Wie kann man dieser Vermischung des Kontextes zwischen Realität und Fiktion bei
Kindern entgegenwirken? Kinder sind ja aufgrund ihrer Unerfahrenheit die idealen Opfer geistiger Manipulation.
2. Wie kann man im Nachhinein tief verankerte Glaubenssätze wieder los werden? Sicher, ein Punkt ist, sich erstmal über die Wirkung von Glaubenssätzen allgemein bewusst zu sein. Aber anhand welcher Indizien kann man aufspüren, dass man mit einem "falschen" Gedanken durch die Welt läuft und andere vielleicht unbewusst damit infiziert. Woran machen sich falsche Gedanken für sich selbst und andere bemerkbar?
Gruß
tuny