Hallo,
den Begriff "Unterschicht" finde ich insofern egal, als er an den Tatsachen nichts ändern kann. Wenn das Wort nicht passt, wird man sich irgendwann auf ein passenderes einigen. Was mich an solchen Schlagwörtern stört, ist die Förderung eines Schubladendenkens, das der Vielfalt der Lebenssituationen überhaupt nicht gerecht wird.
Ich finde es schwierig, mich selber einzuordnen, obwohl es von außen betrachtet eindeutig sein müsste.
Rein wirtschaftlich gesehen stehe ich als freiberuflicher Musiker außerhalb der Leistungsgesellschaft, da meine Leistung keine unmittelbare Wertschöpfung darstellt, zumindest hat sie keinen industriellen Charakter. Manchmal erwische ich mich dabei, dass ich mich wirtschaftlich ausgegrenzt fühle. Das ist in meinem Falle natürlich völliger Quatsch, da ich mich für diese Lebensform selbst entschieden habe.
Aber auch wenn man wirtschaftlich zu den unteren Rängen gehört, zwingt einen das nicht, sich über das Geld zu definieren, wie es die besser Verdienenden häufig tun. Die "Oberen" messen die "Unteren" anscheinend gern nach ihrem eigenen Maß. Darin liegt überhaupt die Anmaßung, die von der Verwendung des Begriffes "Unterschicht" ausgeht.
In dem Spruch "arbeiten um zu leben" finde ich mich auch nicht immer wieder. Oft arbeite ich um zu arbeiten. Leben um zu leben ist auch gut, wenn Erholung angesagt ist. "Leben um zu arbeiten" ist mir zu pauschal ausgedrückt. Entweder bedeutet es "nur noch arbeiten", dann ist es der Zynismus der Arbeitgeber, oder "auch arbeiten", dann ist es eine Tatsache, es sei denn jemand lebt von seinen Zinsen.
Angenehm, wenn auch nicht gerade existenzsichernd, finde ich die Erfahrung, dass ich über der Vertiefung in die Arbeit die Frage nach der Entlohnung vergesse. Kommt bei mir um so eher vor, je anspruchsvoller (und auch arbeitsaufwendiger) die Projekte sind. Das geht bis zum Draufzahlen.
Das andere Extrem sind gut bezahlte Darbietungen, die Mainstream für ein reiches, aber eher ungebildetes Publikum liefern. Ein Spagat, den ich nicht aushalten würde, wenn ich mir nicht einbilden dürfte, trotz des niedrigen Niveaus noch einen Bildungsauftrag zu erfüllen und irgend etwas zu geben. Immerhin bezahlen die Leute und freuen sich darüber. Ohne die könnte ich auch die schwierigen Sachen nicht finanzieren.
Für mich ein Beweis dafür, dass die "Schichten" noch durchlässig sind...